Von Warten und Hoffen: Leben in einer Bremer Flüchtlingsunterkunft
Viele Menschen flüchten und hoffen auf ein besseres Leben in Deutschland. Die Realität: Bürokratie und langes Warten bis zum Neustart. Ein Blick in die Bremer Landesaufnahmestelle.
Es ist ein kalter und windiger Vormittag, als ein junger Mann über den kargen Platz in einen der Bürocontainer geführt wird. Sayid zieht in der Landesaufnahmestelle an der St. Jürgen-Straße ein. Vor sechs Monaten ist er aus Ägypten nach Deutschland geflohen.
Als Erstes bekommt er hier von einem Dolmetscher die Hausordnung erklärt: keine Drogen, keine Gewalt oder Beleidigungen und wer länger als drei Tage wegbleibt, wird abgemeldet. Danach folgt die Bürokratie.
Hab und Gut passt in einen Rucksack
Sayid besitzt nicht mehr, als in seinen kleinen Rucksack passt. Ein paar Kleidungsstücke, mehr nicht. Hier bekommt er ein Zimmer und das Nötigste. Eine Matratze, ein Kopfkissen, Bettzeug, Hygieneartikel. Als Alleinreisender wird er zusammen mit sieben anderen Geflüchteten in einem Zimmer untergebracht.
Etwa 300 Menschen leben aktuell in den beiden großen Hallen, die in kleine Kabinen unterteilt sind. Die Decken sind nach oben offen, Privatsphäre gibt es nicht. Das sei in Ordnung für ihn, sagt Sayid, er hoffe, dass er in Deutschland eine Perspektive bekommt.
Klinikgelände bietet Platz für 400 Menschen
Im Dezember hat die Landesaufnahmestelle (LaST) auf dem Klinikgelände aufgemacht. Als Notunterkunft, weil es zu wenig Wohnraum für ankommende Geflüchtete gibt. Sie bietet Platz für bis zu 400 Menschen – hier werden sie versorgt, während sie auf weitere Schritte im Asylverfahren warten. Und auf ein neues Leben in Deutschland hoffen.
Betrieben wird die Einrichtung von der Arbeiterwohlfahrt (AWO). Zehn Integrationsfachkräfte und zehn Hausmeister betreuen die Menschen. Die meisten haben selbst einen Migrationshintergrund oder eine Fluchtbiografie. Deshalb können sie sich gut in ihre Gäste hineinversetzen.
Viele seien erstmal froh, angekommen zu sein, erzählt Einrichtungsleiter Heydar Malari. "Wir helfen ihnen mit den Basics für den Alltag. Aber ihre Reise ist hier nicht zu Ende. Jetzt sind sie in der Warteschleife und in der Unsicherheit: Kann ich bleiben oder nicht? Werde ich vielleicht abgelehnt und abgeschoben? Und manchmal dauert der Entscheidungsprozess lange."
Warten für viele schwer auszuhalten
Max Petermann ist Projektkoordinator. Er versucht mit Ehrenamtlichen und anderen Kooperationspartnern, Beschäftigungsangebote zu organisieren. Das Warten ohne eine sinnvolle Tagesstruktur sei für viele schwer auszuhalten.
Sie fallen dann erstmal in ein Loch, weil gerade am Anfang die Leute noch keine Leistungen bekommen, und auch noch keine Integrationskurse besuchen können und der Prozess bei den Behörden einfach sehr lange dauert.
Max Petermann, Projektkoordinator
Er versucht, erste Integrationsschritte anzubahnen. Heute hat er sich mit Malick aus Gambia verabredet. Der hat sich als "unbegleiteter Minderjähriger" angemeldet. Aktuell prüft die Behörde sein Alter. Solange ist er hier in Warteposition und ohne Vormund.
Malick kennt noch niemanden in Bremen. "Deshalb habe ich den Bruder gefragt, ob er mir helfen kann, etwas für mich zu finden, wo ich Fußball spielen kann oder wo ich Menschen treffen kann, denn ich fühle mich hier sehr schlecht, sehr allein", erzählt er.
Max Petermann erzählt ihm unter anderem von der Bibliothek, nennt ihm andere Anlaufstellen, wo er Kontakte knüpfen kann. Außerdem versucht er mit Hilfe von Ehrenamtlichen, Sprachkurse zu organisieren.
Familie wohnt auf zwölf Quadratmetern
Syam Hamdard wartet seit sechs Monaten darauf, mit seiner Familie in ein Übergangswohnheim umziehen zu können. Am liebsten in eine eigene Wohnung. Bevor er hier aufgenommen wurde, war er schon in einer anderen Aufnahmestelle. Sein Sohn Sam ist fünf Jahre alt, seine Tochter noch ein Baby. Zusammen mit seiner Frau wohnt er auf zwölf Quadratmetern.
Weitere Familienmitglieder sind auf andere Zimmer verteilt. "Wir sind eine große Familie mit Mutter, Vater, Geschwistern, Großeltern und Kindern. Wir sind 16 Personen hier in diesem Camp", sagt Syam.
Wir haben auch mit den NATO-Streitkräften zusammengearbeitet in Afghanistan, nach der Machtübernahme der Taliban hatte wir zwei Möglichkeiten. Entweder wir bleiben und sterben oder wir müssen unser Land verlassen.
Syam Hamdard
Er und sein Vater waren ranghohe Offiziere in der afghanischen Armee und haben gegen die Taliban gekämpft, erzählt der 33-Jährige.
Dankbar für Leben in Sicherheit
Eine schwere Entscheidung. Er hat alles zurückgelassen, ein Leben in Wohlstand und mit beruflicher Anerkennung. Als Kämpfer für sein Land, dass er liebe. Trotzdem sei er dankbar, dass er jetzt hier sei und in Sicherheit.
Niemand verlässt leicht seine Heimat, das gilt besonders für uns Soldaten. Bis jetzt werde ich traurig, wenn jemand mit mir über die Vergangenheit spricht. Manchmal, wenn ich hier reinkomme und mich umschaue, auf mein Familienleben jetzt blicke, dann ist das sehr schwer für mich, ich kann es manchmal immer noch nicht glauben… Und ich kann nicht schlafen, ich kann nicht schlafen.
Syam Hamdard
Seine Schwestern hätten in Afghanistan unter den Taliban keine Zukunft gehabt, erzählt er noch. Sie wohnen mit seinem Bruder im Zimmer gegenüber.
Zwei weitere Hallen werden aufgebaut
Die Firma "Vier-Quartier" hat das Baugrundstück mit den Leichtbauhallen zunächst für zwei Jahre an das Land Bremen vermietet. Aktuell werden zwei weitere Hallen aufgebaut. Dann können hier 800 Geflüchtete Platz finden. Bremen zahlt dafür insgesamt neun Millionen Euro Miete.
Diese Not-Unterkunft ist eigentlich als Übergangslösung für drei bis maximal sechs Monate gedacht. Aber die meisten bleiben weit länger hier. Das liege laut Uwe Eisenhut, Fachbereichsleiter Asyl von der AWO, vor allem daran, dass es wenig Wohnraum in den Kommunen gebe.
Eisenhut fordert Plan für Schulkinder von der Behörde
Wenn die Hallen voll belegt sind, rechnet die AWO mit mindestens 250 Kindern, von denen viele schulpflichtig wären. Und dafür brauche es einen Plan von den Behörden, sagt Eisenhut. Er wünscht sich, dass die Bildungsbehörde dem Auftrag der Schulpflicht nachkommt. "Wir wollen gar nicht sechs Stunden Beschulung, aber einige Stunden wären schon sinnvoll, damit, wenn die Kinder dann doch später in unsere Schulen kommen, dort nicht komplett bei Null anfangen werden muss."
Es gibt einen kleinen Spielplatz auf dem Gelände. Bei schlechtem Wetter spielen die Kinder auf dem Flur. Einen Aufenthaltsraum gibt es bisher noch nicht. Die Kinder zeigen stolz ihre Spielzeuge, Puppen und Kuscheltiere, die sie geschenkt bekommen haben. Sie würden gern zur Schule gehen, sagen sie.
Wir wissen, dass Personal ist sehr rar heutzutage aber wir haben vor zwei Jahren gesehen, und das hat mich sehr gefreut, als die Menschen aus der Ukraine hier waren, da hat es relativ gut funktioniert. Und wir würden uns wünschen, dass dort angeknüpft wird.
Uwe Eisenhut, Fachbereichsleiter Asyl von der AWO
Im Moment fehle es an Räumen und Personal, sagt die Bildungsbehörde. Deshalb sei eine Sofortlösung für alle Kinder aktuell nicht möglich. Zusätzliche Willkommensschulen seien in Planung und die Behörde verweist darauf, dass die Schulpflicht erst mit dem Umzug in ein Übergangswohnheim beginne. Zusammen mit dem Sozialressort würde mit Hochdruck auch an alternativen Lernangeboten gearbeitet.
Hoffnung auf ein besseres Leben
Herkunftsländer, Schicksale und Motive für die Flucht sind sehr unterschiedlich. Und damit auch die Chancen auf ein dauerhaftes Bleiberecht. Aber alle sind mit viel Hoffnung im Gepäck gekommen. Auf ein besseres Leben.
Syam Hamdard hat seit sechs Wochen Anspruch auf einen bezahlten Deutschkurs bei der Volkshochschule. Er selbst lernt jeden Tag. Er möchte in Deutschland neu starten. Am liebsten bei der Bundeswehr. Mit 17 Jahren ist er in die Armee eingetreten.
Mein Land Afghanistan hat mir alles genommen, mein Leben, meine Jugend, mein alles. Als ich in Deutschland ankam, dachte ich, jetzt ist das meine Heimat. Wenn ich hier eine Möglichkeit bekomme, meine Kenntnisse einzubringen, möchte ich das Beste geben für dieses Land.
Syam Hamdard
Die Sonne ist untergegangen. Es ist Ramadan. Die muslimischen Gäste dürfen ihr Essen ausnahmsweise mit auf das Zimmer nehmen. Um zehn Uhr wird das Licht ausgemacht. Dann beginnt die Nachtruhe.
Quelle: buten un binnen.
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 26. März 2024, 19:30 Uhr