Interview
Uni-Rektorin: Medizinstudiengang würde Bremen viele Millionen kosten
Im Land Bremen herrscht Ärztemangel. Wäre ein Medizinstudiengang die Lösung? Warum es ihn weiterhin nicht gibt, erklärt Bremens Uni-Rektorin Jutta Günther.
Personalnot in Bremens Kliniken, überforderte Praxen in der Grippewelle, Aufnahmestopp bei Hausärztinnen. Mediziner sind in Bremen knapp. Forderungen nach mehr Studienplätzen kommen nicht nur aus der Ärzteschaft selbst, zuletzt auf dem Bundesärztetag in Bremen. Auch in der Politik werden immer wieder Wünsche laut, die Zahl der Medizinstudienplätze zu erhöhen. In Bremen fordert beispielsweise die CDU seit Herbst einen neuen Anlauf, eine Medizinfakultät zu schaffen. Und im Januar nahm Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) die Länder in die Pflicht, 5.000 neue Studienplätze bereitzustellen.
Studienplatzverteilung im Fach Allgemeine Medizin nach Bundesländern
Und Bremen? Die Freie Hansestadt steht als einziges Bundesland ohne ein Medizinstudium da. Warum das so ist und welche Ideen es gibt, das zu ändern, erklärt Jutta Günther, Rektorin der Uni Bremen.
Frau Günther, was spricht gegen einen Medizinstudiengang an der Uni Bremen?
Im Prinzip sind wir gar nicht dagegen. Allerdings sind wir ein kleines Bundesland und eine nur mittelgroße Universität. Das heißt, für uns und das Land wäre es ein riesiger Kraftakt, einen Vollstudiengang Medizin aufzubauen. Es würde sehr hohe Kosten verursachen, sowohl im Aufbau wie auch im laufenden Betrieb. Es ist eben etwas anderes, ein Medizinstudium einzurichten als Studiengänge wie Chemie, Lehramt oder Ethnologie.
Was macht den Medizinstudiengang so kostspielig?
Es ist erhebliche Infrastruktur erforderlich und es müssen die drei Phasen der Medizinerausbildung angeboten werden, also vorklinische, klinische und praktische Phase. Theoretisch geht das, praktisch bedürfte es aber viel Zeit und Geld. Außerdem bräuchten wir auch die gesetzlichen Rahmenbedingungen, weil es ein Approbationsstudiengang ist…
…der also nicht nur eine theoretische, sondern auch eine umfassende praktische Ausbildung umfasst und mit strengen Genehmigungen einhergeht.
Ja. Dafür bräuchten wir staatliche Genehmigungsbehörden. Das Prüfungswesen ist ebenfalls in staatlicher Hand. All das würde hohen organisatorischen Aufwand bedeuten.
Welche Kosten kämen denn auf Bremen zu?
Durchschnittlich 200.000 und 250.000 Euro kostet die Ausbildung einer Medizinerin oder eines Mediziners den Staat. Das wäre in Bremen auch nicht anders. Das sind aber nur die Kosten in einem laufenden Medizinstudiengang. Was man auch bedenken muss: Wenn man noch keinen Medizinstudiengang aufgebaut hat, kommen erst mal die Investitionskosten in den Aufbau von Gebäuden, Gerätschaften und sonstige Infrastruktur, Genehmigungskosten, Kosten für die Einstellung des Personals und vieles mehr dazu. Da käme ein dreistelliger Millionenbetrag zusammen.
Wäre ein Vollstudiengang daher zu teuer für die Uni und das Land?
Diese Mittel, über die wir hier sprechen, konnten zumindest in der Vergangenheit nicht mobilisiert werden. Wir sprechen ja jetzt nicht zum ersten Mal über die Frage der Einrichtung eines Medizinstudiengangs.
Im Herbst hat zuletzt die Bremer CDU gefordert, eine medizinische Fakultät zu schaffen. Wie beurteilen Sie diesen Vorstoß?
Die Forderung der CDU ist weniger ein fachwissenschaftliches Konzeptpapier als ein Appell, doch ein Medizinstudium in Bremen einzurichten. Dies gründet darauf, dass wir einen Ärztemangel haben und das bundesweit rund 5.000 Medizinstudienplätze fehlen. Da ist es nachvollziehbar, dass die Forderung im Raum steht, das Medizinstudium in Bremen einzurichten und den Faden wieder aufzunehmen.
Es gibt auch ja sogar Konzepte. Nehmen wir zum Beispiel das der Stiftung Bremer Wertpapierbörse aus dem Jahr 2019. Was halten Sie davon?
Das ist ein fachkundig von einem Wissenschaftler ausgearbeitetes Konzept. Es sah vor, dass sich die Universität Bremen in der Initiative der European Medical School Oldenburg-Groningen einbringt…
…eine Kooperation der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg und der Reichsuniversität Groningen.
Die Idee war, dass nicht die komplette Medizinerausbildung am Standort in Bremen geleistet wird. Also dass Bremen nicht alle drei Phasen der Ausbildung vorhält, sondern sich einbringen kann in eine regionale Ausbildung mit einem Teil der oder mit zwei Teilen der Ausbildung. Das ist die prinzipielle Idee und das könnte man auch weiterhin diskutieren, wenn es um die Frage geht: Was könnten wir am Standort in Bremen leisten und wo ließen sich Kräfte mit einer anderen Universität bündeln?
Kritisiert am Vorschlag der Stiftung Bremer Wertpapierbörse wird, dass es dem sogenannten Masterplan Medizinstudium 2020 widerspricht. Der sieht ja, vereinfacht gesagt, eine engere Verzahnung von Theorie und Praxis vor.
Das ist sicher ein Argument, das gegen die Idee spricht, eine Fragmentierung oder Arbeitsteilung in der Medizinausbildung im Nordwesten vorzunehmen.
Bliebe ein weiteres Ideenpapier aus dem Jahr 2018. Die damalige Jacobs University hatte es gemeinsam mit dem Bremer Klinikkonzern Gesundheit Nord präsentiert. Die Rede war von 40 Studienplätzen pro Semester. Die Finanzierung blieb allerdings ungeklärt.
Auch darüber ist die Zeit ja hinweggegangen. Allein schon deshalb, weil die inzwischen in Constructor University umbenannte Hochschule sich ein ganz anderes Profil gegeben hat und stärker fokussiert auf Bereiche wie Datenwissenschaften, IT und Softwareentwicklung.
Bleibt noch das Wissenschaftsressort. Dort wird mittlerweile seit Jahren geprüft, ob es nicht doch Kooperationspartner für einen Medizinstudiengang geben könnte, ob in anderen Bundesländern oder im Ausland – bislang ergebnislos. Tauschen Sie sich dazu mit Senatorin Claudia Schilling aus?
Das Thema spielt schon hin und wieder in den Gesprächen mit dem Wissenschaftsressort eine Rolle. Aber es gibt derzeit keine konkreten, ausgereiften Pläne, in die wir einbezogen sind.
Und wie sieht es mit den bestehenden Gesundheitsstudiengängen aus?
Es gibt zum Beispiel die Pflegewissenschaften, wo wir auch eng mit der Hochschule Bremen zusammenarbeiten. Wir haben auch die Klinische Psychologie und Psychotherapeuten-Ausbildung, ebenso wie Studiengänge in den Neurowissenschaften, an denen unterschiedliche Fachbereiche wie Biologie, Gesundheitswissenschaften und Psychologie beteiligt sind. Das sind medizinnahe Berufe.
Wichtig ist aber, und das würde auch im Hinblick auf einen Medizinstudiengang gelten, dass wir nicht nur auf Ausbildung und Lehre schauen. Denn wir dürfen nicht vergessen, dass die Medizinerausbildung auch immer mit der Forschung gedacht werden muss. Das fehlt in vielen Konzeptpapieren. Wenn wir exzellente Wissenschaftler gewinnen wollen, müssen wir dafür Voraussetzungen schaffen.
Welche Voraussetzungen?
Ein Beispiel ist das Hochschulgesetz, das derzeit novelliert wird. Dort wird die viel diskutierte Verwendung von Tieren und von tierexperimenteller Forschung sehr stark eingeschränkt. Wenn wir aber wissenschaftliches Spitzenpersonal rekrutieren wollen, ist das für unseren Standort Bremen ein Nachteil. Das ist etwas, worüber auch an Standorten mit medizinischer Ausbildung diskutiert wird. Zum Beispiel am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, wo Ende Januar gerade ein neues Gebäude zur Forschungstierhaltung eröffnet worden ist. Dort hat die Wissenschaftssenatorin…
… Katharina Fegebank von den Grünen…
…gerade noch einmal betont, dass ohne Studien an Tieren medizinische Forschung und schnelle Entwicklungen wie der Corona-Impfstoff oder Therapien für Patienten mit Krebs kaum möglich wären. Auch das ist ein Aspekt, den wir in Bremen nicht aus den Augen verlieren sollten, wenn wir einerseits an so etwas Großes wie den Medizinstudiengang denken, andererseits aber auch an bestehende Studiengänge wie Neurowissenschaften oder Biologie.
Dieses Thema im Programm: Bremen Eins, Nachrichten, 8. Januar 2023, 9 Uhr