Ukrainer: Zerrissen zwischen dem Wunsch zu helfen und zu leben
Heute vor zwei Jahren begann der Ukrainekrieg. Wie geht es wehrpflichtigen Ukrainern, die in Bremen leben? Einer von ihnen erzählt seine Geschichte.
Wie sie sich fühlen, während viele ihrer Landsleute in der Armee kämpfen, darüber reden die wenigsten ukrainischen Männer in Deutschland. Dmitri Perfiljew spricht offen darüber.
Der 33-Jährige kommt aus dem russischsprachigen Teil der Ukraine. Er ist seit anderthalb Jahren in Deutschland und kam allein, ohne Familie hierher. Seine Mutter und seine Schwester sind noch in seiner Heimat. "Es war keine leichte Entscheidung für mich“, erzählt er.
Ich fühle mich zerrissen zwischen dem Wunsch zu helfen und dem Wunsch zu leben. Es brodelt in mir, es verlässt mich keine Minute. Ich schlafe damit ein, ich wache damit auf. Es ist allgegenwärtig.
Dmitri Perfiljew
Fünf Monate lebt er in einem annektierten Gebiet. "Wo alles mit Waffen bewacht wurde und ich keine Perspektive mehr gesehen habe. Es war auch nicht ein Entschluss, jetzt nach Deutschland zu gehen, sondern Hauptsache weg."
Der junge Ukrainer wirkt gefasst, schaut freundlich, aber oft auch ernst, wenn er erzählt. Er trägt ein blauschwarz-kariertes Hemd, hat kurze braune Haare, einen leichten Bart und wache, blaue Augen. Dass andere in seinem Land kämpfen und er hier in Sicherheit ist, zerreißt ihn innerlich.
Ich verstehe, dass mein Land verteidigt werden muss. Aber ich kann mir nicht vorstellen, eine Waffe in die Hand zu nehmen und einen Menschen zu erschießen. Es ist sehr schwer für mich zu ertragen.
Dmitri Perfiljew
Dimitri Perfiljew arbeitet hier in einem Zulieferbetrieb für die Stahlindustrie. Anfeindungen von anderen Ukrainern, sei es von zu Hause oder hier in Deutschland, erlebt er nicht. "Ich glaube, dass seitens der zivilen Bevölkerung diese Frage, wo bin ich gewesen, gar nicht gestellt wird, weil die Menschen es verstehen. Sie wollen ja selber leben. Und sie verstehen auch die Menschen, die die Chance hatten, auszureisen und es getan haben“, sagt Dmitri Perfiljew. Er glaubt nicht, dass er von den Menschen aus seinem Land mit Vorwürfen konfrontiert wird. "Und es erwartet auch keiner, dass ich zurückkomme und mit der Waffe das Land verteidige“, sagt er.
In Deutschland darf er erst einmal offiziell bleiben. Direkt nach Beginn des Krieges hat die EU die sogenannte Massenzustromrichtlinie in Kraft gesetzt. Alle Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine, egal ob Männer oder Frauen, werden in Deutschland aufgenommen und bekommen einen befristeten humanitären Aufenthaltstitel. Ob und wann Dmitri Pertiljew in sein Land zurückkehren muss, ist noch unklar. "Ich stelle mir natürlich die Frage, wie wird der ukrainische Staat uns behandeln, wenn wir zurückkommen. Ich befürchte, dass ich angeklagt werde, weil ich die offizielle Grenze der Ukraine nicht überschritten habe. Ich bin über Russland durch litauische und baltische Länder ausgewandert“, erzählt er. Und fügt hinzu: "Ja, davor habe ich Angst.“
Viele der Männer haben Angst
Ähnliche Gedanken und Gefühle wie Dmtri Perfiljew haben viele der ukrainischen Männer, berichtet Andreas Hamburg. Er ist Pastor in der Bremer Kirchengemeinde St. Markus. Als Russlanddeutscher ist er in der Ukraine aufgewachsen und seit seinem Studium in Deutschland. "Ich glaube nicht, dass viele Männer hier aus der Ukraine sind, die so mit dem Problem umgehen, die ihre Zerrissenheit verbalisieren können, die sich der ganzen Misere stellen“, sagt er.
Viele würden versuchen, das zu verschweigen oder zu verdrängen. Aber das sei keine Lösung, meint Hamburg. „Das Problem wird nicht weggehen, weil wir es verschweigen. Es wird noch größer werden, wenn es tatsächlich darum geht, dass die Männer zurückgehen.“ Deshalb möchte Andreas Hamburg die Sorgen und Ängste der ukrainischen Männer, die hier leben, mehr ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rücken. Er plant deshalb Angebote wie Gesprächsgruppen und Selbsthilfegruppen.
„Das belastet die Menschen, das wird zu Depressionen führen, zur Verzweiflung. Wir müssen tatsächlich darüber sprechen.“
Andreas Hamburg, Pastor und Friedensbeauftragter in Bremen
Dmtri Perfiljew muss mit seinen Gedanken und Gefühlen zurechtkommen. Viel Hoffnung, dass sich an seiner Situation bald etwas ändern wird, hat er nicht. "Ich glaube nicht, dass es mit einem Sieg enden kann, denn der Sieg wird die Verluste auf beiden Seiten nie wieder gut machen: die unzähligen zerstörten Familienhäuser, menschliches Leben, Erwachsene, Kinder“, sagt der Dmitri Perfiljew. Am meisten wünscht er sich, die Zeit zurückzudrehen und in die friedliche Zeit zurückzukehren. "Aber dazu wird es nicht kommen. Deswegen hoffe ich, dass es irgendwann einfach aufhört“, sagt der junge Ukrainer.
Quelle: buten un binnen.
Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, 23. Februar, 8:30 Uhr