Hintergrund

Zoff um Prostitution: Bremens Rotlichtviertel war immer umstritten

Eingang zur Helenenstraße in den 70er-Jahren.
Die Helenenstraße, hier in den 1970er Jahren, war seit ihrer Erbauung, Vorzeigeprojekt für die einen und Stein des Anstoßes für die anderen. Bild: Staatsarchiv Bremen

Die Helenenstraße bleibt ein Ort für käuflichen Sex, hat die Koalition beschlossen. Doch wie wurde die Straße eigentlich, was sie ist? Ein Rückblick auf 150 Jahre.

Weder wird sie geschlossen, noch wird sie ausgebaut, die Bremer Helenenstraße. Darauf haben sich Bremens Koalitionäre nach einer kontroversen Debatte in dieser Woche geeinigt. Es ist nicht das erste Mal, dass Investoren an unterschiedlichen Interessen um Bremens bekannteste Sackgasse scheitern. Ein Rückblick.

1 1873: Nach der Anwohnerin Helene Engelken benannt

Der Antrag für den Bau der heutigen Helenenstraße reicht genau 150 Jahre zurück. 1873 stellte ihn der Bremer Bauunternehmer Carl Philip Weiland. Bebaut wurde die neue Straße dann bis 1878 mit Altbremer Häusern.

Wie damals üblich, wählte der Investor selbst den Namen der Straße aus. Weiland entschied sich wohl deshalb für Helenenstraße, weil er sich dadurch erhoffte, die Gunst der Anwohnerin Helene Engelken zu gewinnen. Denn er hoffte, über deren Grundstück seine vom "Vor dem Steintor" ausgehende Straße später in die Schmidtstraße abbiegen lassen zu können. Der Verkauf des Engelken-Grundstücks scheiterte letztlich. Doch der Name der Sackgasse blieb.

Hier können Sie sich externe Inhalte (Text, Bild, Video…) von TikTok anzeigen lassen

Stimmen Sie zu, stellt Ihr Browser eine Verbindung mit dem Anbieter her.
Mehr Infos zum Thema Datenschutz.

2 1878: Senat sieht Bordellstraße als Modell für Deutschland

In den 1870er Jahren suchte der Senat nach einem Ort, um die in der Hafenstadt Bremen verbreitete Prostitution besser kontrollieren zu können. Bald fiel der Blick auf die damals noch am Rand der Innenstadt gelegene Helenenstraße. Per Erlass wies der Senat sie so 1878 als Bordellstraße aus. Hier sollten Frauen künftig einer "controllierten und reglementierten Prostitution" nachgehen können.

Ziel einer "controllierten und reglementierten Prostitution".

Begründung der Schaffung der Bordellstraße 1878 im Bremer Senat

Jede Prostituierte wurde dazu registriert. Um Geschlechtskrankheiten zu verhindern, gab es Toiletten und eine Badestube. Die Nutzung von Kondomen wurde vorgeschrieben und die Gesundheit der Frauen wöchentlich durch Ärzte überwacht. Am Eingang der Straße errichtete die Stadt sogar eine Polizeiwache, um Zuhälterei und Rotlicht-Kriminalität zu verhindern. Nebenbei sollte so auch unterbunden werden, dass die "Controlldirnen" außerhalb der Helenenstraße Männer ansprachen.

Der Senat war so zufrieden mit der damals ersten kontrollierten Bordellzone im Deutschen Reich, dass er den Straßenzug sogar aus Holz modellieren ließ und damit auf Ausstellungen und Messen in Moskau, Paris und New York für eine moderne Gesundheitspolitik nach Bremer Modell warb.

3 1926: Verbot und Umbenennung in Frankenstraße

Doch auch die Kritik an der Bordellstraße kam schon früh auf. Zuerst nach der Senatsentscheidung, die Sackgasse zum zentralen Ort der Sexarbeit in Bremen zu machen. Ein Jahr nach der Entscheidung sammelten Bewohner des Steintorviertels 1879 mehr als 2.000 Unterschriften für eine Petition zur "Fortschaffung der Controlldirnen". Zwar scheiterte die Petition, doch der Ärger blieb.

1926 waren es schließlich Vertreterinnen der Bremer Frauenbewegung, vereint mit kommunistischen und sozialdemokratischen Abgeordneten der Bremer Bürgerschaft, die der Prostitution in der Helenenstraße doch ein Ende setzten. Um dem Nachdruck zu verleihen, nannte Bremen die Straße sogar in Frankenstraße um.

4 1934: Nazis führen Prostitution und Namen wieder ein

Historische Aufnahme der zerstörten Helenenstraße nach einem Bombenangriff
Sie zerbombten Häuser der einst prachtvollen Helenenstraße nach einem Fliegerangriff im Zweiten Weltkrieg. Bild: Staatsarchiv Bremen

Das Verbot von 1926 hatte allerdings wenig Wirkung. Denn damit ging die Nachfrage nach Prostitution nicht zurück. Darüber hinaus waren viele der Sexarbeiterinnen in der Frankenstraße inzwischen zu Eigentümerinnen der dortigen Häuser geworden. Sie gingen dem "horizontalen Gewerbe" dort von nun an einfach illegal nach.

1934 schafften die Nazis, die mittlerweile in Bremen das Sagen hatten, das Verbot wieder ab. Zwei Jahre später hieß die Frankenstraße auch wieder Helenenstraße.

5 Zweiter Weltkrieg: Helenenstraße wird zerstört

Dem von den Nazis entfachten Zweiten Weltkrieg hielt die Helenenstraße jedoch nicht stand. Bei Luftangriffen der Briten wurden die in der Gründerzeit entstandenen Altbremer Häuser weitgehend zerstört. Und in den Jahren des Wiederaufbaus legte die Stadt keine Priorität darauf, Bremens bekannteste Sackgasse wieder herzurichten. So erklären sich bis heute die an Schrebergärten erinnernden "Butzen", in denen die Frauen der Helenenstraße in spärlichen Kleidern für Kunden werben. Sie sind aus und auf den Trümmern der früheren Häuser entstanden.

6 Nach dem Krieg: legal aber sittenwidrig

Historische Aufnahme der Helenenstraße in den 60er-Jahren
Die Altbremer Häuser in der Helenenstraße wurden nach dem Zweiten Weltkrieg nicht wieder aufgebaut. Hier ein Bild der Straße aus den 1960er Jahren. Bild: Staatsarchiv Bremen

Im westlichen Nachkriegsdeutschland galt Prostitution zwar als legal, aber auch als sittenwidrig. Noch 1965 wurde das Gewerbe durch ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts als gemeinschaftsschädlich eingestuft – und Prostitutierte somit praktisch Berufsverbrechern gleichgestellt.

Doch in den folgenden Jahrzehnten änderte sich dies. Die Prostitution wurde nach und nach als Arbeit anerkannt. Mit der Folge, dass auch die Sexarbeiterinnen in der Helenenstraße bald zur Einkommenssteuerabgabe verpflichtet wurden.

Bremen förderte die Geschäfte der "Dirnen" in der Bordellstraße Anfang der 1970er Jahre auch dadurch, dass es den Straßenstrich fast im gesamten Stadtgebiet verbot – mit Ausnahme eines Abschnitts im Holzhafen.

Die Helenenstraße 1971

Bild: Radio Bremen

7 2002: Tiefpunkt und Umbaupläne

Gegen Ende des 20. Jahrhunderts wurde die Helenenstraße mit ihrem hinter Schutzwänden versteckten Schrebergartenflair jedoch immer mehr zum Auslaufmodell. Dafür gab es mehrere Gründe. So führte die Liberalisierung der Branche um die Jahrtausendwende seit den 1990er Jahren nicht nur zur Eröffnung neuer Großbordelle. Es entstanden auch immer mehr so genannte Modellwohnungen für selbstständig arbeitende Prostituierte für die "Wohnungsprostitution". Statt in die Helenenstraße, zog es die Freier so in Stadtteile wie Gröpelingen oder Walle.

  • Die Helenenstraße 2001

    x

8 2007: Privatmieter ziehen in die Helenenstraße ein

Der Wandel der Helenenstraße setzte sich auch fort, als die Europäische Union sich 2004 um zunächst zehn osteuropäische Staaten erweiterte und 2007 dann in einem zweiten Schritt auch Rumänien und Bulgarien Teil der EU wurden.

Die Freizügigkeit der Arbeitnehmerinnen auf dem europäischen Binnenmarkt veränderte auch das Bild der Helenenstraße. Bald wurde dort vor allem Bulgarisch und Rumänisch gesprochen.

Die kleinen Wohnungen blieben zudem immer öfter leer. Aus ihrer Not heraus begannen die Hauseigentümerinnen 2007 damit, ihre möblierten Zimmer nicht mehr nur an Sexarbeiterinnen, sondern auch an "mutige junge Männer" zu vermieten, die mitten in Bremen günstig wohnen wollten.

  • Die Helenenstraße 2009

    x

9 2020: Die Mauer muss weg

Blick durch ein Loch der Sichtschutzwand in die Helenenstraße
Der vor einigen Jahren neugestaltete Eingangsbereich der Helenenstraße gewährt dezente Einblicke ins Bremer Rotlichtmilieu. Bild: Radio Bremen | Christian Bordeaux

2020 entschied Bremens Bauressort, die Mauer vor der Helenenstraße abzureißen. Denn illegal abgestellter Müll und Wandpinkler waren zum Ärgernis für Anwohnerinnen und Anwohner geworden. Ersetzt wurde die Wand durch ein öffentliches Urinal und Fahrradständer.

2021 wurde der Eingang der Bordellstraße schließlich durch den Künstler Sebastian Dannenberg mit dem Kunstwerk "BETWEEN" umgestaltet, das inzwischen die Fassaden links und rechts des Eingangsbereichs ziert.

10 2023: Ausbaupläne scheitern

Für Zoff und Streit sorgte das Bremer Rotlichtviertel nun erneut in diesem Jahr. Anlass waren mehrere Bauanträge, die beim Bremer Bauressort eingereicht worden waren. Ihre Umsetzung hätte bedeutet, dass sich die Zahl der "Arbeitsräume" in der Helenenstraße von derzeit 51 auf voraussichtlich 130 erhöht hätte.

Doch die Pläne des Investors sind mittlerweile wieder vom Tisch. Denn die Koalition aus SPD, Grünen und Linken hat sich nach intensiver Debatte dagegen entscheiden, die Prostitution in der Helenenstraße über das heutige Maß auszuweiten. Das Projekt wurde abgelehnt.

Sexarbeit in Bremen: Koalition stoppt Ausbaupläne in der Helenenstraße

Bild: Radio Bremen

Autor

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 14. November 2023, 19:30 Uhr