Aufnahme junger Flüchtlinge in Bremerhaven: Wie fällt die Bilanz aus?

Zwei Jugendliche blicken auf ein Smartphone.
Bild: dpa | Arne Dedert

Seit einem Jahr kümmert sich die Stadt Bremen nicht mehr allein um die Erstaufnahme unbegleiteter Minderjähriger. Ein Fünftel wird in Bremerhaven versorgt. So läuft es.

In Bremen kommen seit Jahren mehr unbegleitete junge Flüchtlinge an, als das Land aufnehmen müsste. Das zeigen die Aufnahme-Quoten für jedes Bundesland. Bremens Quote sinkt zwar, liegt aber immer noch bei mehr als 200 Prozent über dem Aufnahme-Soll. Lange hat die Stadt Bremen das alleine bewältigt. Seit einem Jahr ist nun auch Bremerhaven dabei. In nur wenigen Monaten ist im Stadtteil Leherheide eine Erstaufnahmeeinrichtung für die jungen Geflüchteten entstanden. Wie gut klappt die Erstaufnahme in Bremerhaven zum Jahrestag?

Ein Vogel singt vor dem grauen Haus an der Fritz-Erler-Straße in Leherheide, Typ Verwaltungsgebäude. In der Erstaufnahmeeinrichtung – "Erle" genannt – leben derzeit 20 vor Not und Krieg geflüchtete Jugendliche, zwischen 14 und 18 Jahre alt. Die meisten von ihnen kommen aus Syrien, Somalia, Gambia und Afghanistan.

Die jungen Menschen kommen teilweise hoch traumatisiert aus ihren Heimatländern, machen sehr negative Erfahrungen auf der Flucht. In dieser Situation stehen sie dann vor unserer Tür. Sie da abzuholen und ihnen zu zeigen, dass sie jetzt einen Ort erreicht haben, wo sie keine Angst mehr zu haben brauchen, das ist eine zentrale Aufgabe.

David Paast, Leiter der Erstaufnahmeeinrichtung "Erle"

Bremerhaven war zunächst skeptisch

An einem flachen Gebäude steht ein roter Container.
Die "Erle" in Bremerhaven wird vom Roten Kreuz betrieben. Bild: Radio Bremen | Mirjam Benecke

Seit April 2023 gilt im Land Bremen die 80/20-Regelung. Das heißt: 20 Prozent der geflüchteten Jugendlichen kommen erstmal nach Bremerhaven. Die Kosten trägt das Land. Im Jahr 2022 kamen 15 unbegleitete minderjährige Geflüchtete nach Bremerhaven, 2023 waren es 165. Der Großteil sind Jungen. Sie kommen in die "Erle". Um die wenigen Mädchen kümmert sich die Jugendhilfe.

Rückblick: Vor einem Jahr stößt die Stadt Bremen an ihre Grenzen. Es kommen viele unbegleitete minderjährige Geflüchtete – nur wenige werden umverteilt. Es fehlt in der Stadt an Platz und Betreuungspersonal. Als Bremen dann im April die 80/20-Regelung einführt, sei Bremerhaven erstmal skeptisch gewesen, erinnert sich Bremerhavens Sozialdezernent Martin Günthner (SPD).

Gleichzeitig gehört zur Wahrheit, dass wir über einen sehr langen Zeitraum sehr wenige unbegleitete minderjährige Geflüchtete gehabt haben. Und zur innerbremischen Solidarität gehört, der anderen Stadt im Bundesland zu helfen. Das funktioniert ausgesprochen gut bisher.

Martin Günthner, Bremerhavener Sozialdezernent

Sozialsenatorin kommt zum Jahrestag

Ein Jahr Erstaufnahme in Bremerhaven: Anlass auch für Bremens Sozialsenatorin Claudia Schilling (SPD), sich in der "Erle" in Leherheide umzusehen.

Was mich beeindruckt hat, als ich in die Einrichtung kam, war die Ruhe die dort herrschte. Wir konnten sehen, dass da viele Jugendliche saßen, die gerade im Deutschunterricht waren und total interessiert zugehört haben. Ich bin sehr zufrieden, wie das hier bisher läuft.

Claudia Schilling, Bremer Sozialsenatorin

Die Presse ist beim Rundgang durch die Erstaufnahmestelle "Erle" nicht dabei. Der Schutz der minderjährigen Flüchtlinge geht vor. Die Jugendlichen bleiben etwa einen Monat vor Ort. Danach werden die meisten in andere Bundesländer weiterverteilt. Auch, damit Bremen seine hohe Aufnahme-Quote senken kann. Die "Erle" ist also eine Übergangsstation – aber eine Wichtige, sagt Einrichtungsleiter Paast.

Ich bezeichne unsere Einrichtung gern als eine Art Brackwasserzone, wo sich Salz- und Süßwasser mischen, um einen sanften Übergang zu schaffen. Kein abruptes Ende der alten Heimat, kein überfallartiger Beginn der neuen. Sondern ein gelingender Übergang. Wir meinen, dass das die Integration möglicher und besser macht.

David Paast, Leiter der Erstaufnahmeeinrichtung "Erle"

Freitags gibt es Fisch

In der Erstaufnahmestelle werden die Jugendlichen medizinisch untersucht. Das Jugendamt prüft Alter und Herkunft und sucht nach Verwandten in Deutschland. Täglich bekommen die Jugendlichen Deutschunterricht. Auf dem Speiseplan stehen viele arabische Gerichte, freitags gibt es Fisch. Eine Besonderheit: Im Team der "Erle" arbeiten Menschen, die zum Teil selbst geflüchtet sind.

Psychologen aus dem Iran, Ärzte aus Syrien, Lehrer aus der Ukraine – wir können aus dem arabischen Raum de facto jede Sprache abdecken, auch aus anderen Gebieten. Wir sind froh, dass wir zu 90 Prozent mit den Jungen eine gemeinsame Sprache sprechen können.

David Paast, Leiter der Erstaufnahmeeinrichtung "Erle"

Die Polizei, darauf ist Paast ein bisschen stolz, musste noch nicht ein einziges Mal zur "Erle" gerufen werden: "Durch das Zusammenleben vieler Jungen gibt es natürlich immer wieder Probleme, aber wir können die alle gut und friedlich innerhalb des Hauses lösen." Für Bremerhaven war es ein ganz schöner Kraftakt. Aber der Kraftakt – da sind sich Jugendamt, Sozialressort und Rotes Kreuz einig – hat sich gelohnt.

Angekommen in Bremen: Wo finden junge Geflüchtete Unterstützung?

Bild: Radio Bremen

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Autorin

  • Mirjam Benecke
    Mirjam Benecke Volontärin

Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Der Nachmittag, 8. April 2024, 16:35 Uhr