Interview
Drogenabhängig in Bremen: "Kinder sollten das nicht mitkriegen"
Ein Drogenabhängiger aus der Bremer Neustadt berichtet von seinem Leben mit der Sucht. Für herabwürdigende Blicke hat er Verständnis, wünscht sich aber mehr Mitgefühl.
Der Drogenabhängige lebt erst seit ein paar Monaten in Bremen. Er konsumiert Heroin, Kokain und Crack. Er hat sich für ein Interview bereit erklärt, möchte aber anonym bleiben. Zum Zeitpunkt des Interviews hielt er sich am Container im Hohentorspark auf.
Wie gefällt Ihnen dieser Ort hier?
Es ist ein schöner abgelegener Ort. Trotzdem ist hier auch eine Wohnsiedlung. Hier sind Menschen, die mit ihren Kindern vorbeifahren. Das ist der einzige Nachteil für mich. Ansonsten finde ich es echt cool, dass uns Menschen, die ein Drogenproblem haben, ein Rückzugsort ermöglicht wird. Ein Ort, wo wir in Ruhe konsumieren können, ohne vor der Polizei flüchten zu müssen.
Wieso finden Sie es nicht gut, wenn hier Kinder oder Familien vorbeifahren?
Die gesunden Familien werden hier mit der traurigen Realität konfrontiert und sehen, dass es drogenabhängige Menschen gibt, die sich nur noch für die Sucht interessieren und alles andere links liegen lassen. Ich finde, ein heranwachsendes Kind sollte diese Umstände nicht mitkriegen. Also Streitereien und Gespräche über Betäubungsmittel. Zu sehen, wie sich irgendjemand einen Druck setzt oder wie hier Kokain aufgekocht wird.
Aber ist es nicht auch eine Realität, mit der sich die Menschen auseinandersetzen müssen?
Ich bin ganz ehrlich. Ich finde, das Problem mit Abhängigkeitserkrankungen wird verharmlost. Ich finde, da müsste man in ganz Deutschland diese Thematik mal heranführen. Diese Drogenproblematik gibt es ja nicht nur in Bremen, Hamburg oder Frankfurt. Es gibt sie überall in Deutschland.
Es geht nicht nur um Abhängigkeiten in Form von harten Betäubungsmitteln. Eine Abhängigkeitserkrankung kann sich ja auch im Alkohol hervorrufen. Viele Menschen wissen gar nicht, dass sie alkoholabhängig oder erkrankt sind.
Ich finde es traurig, dass Passanten uns so abscheulich angucken, als ob wir wirklich die letzten Untermenschen wären. Und das ruft bei uns Menschen auch etwas hervor. Nur weil man krank ist und konsumiert, ist man weniger wert?
Drogenkranker Mann aus Bremen
Einige Anwohner stören sich daran, dass in den Hauseingängen konsumiert wird. Beschaffungskriminalität spielt ja auch eine Rolle. Können Sie verstehen, dass die Leute sich deswegen beschweren?
Ja, natürlich. Vor allem die Beschaffungskriminalität. Der ganze Scheiß [damit sind Drogen gemeint, Anm. d. Red.] kostet Geld. Sehr viel Geld. Wenn man abhängig ist und kein Geld hat, dann sucht man überall eine Möglichkeit, an Geld ranzukommen. Dass Mitmenschen aus unserer Gesellschaft darunter leiden müssen, tut weh. Dieser Mensch hat für sein Hab und Gut hart gearbeitet und wurde dann beklaut. Aber dieser Mensch versteht nicht mal, warum er beklaut worden ist. Er schnappt nur auf: Er wurde beklaut, damit irgendein Junkie Stoff besorgen kann. So wird der Stempel aufgedrückt.
Das heißt: Leute haben gar kein Verständnis dafür, warum sie beklaut worden sind…
Verständnis müssen sie dafür echt nicht haben. Das geht gar nicht. Aber es wäre schön, wenn man das Ganze dann auch mal hinterfragt. Wenn man dann schon hier als Anwohner langgeht, könnte man sich doch mal fünf Minuten, unabhängig davon, wie es da gerade aussieht, mit einem Menschen von uns unterhalten. Denn hinter jedem Menschen steckt eine eigene Geschichte.
Wenn man die Geschichte hört, entwickelt der andere automatisch ein Empathie-Gefühl, weil er merkt: "Das hätte mich ja auch treffen können." Und daran appelliere ich. Dass irgendwann mal ein Dialog zwischen abhängigkeitserkrankten Menschen und normalen Menschen stattfindet.
Können Sie sich vorstellen, dass die Leute das vielleicht nicht machen, weil sie Angst haben?
Dass sie Angst haben, ist gerechtfertigt. Ich kann nur von mir selber reden. Wenn ich manchmal drei, vier Tage durchgefeiert bin, nicht geduscht habe und ich mir dann selber begegnen würde, würde ich auch einen gewaltigen Bogen um mich machen. Das verstehe ich voll und ganz. Auch zum Eigenschutz. Wenn man auf Betäubungsmittel unterwegs ist und mehrere Tage nicht geschlafen hat, kann alles Mögliche passieren. Man wird unberechenbar. Man macht Sachen, die man sich vor zehn Jahren noch nicht hätte träumen lassen.
Zum Beispiel?
Leute ausrauben, Leute überfallen. Ältere Menschen, die leichte Ziele sind oder kleinen Schulkindern das Telefon wegnehmen. Es gibt viele abscheuliche Dinge, die man machen kann. Manchmal reicht Pfandflaschensammeln nicht. Da begeht man halt Ladendiebstähle. Kann man sich keine mehr erlauben, weil man zu oft festgenommen wurde oder eine Anzeige hat, dann geht man eine Stufe höher. Man begeht Fahrraddiebstahl. Geht Fahrraddiebstahl nicht mehr, versucht man irgendwo einzubrechen oder Autos aufzubrechen. Das ist halt eine Endlosspirale.
Was können die Leute tun? Wie könnten sie Euch begegnen?
Einfach so tun, als ob es normal wäre. Vielleicht grüßen oder wenn man gegrüßt wird, zurückgrüßen. Manche gehen hier mit einer Gestik und Mimik vorbei, wo man sich denkt: Ich habe dir doch gar nichts getan. Ich will dich doch gar nicht ausrauben. Das ist für uns Abhängige nochmal so ein richtiger Tritt auf den Boden. Uns fällt es dann noch schwerer, die Scheiße sein zu lassen, weil man sich ja denkt: Der hat mich gerade abgestempelt. Die restliche Gesellschaft stempelt mich auch ab.
Quelle: buten un binnen.
Dieses Thema im Programm: Bremen Eins, Der Morgen, 12. August 2024, 7:40 Uhr