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Von Bremen zurück in die Ukraine: Weihnachten im Kriegsgebiet
An Weihnachten fährt man nach Hause. Doch was, wenn in der Heimat der Krieg tobt? Einige Ukrainer wagten für die orthodoxen Feiertage die Rückkehr.
Festlich geschmückte Plätze, Weihnachtsbäume, Lichterketten, "Jingle Bells", Menschen, die von einem Einkaufszentrum zum anderen rennen, um Geschenke für ihre Lieben zu besorgen. So stellen sich die meisten von uns die Weihnachtstage vor. So war es auch in der Ukraine – bis zum 24. Februar 2022.
Die Ukrainer feiern ihr Weihnachtsfest am 6. und 7. Januar. In diesem Jahr erleben sie vielerorts Feiertage mit Stromausfällen, Raketenangriffen, ohne fließend Wasser, ohne Internet und ohne Kommunikation. Einmal pro Woche oder sogar noch häufiger schlagen russische Raketen ein und die Ukraine wird in Dunkelheit getaucht. Heute laden sich Ukrainer nicht mehr zum Kaffeetrinken ein, sondern zum Handy aufladen.
Nelya überraschte Mutter und Großmutter
Viele Ukrainer, die im friedlichen und ruhigen Bremen Zuflucht gefunden hatten, wagen mitten im Krieg während der Weihnachtsfeiertage die Rückkehr in ihr Heimatland. Sie wollen ihre Verwandten sehen und umarmen. Nelya (24 Jahre alt) aus der Kleinstadt Mena, die seit April in Bremen lebt, beschloss, ihre Mutter und ihre Großeltern zu überraschen und die Feiertage mit ihnen in der Ukraine zu verbringen.
"Niemand wusste von meiner Ankunft", sagt Nelya. "Ich ging mit einem Lächeln auf den Lippen, weil ich wusste, dass ich in der Ukraine war! Als wir aus dem Zug stiegen, klopfte mein Herz wie wild! Aber das Erste, was ich sah, war eine graue Stadt. Die Atmosphäre ist beunruhigend, es gibt keinen Frieden, keine Gelassenheit. Ich kann nicht sagen, dass die Menschen mit Tränen in den Augen mich umgaben, aber man konnte sehen, dass sie nur mithilfe innerer Hoffnung leben. Ich habe auch viel Militär gesehen."
Nelya erzählt, dass sich ihre Heimatstadt stark verändert habe. Aber sie gibt die Hoffnung nicht auf. Trotz allem – Geschäfte, Institutionen, Büros arbeiten mithilfe von Generatoren.
Während des Supermarktbesuchs plötzlich: Fliegeralarm!
Die täglichen Luftangriffe haben das Leben natürlich verändert, aber nicht beendet. "Als ich in den Supermarkt ging, war es dunkel, aber die Leute um mich herum waren schon daran gewöhnt und beleuchteten die Waren einfach mit dem Blitz ihres Handys in der Dunkelheit."
Während Nelyas Besuch im Supermarkt ertönte plötzlich ein Fliegeralarm und alle mussten den Laden verlassen, weil er geschlossen wurde. Aber fast niemand ging in den Keller, um sich zu verstecken: "Es war mitten in der Stadt, die Sirene ertönte, aber nur wenige Menschen verstecken sich im Keller, weil sie daran gewöhnt sind, manche gehen einfach ihren Geschäften nach."
Die menschliche Psyche gewöhnt sich an negative Gefühle. Denn es ist unmöglich, unbegrenzt auf dem Höhepunkt der Gefühle zu sein. Trotz des Gefühls der ständigen Anspannung und der Bedrohung des Lebens – für einige Ukrainer ist eine Reise nach Hause zu ihren Verwandten eine Chance, die Psyche zumindest ein wenig zu regenerieren.
"Der Aufenthalt in Kiew und in der Ukraine im Allgemeinen ist definitiv ein Adrenalinstoß. Die Angst geht rund um die Uhr um, niemand weiß, wann die Rakete einschlägt und ob die Luftabwehr funktionieren wird. Aber der Wunsch, die Familie zu sehen, ist so groß, dass er alles in den Schatten stellt", sagt Yana (30) aus Kiew. Die Frau nahm ihre beiden kleinen Töchter auf eigene Gefahr mit und reiste zu Weihnachten vom friedlichen Bremen zu ihrem Mann nach Kiew. Auf diese Weise, so sagt sie, verhinderte sie, dass die Kinder in Depressionen verfielen. Denn die Mädchen vermissten ihren Vater sehr.
Kiew begrüßte Yana und ihre Töchter mit Raketen: "Am Neujahrstag wurden 120 Raketen von Russland aus gestartet. 96 davon wurden von unserem Militär abgeschossen. In dieser Nacht gab es Alarme, es gab Abstiege in den Keller".
In einer Zeit, in der es so viel Trauer und Zerstörung gibt – ist da noch Platz zum Feiern?
Die Ukrainer haben lange darüber diskutiert, ob es angemessen ist, Weihnachten und Neujahr während des Krieges zu feiern. Viele Städte weigerten sich, zentrale Weihnachtsbäume und Weihnachtsschmuck aufzustellen. Aber einige haben sich trotzdem entschieden, sie aufzustellen. In Charkiw, einer Stadt, die unter ständigem Artilleriebeschuss steht, wurde der Weihnachtsschmuck direkt in der U-Bahn aufgestellt.
Der größte Weihnachtsbaum der Ukraine auf dem Sophienplatz war mit blauen und gelben Kugeln aus den vergangenen Jahren, weißen Tauben und Flaggen der verbündeten Länder geschmückt, die der Ukraine im Kampf gegen die russischen Invasoren helfen.
Der Weihnachtsbaum am Hauptbahnhof in Kiew kann mit einem Fahrrad beleuchtet werden. Diese Methode wurde für den Fall eines Stromausfalls erfunden. Sie müssen sich nur auf ein Fahrrad setzen, das mit dem Weihnachtsbaum verbunden ist, und in die Pedale des mechanischen Generators treten.
Auch die traditionellen Weihnachtsgeschenke unter dem Weihnachtsbaum haben sich verändert: Heute kaufen die Ukrainer am häufigsten Thermounterwäsche, Touristenschlafsäcke, Kerzen, Taschenlampen, Notfallsets, Erste-Hilfe-Kits, Powerbanks, Ladestationen und Papierbücher.
Das Licht von Kerzen und Weihnachtsbeleuchtung ist für die Ukrainer nicht mehr ein Symbol für Romantik und Festlichkeit. Denn manchmal sind sie in dunklen Wohnungen, Treppenhäusern und Büros die Einzigen, die brennen. Daria, die aus Bremen kam, um ihren Mann über die Weihnachtsfeiertage in Sumy zu besuchen, bereitete sich bei Kerzenlicht auf das Neujahrsfest vor. "Wir haben das ganze Essen für den Feiertag mit Taschenlampen gekocht."
Die erste Veränderung, die Daria bemerkte, war die Dunkelheit
Daria hat ihren Mann seit Juli nicht mehr gesehen. Sie hat auch ihre eigenen Wände nicht gesehen. Bei ihrer Ankunft am Kiewer Bahnhof war sie von der etwa zweitägigen Reise so müde, dass sie nicht einmal auf den Beschuss achtete: "Als ich in Kiew ankam, war es früh am Morgen, um 4 Uhr und in diesem Moment gab es einen Angriff auf Kiew. Aber nach der Besetzung der Stadt Energodar, die ich zu Beginn des Krieges erlebte, hatte ich vor nichts Angst. In diesem Moment stand ich einfach auf der Straße und trank mit meinem Begleiter, mit dem ich im Bus unterwegs war, Kaffee."
Als Daria aus Kiew in Sumy ankam, war die erste Veränderung, die sie bemerkte, die Dunkelheit. "Fast kein Licht, aber ich war erstaunt, wie stark die Menschen im Geiste sind. Trotz allem arbeiten sie auch unter solchen Bedingungen, um ihre Familien zu ernähren. Jetzt verbinde ich die Stadt mit einem Brummen, dem Brummen von Generatoren und dem Geruch von Benzin, mit dem sie betankt werden."
Normalerweise feierten die Ukrainer Weihnachten sowohl am 24. Dezember als auch am 6. Januar. In diesem Jahr weigern sich jedoch immer mehr Menschen, vom 6. auf den 7. Januar zu feiern. Der Unterschied liegt in den Kalendern, dem Gregorianischen und dem Julianischen. Nach der vollständigen Invasion Russlands ziehen es die meisten Ukrainer jedoch vor, orthodoxe Feiertage nach dem gregorianischen Kalender zu begehen.
"Dieses Jahr wollten wir Weihnachten am 24. Dezember feiern, aber bisher ist das sehr schwierig. Sehr große Veränderungen. Sowohl der Krieg als auch der Kalender ändern sich. Ich bin mir sicher, dass die meisten Menschen vom 6. bis 7. Januar feiern werden", sagt Nelya.
Die Feiertage geben Hoffnung für die Zukunft
In der Tat ist Weihnachten am 7. Januar für viele eine Familientradition und mit schönen Kindheitserinnerungen verbunden. Die ukrainischen Priester sind der Meinung, dass der Übergang schrittweise erfolgen sollte.
Diese Weihnachtsferien werden natürlich anders sein. Schließlich werden viele Familien nicht in der Lage sein, zu Hause vollständig zusammen zu kommen.
Einige sind im Krieg, einige sind Freiwillige, einige sind noch im Ausland, und einige sind nicht mehr am Leben. Aber diese Feiertage vereinen die Menschen in ihrem Glauben an den Sieg und geben Hoffnung für die Zukunft. Sie inspirieren und erklären, worum es in diesem Kampf geht: darum, dass alle Familien in der Ukraine wieder an einem Tisch zusammenkommen können.