Infografik
Bangen um Bremens Stahlwerk-Umbau: Diese 5 Folgen hätte eine Absage
Wird in Bremen bald "grüner Stahl" gewalzt oder bleibt die nötige Milliarden-Investition durch ArcelorMittal aus? Im letzteren Fall wären dies die Konsequenzen.
Grün sein oder nicht sein? Diese Frage treibt derzeit Bremens Stahlwerker um. Denn ihr Betriebsrat hat Alarm geschlagen und für diesen Dienstag zu einer Betriebsversammlung geladen. Der Grund: Dem klimaschonenden Umbau des Bremer Standorts droht das Aus. Dies gehe aus Gesprächen mit Betriebsratskollegen in Belgien hervor, heißt es. Dem dortigen Management zufolge sollen nur noch drei Stahlstandorte in Europa mit einem Elektrolichtbogenofen ausgestattet werden – Bremen sei nicht darunter.
ArcelorMittal hingegen wiegelt ab. Ob in Bremen bis 2030 weit mehr als eine Milliarde Euro in den klimafreundlichen Umbau investiert werde, entscheide sich weiterhin erst im kommenden Jahr, teilt der Konzern auf Nachfrage von buten un binnen mit.
So steht zwar Aussage gegen Aussage. Doch die Folgen, die eine verschobene oder gar abgesagte Transformation des Bremer Stahlwerks hätte, werden längst diskutiert. Ein Überblick.
1 Arbeitsplätze: Mehr als 3.300 Jobs in Gefahr
Das Bremer Stahlwerk zählt zu den größten Deutschlands. Im Werk selbst sind laut ArcelorMittal rund 3.300 Mitarbeiter beschäftigt. Darüber hinaus sind einer Studie der Arbeitnehmerkammer zufolge allein in Bremen rund 4.700 Arbeitsplätze direkt oder indirekt mit dem Standort verknüpft. Ein Viertel der Zulieferer stammt demnach aus der Hansestadt. Bundesweit sollen laut Studie sogar rund 19.000 Jobs vom Bremer Stahlwerk abhängen.
Bremens Stahlwerk in Zahlen
Sollte der Konzern seine Dekarbonisierungsstrategie tatsächlich ändern und die milliardenschweren Investitionen im ersten Schritt nicht in Bremen tätigen, sei dies "für das Bremer Stahlwerk eine Existenzfrage", warnen IG Metall und Betriebsrat.
"Alle Vorbereitungen laufen ja darauf hinaus, dass wir grünen Stahl produzieren", sagt Ute Buggeln, Geschäftsführerin der IG Metall Bremen. Seit Jahren werde das vorbereitet, ein Benchmark von einem Team in Bremen auch für andere Werke entwickelt. Dazu gebe es keine Alternative.
Aus unserer Perspektive reden wir darüber, wie wir den Umbau in Bremen gestalten – und nicht ob!
Ute Buggeln, Geschäftsführerin der IG Metall Bremen
Auch für die Politik ist die Transformation des Bremer Stahlwerks praktisch alternativlos. "Der Verzicht auf die Dekarbonisierung des Stahlwerkes wäre ein schwerer Schlag für den Industriestandort Bremen und würde tausende Arbeitsplätze gefährden", sagt Bremens Senatssprecher Christian Dohle.
2 Ausbildungsplätze: Verdoppelung auch ohne Umbau?
Im Juni kündigte ArcelorMittal an, im Bremer Stahlwerk künftig bis zu 400 Azubis gleichzeitig auszubilden – doppelt so viele wie bisher. Als ein Grund wurde die Umstellung auf klimafreundliche Technik genannt.
Auf Nachfrage buten un binnens bestätigt der Konzern nun allerdings, dass die 400 Auszubildenden unabhängig von der Transformation des Werks eingestellt werden sollen.
Auch Betriebsrat und IG Metall verweisen auf die Notwendigkeit der Ausbildungsoffensive. Denn der Altersdurchschnitt der Mitarbeitenden im Bremer Werk sei derzeit vergleichsweise hoch.
3 Fördergelder: Was würde aus Bremens 250 Millionen Euro?
Die Bremische Bürgerschaft hat im November beschlossen, rund 250 Millionen Euro für die klimaangepasste Umrüstung des Stahlwerks auf ein Treuhandkonto zu buchen. So soll es, unabhängig vom Haushalt, auch in den kommenden Jahren zur Verfügung stehen, um den auf viele Jahre angelegten Umbau der Industrieanlage finanziell zu fördern.
"Die Treuhandschaft endet im Normalfall, sobald alle Zahlungen im Zusammenhang mit den Förderbescheiden abgeschlossen sind", sagt Wirtschaftsressort-Sprecher Christoph Sonnenberg. Sollte ArcelorMittal allerdings offiziell erklären, die Investition nicht durchzuführen, würde der Förderbescheid seitens des Bundes aufgehoben werden. Der Bund zahlt nach derzeitigen Plänen – neben Bremen – den Rest der Gesamtfördersumme von 840 Millionen Euro, die für die ArcelorMittal-Werke in Bremen und Eisenhüttenstadt bereit liegt.
"Für diesen Fall würde das verbleibende Geld aus dem Treuhandvermögen auf ein Sonderkonto übertragen", sagt Sonnenberg. Von dort aus würde es dann ausschließlich zur Sondertilgung von Krediten verwendet, die für den klimaneutralen Umbau der Wirtschaft aufgenommen wurden.
4 Wasserstoff-Strategie: Was passierte mit geplanten Projekten?
Insgesamt planen Bund und Land auch eine gemeinsame Förderung in Höhe von rund 65 Millionen Euro für eine nachhaltige Wasserstoff-Infrastruktur am Standort Bremen.
Beim Projekt "Clean Hydrogen Coastline" geht es für Bremen beispielsweise um den Aufbau einer Wasserstoff-Elektrolyse in einer Größenordnung von 50 Megawatt – zum Vergleich: damit könnten etwa 1.000 Elektroautos pro Stunde vollständig geladen werden. Errichtet werden soll die Anlage am Standort des Kraftwerks Mittelsbüren, das an das Bremer Stahlwerk grenzt. Dort ist geplant, mit dem Wasserstoff grünen Stahl zu produzieren.
Ohne den Umbau des Stahlwerks würde diese Investition allerdings kaum Sinn ergeben. "Wir brauchen den Umbau des Stahlwerk, um die gesamte Wasserstoff-Strategie in Bremen voranzutreiben", sagt daher auch IG-Metall-Geschäftsführerin Ute Buggeln.
5 Klimaziele: Das Stahlwerk ist die halbe Miete
Massive Folgen hätte ein verzögerter oder gar abgesagter Umbau des Stahlwerks auch für Bremens Klimapolitik. Denn von den 2022 mehr als zehn Millionen ausgestoßenen Tonnen CO2 im Land Bremen gehen der Umweltbehörde zufolge rund die Hälfte auf das Stahlwerk zurück. Die CO2-Menge, die Bremen einsparen müsste, um die von der Enquete-Klimakommission 2022 festgelegten Klimaschutzziele bis 2030 zu erreichen, ist daher ohne den Beitrag des Stahlwerks so gut wie nicht zu erreichen.
Beim Posten Verkehr hat die Kommission beispielsweise empfohlen, den Anteil der Elektroautos am Pkw-Bestand schon kurzfristig auf 15 Prozent zu steigen, bis 2030 dann auf 50 Prozent. Im vergangenen Jahr lag der Anteil aber gerade mal bei gut zwei Prozent.
Beim Gebäudebestand hat die Kommission zudem eine Sanierungsquote von 3,2 Prozent pro Jahr empfohlen. Gemessen an dieser Zielvorgabe müsste in Bremen aber drei bis vier Mal so viele Häuser saniert werden wie derzeit.
Schon jetzt bleibt die Hansestadt also hinter ihren Klimazielen zurück. Mit einem Stahlwerk, das absehbar keinen "grünen" Stahl produziert, müsste Bremen die Pläne für eine schnelle Senkung des Bremer CO2-Ausstoßes wohl gänzlich zu den Akten legen.
Quelle: buten un binnen.
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 26. November 2024, 19:30 Uhr