Interview

Braucht es spezielle Pflegedienste für queere Senioren?

Eine Altenpflegerin hält die Hand auf den Rücken einer Seniorin beim Spaziergang mit Rollator

AWO-Bundesvorstand: Warum es eine queere Pflege braucht

Bild: dpa | Westend61

Claus Bölicke von der AWO hält ambulante Pflegedienste für queere Senioren für wichtig. Er erklärt, warum queere Menschen im Alter oftmals spezielle Bedürfnisse haben.

Kommende Woche werden in Bremen wieder die Regenbogen-Flaggen rausgeholt, am 24. August findet der Christopher-Street-Day statt. Die Bremer LGBTQ+-Community macht in diesem Rahmen auf sich aufmerksam – und alle Themen, die für queere Menschen aktuell wichtig sind. Am Montag war dazu Claus Bölicke vom Bundesverband der Arbeiterwohlfahrt (AWO) zu Gast in Bremen, um einen Vortrag über Pflege für queere Menschen im Alter zu halten.

Viele queere Paare bleiben kinderlos und brauchen im Alter unter Umständen Unterstützung – zum Beispiel durch eine geschlechter- und gendergerechte Versorgung. Braucht es also einen queeren Pflegedienst? Claus Bölicke sagt: ja, klar. Im Interview mit Bremen Zwei erklärt er, warum eine spezielle, auf queere Menschen ausgerichtete Pflege sinnvoll ist und welche Pilotprojekte es bereits gibt – auch in Bremen.

Was verstehen Sie unter einer "geschlechter- und gendergerechten Versorgung" im Alter, Herr Bölicke?

Grundsätzlich geht es in der Pflege immer darum, individuell und den Bedürfnissen entsprechend zu pflegen. Aber bei gender- und geschlechtergerechter Pflege haben wir natürlich nochmal andere Anforderungen.

Aus der Erfahrung, die queere Menschen gemacht haben, durch Diskriminierung oder dadurch, dass sie sich verstecken oder verleugnen müssen, sind sie vielleicht auch nicht immer gleich so offen, wenn sie irgendwo neu hinkommen und niemanden kennen. Will man sich immer gleich outen?

Claus Bölicke, Bundesvorstand der AWO

Aber wenn ich eine Pflege erbringen will, eine Hilfestellung, die dem Menschen gerecht wird, brauche ich natürlich entsprechende Informationen. Ich muss so sensibel sein, dass ich nicht überrascht reagiere oder gewappnet bin, bestimmte Anzeichen zu deuten und mich darauf einstellen zu können.

Was macht ein queerer Pflegedienst anders als die, die es schon gibt?

Gerade bei einem ambulanten Dienst, der zum Beispiel in die Wohnung von Leuten geht: Dass ich die Menschen einfach erstmal so wahrnehme, wie sie sind, sie so akzeptiere und versuche, auf sie einzugehen. Das ist jetzt gar nicht so differenziert anders als bei nicht-queeren Menschen. Aber es ist eben eine andere Form von Lebensentwurf, der ich begegne, bis hin zu einzelnen, pflegerischen Belangen, auf die ich mehr achten muss, wenn es um trans- oder intergeschlechtliche Menschen geht, aufgrund von geschlechtsangleichenden Operationen oder Ähnlichem.

Gibt es denn so viele Menschen, dass sich ein queerer Pflegedienst wirtschaftlich rentabel umsetzen lässt?

Das muss man ein bisschen differenziert sehen. In stationären Einrichtungen, bei Pflegeheimen, wird das schwierig sein. Die haben sehr hohe Auslastungsvereinbarungen, das heißt, dass freiwerdende Zimmer relativ schnell wieder belegt werden müssen, weil sonst die Wirtschaftlichkeit gefährdet ist.

Bei ambulanten Diensten sieht es ein bisschen anders aus: Da haben wir auch vereinzelt Dienste, die sich auf queere Menschen spezialisiert haben, die häufig aus der HIV-Pflege in den 80er- und 90er-Jahren entstanden sind. Bei Pflegeheimen haben wir die Tendenz zu sagen: "Öffnet euch für queere Menschen, seid queersensibel, seid queerfreundlich, damit queere Menschen auch in euren Pflegeheimen gut aufgehoben sind", aber es wird wahrscheinlich keine reinen queeren Pflegeheime geben.

Stichwort Fachkräftemangel: Wir benötigen zum Beispiel Fachkräfte aus dem Ausland, das sind ja auch Menschen, die möglicherweise in weniger liberalen Gesellschaften aufgewachsen sind. Ist das ein Problem?

Wir beobachten eigentlich genau das Gegenteil. Wir haben nicht nur bei den Bewohnern, sondern auch bei den Beschäftigten eine Vielfalt. Was uns Einrichtungen, die in dem Bereich schon aktiv sind und sich queerfreundlich aufstellen sagen, ist, dass sie bei der Personalakquise davon profitieren, wenn man sich als Arbeitgeber dem Thema queerer Welten öffnet. Das ist ein Anzeiger für eine bestimmte Haltung und Offenheit. Es gibt auch unter Pflegekräften, glaube ich, eine höhere Quote an queeren Menschen, als das vielleicht in anderen Berufen der Fall ist.

Es gab ein Modellprojekt der AWO, von 2019 bis 2021, unter anderem in Pflegeheimen in Dortmund, Köln und Neu-Ulm. Was ist daraus geworden?

Das Modellprojekt ist gefördert worden vom Familien- und Seniorenministerium und das war explizit darauf angelegt, nicht gleich alle Einrichtungen queerfreundlich aufzustellen. Das Ziel war stattdessen, Materialien, Instrumente und Vorgehensweisen zu erproben und zu entwickeln, um die hinterher allen Einrichtungen zur Verfügung zu stellen, auch Einrichtungen von anderen Trägern.

Und genau das ist auch passiert: Wir haben Materialien entwickelt, Checklisten, wie kann ich gucken, wo ich stehe, wie kann ich Maßnahmen einleiten, um noch queerfreundlicher und queersensibler zu werden. Wir sind immer noch unterwegs, bewerben die Materialien. Es gibt zunehmend mehr Einrichtungen, die sich dafür interessieren, und so war das auch gedacht.

Das Interview führte Hendrik Plaß für Bremen Zwei, für butenunbinnen.de aufgeschrieben von Marcel Foltmer.

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Autor

  • Hendrik Plaß
    Hendrik Plaß Moderator

Quelle: buten un binnen.

Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Der Nachmittag, 13. August 2024, 15:10 Uhr