"Trotzdem da": Bremer Museum zeigt die Geschichten "verbotener Kinder"

Ein Bild von Katharina Sämann in der Ausstellung des Krankenhausmuseum zu verbotenen Kindern der NS-Zeit

Trotzdem da: Bremer Museum zeigt die Geschichten "verbotener Kinder"

Bild: Sophia Allenstein

In der NS-Zeit waren Beziehungen zwischen Kriegsgefangenen und Deutschen tabu. Und doch entstanden immer wieder Kinder aus solchen Kontakten. Das Bremer Krankenhaus-Museum zeigt ihre Schicksale.

Friedrich Buhlrich ist ein Mensch, den es in der Ideologie des Nationalsozialismus gar nicht hätte geben dürfen. Ein Kind einer deutschen Mutter und eines polnischen Zwangsarbeiters in der Kriegs- beziehungsweise Nachkriegszeit. "Meine leiblichen Eltern haben sich kennengelernt auf dem Hof meiner Mutter in Bruchhausen-Vilsen", erklärt der geborene Bremer. "Mein Vater war dort zur Arbeit als landwirtschaftlicher Knecht eingeteilt. Als polnischer Soldat war er 1939 gleich gefangen genommen worden."

Engerer Kontakt zwischen Kriegsgefangenen und Deutschen war eigentlich aus Sicherheitsgründen verboten. Liebesbeziehungen wurden hart bestraft, teils sogar mit dem Tod. Zugleich war Deutschland auf die Arbeit von mehr als 13 Millionen Zwangsarbeitern, Kriegsgefangenen und Häftlingen während des Zweiten Weltkriegs angewiesen. Sie arbeiteten in der Rüstungsindustrie, der Landwirtschaft, bei der Trümmerbeseitigung – und ersetzten fehlende Männer, die in den Krieg gezogen waren. Wenig erforscht und erzählt wurden bisher die Geschichten der Kinder, die aus Verhältnissen und Beziehungen zwischen Kriegsgefangenen, Deutschen und Zwangsarbeitern oder -arbeiterinnen entstanden. Ihnen widmet sich aktuell die Ausstellung "Trotzdem da" im Bremer Krankenhaus-Museum.

Lebensgeschichte geprägt von Stigmatisierung

Friedrich Buhlrich steht auf einer Wiese und schaut in die Kamera
Friedrich Buhlrich. Bild: Radio Bremen | Sophia Allenstein

Eines dieser Kinder ist Friedrich Buhlrich. Als seine Mutter mit ihm schwanger wird, ist für seine Großeltern, überzeugte Nationalsozialisten, klar: Das Kind ist eine Schande. Es muss weg, gleich nach der Geburt. Friedrich Buhlrich wird als Säugling weggegeben und von einer Bremer Pflegefamilie aufgenommen. Lange Zeit weiß er nicht, dass er adoptiert worden ist. Bis zu seinem 21. Geburtstag.

Spricht Buhlrich heute von seinen Eltern, dann meint er seine Adoptiveltern: Johanne und Wilhelm Buhlrich. "Meine Eltern haben versucht, mich zu schützen", sagt der heute 78-Jährige. Er sei ganz normal aufgewachsen, wie jedes andere Kind auch. "Ich bin zu Ehrlichkeit und Anstand erzogen worden. Ich habe gelernt, andere Menschen zu akzeptieren und respektieren. Denn über eins müssen wir uns klar sein: Keiner kann sich aussuchen, wo er geboren wird."

Seine genaue Herkunft hält seine Adoptivfamilie vor ihm, aber auch vor allen anderen geheim. Vermutlich aus Sorge vor Diskriminierung und Beschimpfungen. Sie sind für viele Kinder aus verbotenen Beziehungen zwischen Deutschen und Kriegsgefangenen oder Zwangsarbeitern Alltag. Ihre Lebensgeschichten seien oft geprägt von einem Stigma, sagt Jannick Sachweh, Leiter des Krankenhaus-Museums. "Das Stigma beruht auf der rassistischen Ideologie der Nationalsozialisten, die Menschen in Gruppen einteilt. Die der vermeintlich Deutschen und alle anderen." Kinder, die aus diesen Beziehungen entstanden seien, hätten oft ihr Leben lang mit Unsicherheiten zu tun gehabt. Sie wussten häufig nicht, woher sie kamen, wer ihre Eltern sind.

Sterbeurkunden der Geschwister gefunden

So war es auch bei Friedrich Buhlrich. Er findet erst in seinen Fünfzigern heraus, dass sein Vater ein polnischer Zwangsarbeiter war. Und enthüllt ein weiteres, gut gehütetes Familiengeheimnis. "Vor etwa 36 Jahren habe ich den letzten Umzugskarton aufgemacht. Dabei fielen Sterbeurkunden raus, von meinen Geschwistern."

Jannick Sachweh, Leiter des Krankenhaus-Museums, schaut in die Kamera.
Jannick Sachweh, Leiter des Krankenhaus-Museums. Bild: Radio Bremen | Sophia Allenstein

Hans, mit zehn Jahren gestorben. Erika, mit sechs Jahren gestorben. Und Margret, mit drei Jahren gestorben. Die Urkunden belegen: In seiner Adoptivfamilie hätte Friedrich Buhlrich eigentlich zwei Schwestern und einen Bruder gehabt. Alle drei fielen der Euthanasie zum Opfer, der Tötung von Kranken oder Menschen mit Behinderungen zur Zeit des Nationalsozialismus. Bruder Hans musste wegen einer Behinderung sterben. Auf die Mädchen werden die Behörden aufmerksam, weil sie während eines Bombenangriffs im Bunker große Angst und Unruhe zeigen. Ihre Mutter muss daraufhin beim Jugend- und Gesundheitsamt vorstellig werden. "Dort saß die Schwester Antje, die auch schon Hans Wilhelm Buhlrich untersucht hatte, hatte die Akte neben sich liegen und hat die beiden Mädchen untersucht", sagt Friedrich Buhlrich. "Und hat festgestellt: schwachsinnig, bösartig, nicht arbeitsfähig."

Wunsch: Geschichte darf sich nicht wiederholen

Im Nationalsozialismus war das ein potenzielles Todesurteil. Die Kinder sterben in Heimen, vermutlich durch Nahrungsentzug oder Medikamente. Friedrich Buhlrich hat viele Stunden in die Recherche seiner Familiengeschichte investiert. Oft sind es Patientenakten, die ihm wertvolle Details verraten. Weder seine Geschwister noch seine Eltern konnte er je kennenlernen.

Sein Wunsch: Geschichte darf sich nicht wiederholen. "Dagegen kämpfe ich an und versuche in Schulen meine Geschichte zu erzählen", sagt Buhlrich. "Wenn ich die Wahlergebnisse ansehe, dann habe ich Angst vor der Zukunft. Ich habe mein Leben gelebt, aber ich weiß nicht, was mit meinen Enkelkindern passiert."

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Bild: Radio Bremen

Autorin

  • Sophia Allenstein
    Sophia Allenstein

Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Der Tag, 21. März 2025, 13.40 Uhr