Bremer Initiative gibt pflegenden Angehörigen eine Auszeit

"Hol mal Luft": Bremer Stiftung ermöglicht pflegenden Angehörigen eine Pause

Bild: Radio Bremen

Gertrud Bäumer pflegt ihren dementen Mann. Im Alltag muss sie deshalb auf vieles verzichten. Ein Projekt ermöglicht ihr und anderen Pflegenden einen Abend Pause.

Als ihr Mann vor acht Jahren die Diagnose Demenz bekam, wusste die ehemalige Krankenschwester, was das bedeuten könnte. Und trotzdem, sagt Gertrud Bäumer, hoffte sie in den vergangenen Jahren immer wieder, dass sich seine Krankheit abmildert. "Das passiert aber nie", meint sie heute. Seit 45 Jahren wohnen sie und ihr Mann Klaus Bäumer in ihrem Haus in Bremen-Osterholz.

Eine Frau hilft ihrem dementen Mann beim Treppensteigen
Gertrud Bäumer wusste schon vor der Diagnose, was Pflege bedeutet. Bild: Radio Bremen

Mittlerweile weiß er nicht mal mehr, wo das Schlafzimmer ist. Dabei sagt Gertrud, gäbe es hin und wieder auch lustige Momente. So hat ihr Mann ihr vor Kurzem wieder einen Heiratsantrag gemacht. An schlechten Tagen hingegen muss sie ihm aber ihren Ausweis zeigen, damit er glaubt, dass sie zusammenleben.

Seniorin pflegt ihren Mann zuhause

Seine Krankheit verlangt der Seniorin viel ab. Einkaufen, Wäsche machen, Dinge erledigen – das kann Gertrud Bäumer nur in der Zeit, wenn ihr Mann Klaus in der Tagespflege ist. Nach 16 Uhr, nachts, am Wochenende und an Feiertagen pflegt sie ihn zuhause. Dabei ist sie auch schon 81 Jahre alt. "Ich sage ihm manchmal: Ich bin auch alt. Ich muss mich ausruhen", erklärt sie, doch das werde von ihrem Mann nicht wirklich registriert.

Eine Frau bei der Arbeit am Schreibtisch
Mit der Pflege ihres Mannes hat Gertrud Bäumer nur selten bis gar keine Pausen. Bild: Radio Bremen

Das Anstrengendste sei: Immer zuständig zu sein. Und doch möchte sie ihren Mann nicht in einem Pflegeheim abgeben. Sie habe gesehen, was das mit ihm macht, als sie selbst eine Hüft-Operation hatte. Da musste er für eine Woche ins Pflegeheim und sei dort völlig verloren umher geirrt.

Wer zuhause pflegt, verzichtet auf Vieles. Das hören Eberhard Muras von der "Bürgerstiftung Bremen" und Volker Donk vom "Netzwerk Selbsthilfe" oft. Beide arbeiten mit Menschen zusammen, die jemanden zuhause pflegen und wissen: Mit der Aufgabe verlieren sich Einige selbst. "Ich mache das gerne, dass ich frage: Was würdest du gerne mal nächste Woche machen?", erklärt Volker Donk, "und es gibt ein großes Schweigen, weil Menschen es nicht mehr wissen."

Projekt ermöglicht Ausflug für die Pflegenden

"Rund fünf Millionen pflegebedürftige Menschen gibt es in Deutschland", weiß Eberhard Muras. "Vier Millionen werden zuhause gepflegt. Der größte Pflegedienst sind also Angehörige und was die durchmachen, wird kaum gesehen." Donk und Muras haben sich deshalb ein Projekt ausgedacht: "Hol Mal Luft". Die Initiative der Bürgerstiftung Bremen versucht, pflegenden Angehörigen eine kleine Auszeit zu ermöglichen mit einem Restaurantbesuch.

Ein Taxi holt sie ab, in der Zeit des Restaurantbesuchs gibt es für die Angehörigen eine Betreuung. Eberhard Muras sagt: "Diese Menschen haben oft seit Jahren nichts mehr für sich selbst gemacht." Er ist bei dem Treffen immer dabei und sorgt auch dafür, dass sie im Restaurant keine Pizza wählen, weil: "Tiefkühlpizza gibt es bei vielen eh oft, ich finde, hier soll es sich jeder gut gehen lassen."

Seniorin Gertrud kann beim Ausflug kurz abschalten

Auch Gertrud Bäumer ist eingeladen. Es ist das erste Mal seit sechs Jahren, dass sie abends alleine ausgeht. Die Rentnerin weiß gar nicht, wie sie sich dabei fühlen soll.

Mal ein bisschen rauszukommen, ich werde sehen, wie es ist. Ich bin neugierig und kriege das hin, dass ich nicht dauernd an meinen Mann denke.

Gertrud Bäumer

Mit dem Taxi geht es für sie zu einer Trattoria am Stadtwald. Eberhard Muras und Volker Donk erwarten sie schon und begleiten sie und neun weitere Gäste ins Restaurant. Es ist ein Treffen unter Gleichgesinnten, denn jeder in dieser Gruppe pflegt zuhause jemanden.

Drei Frauen sitzen an einem Tisch, zwei unterhalten sich miteinander
Die Bürgerstiftung bringt die Pflegenden für die Auszeit an dem Abend zusammen. Bild: Radio Bremen

Mal nicht selbst kochen zu müssen, sich in Ruhe mit anderen austauschen zu können. In dieser Runde fühlt sich Gertrud Bäumer wohl. Die Bürgerstiftung Bremen will sich mit diesem Abend bei ihnen bedanken: "Danke, dass Sie so eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe machen", prostet Eberhard Muras den Gästen am Tisch zu, "und heute heißt es für Sie: Hol mal Luft!".

Und wie geht es Gertrud Bäumer? Ab und zu denkt sich doch an ihren Klaus: "Man muss sich doch ein bisschen freischaufeln, aber es ist alles okay. Es ist schön in der Runde." Sie genießt es, kurz abschalten zu können. Schon später am Abend wird sie sich wieder um den Mann kümmern, mit dem sie seit 59 Jahren verheiratet ist.

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Autorin

  • Anna-Lena Borchert
    Anna-Lena Borchert Autorin

Quelle: buten un binnen.

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 4. Juli 2024, 19:30 Uhr