Interview
Bremer Klimaaktivistin ruft zu "Widerstands-Frühling" auf
Die Letzte Generation plant "ungehorsame Versammlungen" statt Klebeaktionen. Im Gespräch mit buten un binnen erklärt Sprecherin Carla Hinrichs den Strategiewechsel.
Frau Hinrichs, auf Ihrer Homepage ist ein Countdown, der liegt gerade bei zwei Tagen und einigen Stunden, darüber die Zeile "ein neues Kapitel beginnt". Was genau beginnt denn da für neues Kapitel?
Wir haben einiges vor für das neue Jahr. Dieser Frühling soll wirklich zum Widerstands-Frühling werden, der soll ganz viele Menschen zusammenbringen auf den Straßen. Was wir genau vorhaben, erzählen wir am Montag.
Was Sie aber schon angekündigt haben, sind die ersten dieser ungehorsamen Versammlungen. Auch in Bremen ist was geplant, am 16. März. Was genau muss ich mir denn unter einer ungehorsamen Versammlung vorstellen?
Darunter muss man sich eigentlich das vorstellen, was das Wort auch sagt. Wir wollen uns versammeln, wir wollen in diesen Krisenzeiten, wo wirklich gerade alles, was uns lieb ist, auf dem Spiel steht – und das muss man sich nochmal auf der Zunge zergehen lassen, es ist einfach so – wollen wir uns versammeln, als Bürgerinnen dieses Landes zusammenkommen und unsere Meinung kundtun. Und das aber auch ungehorsam. Also selbst wenn die Polizei oder die Regierung sagt ‚Nein, wir haben das hier gerade nicht so gerne, wir haben nicht so richtig Lust auf Leute, die uns die ganze Zeit den Arsch aufreißen und sagen das, was ihr macht, reicht nicht. Wir wollen euch weghaben‘, dann sind wir auch bereit zu bleiben.
So ganz haben Sie den Ungehorsam also nicht abgelegt. Aber sie haben klar gesagt, dass es diese Klebeaktionen nicht mehr geben wird. Warum dieser Strategiewechsel?
Weil die Situation, in der wir antreten, sich verändert hat. Wir haben jetzt zwei Jahre lang die Rolle in der Gesellschaft eingenommen, wo eigentlich niemand Bock drauf hat: der Überbringer der schlechten Botschaft. Wirklich auszusprechen, was hier gerade passiert. Wir haben jetzt den Hitze-Februar des Jahrtausends, also seit den Wetteraufzeichnungen, hinter uns. Es wird immer nur schlimmer und schlimmer und schlimmer. Sozial ungerecht wird dieses Land auch immer mehr. Das heißt, wir haben eine Situation, in der können wir als Bürgerinnen nicht mehr wegsehen. In der Situation sind wir einfach in der Verantwortung aufzustehen. Und das versuchen wir gerade zu tun.
Indem Sie die Botschaft sozusagen positiv verkaufen und nicht mehr negativ – ist das auch ein Stückweit ein Eingeständnis okay, der andere Weg, der hat nicht funktioniert. Damit haben wir die Menschen nur gegen uns aufgebracht, aber nicht für unsere Sache gewinnen können?
Ungehorsam wird unser Protest bleiben. Aber die Situation hat sich verändert. Wir haben gesehen, dass die Gewalt auf den Straßen gestiegen ist, dass die Repressionen für Menschen total schlimm geworden sind. Dass Menschen teilweise jetzt ins Gefängnis gehen sollen, dafür, dass sie den Verkehr unterbrochen haben, um auf unseren Verfassungsschutz hinzuweisen. Diese Situation hat sich einfach verändert. Und deswegen sagen wir okay, wir machen nicht mehr diese vereinzelten, kleinen Straßenblockaden, sondern wir wollen gemeinsam zusammenkommen und gemeinsam protestieren und gemeinsam auch unterbrechen. Dann brauchen wir den Kleber einfach nicht mehr, weil wir so viele sind.
Sie haben die Urteile angesprochen. Viele von ihnen sind auch zu relativ hohen Geldstrafen verurteilt worden, die man auch erst mal bezahlen können muss. Konnten Sie sich diese Form des Protestes auch schlichtweg nicht mehr leisten?
Wir Menschen, wir tragen diesen Widerstand in unserem Herzen. Wir sagen, wir gehen auf die Straße, weil es gerade nicht anders geht, weil wir so dramatische Auswirkungen in dieser Klimakatastrophe aber auch gesellschaftlich jetzt schon sehen. Dass unsere Demokratie auf dem Spiel steht, dass unsere Zukunft auf dem Spiel steht, dass wir uns einfach versammeln müssen. Da bin ich nicht davor zurückgescheut, dass ich die Konsequenzen dafür tragen möchte. Ich halte mein Verhalten immer noch nicht für strafbar, weil wir in einer Notsituation sind und das deswegen gerechtfertigt ist.
Gut, das haben Gerichte anders gesehen. Jetzt wollen Sie tatsächlich ins Europaparlament. Ist das ein PR-Gag? Oder ist es wirklich ernst gemeint?
Das ist wirklich ernst gemeint, denn wir haben wirklich als junge Menschen keinen Bock mehr drauf, irgendwo ein Kreuz zu machen, wo wir denken. Das ist das kleinste Übel, so. Wir wollen im Kreuz da machen, wo wir daran glauben. Wir glauben an den Protest. Wir glauben, das wirklich tiefgründiger Wandel passieren kann, wenn viele Menschen aufstehen und protestieren. Und diesen Protest, den tragen wir in alle Bereiche der Gesellschaft und so einfach auch jetzt ins Parlament.
Nehmen wir mal an, dass das klappt: Was haben Sie da vor im Europäischen Parlament? Wie muss ich mir Politik der Letzten Generation vorstellen?
Also wir haben gesagt, wir wollen da nicht einfach mitmischen. Wir glauben nicht daran, dass die Parlamente das lösen werden. Wir wollen da aufmischen. Man muss sich das so vorstellen als würde da wirklich dieser Riesen pinke Elefant im Europaparlament – eigentlich in all unseren Räumen, hier haben wir ihn auch vor Ort – sitzen. Das ist die Klimakatastrophe, das ist der Zusammenbruch unserer Gesellschaften, der uns bevorsteht, und alle ignorieren den. Und unser Job ist es, den vor die Kamera zu zerren. Und da muss man ein bisschen kreativ sein. Wenn man uns kennt, dann weiß man, dass wir alle möglichen Protestformen anwenden. Was wir genau machen, das kann ich noch nicht verraten.
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 8. März 2024, 19:30 Uhr