Was Bremen mit dem diesjährigen Friedensnobelpreis verbindet
Acht "Memorial"-Mitarbeitende forschen mittlerweile im Exil in Bremen. Die Menschenrechtsorganisation bekommt heute den Friedensnobelpreis überreicht.
In Oslo wird an diesem Samstagnachmittag der Friedensnobelpreis verliehen. Ausgezeichnet wird dann auch die Menschenrechtsorganisation "Memorial". Sie erforscht in Russland, Belarus und der Ukraine die Verbrechen der Sowjetdiktatur – oder hat dies getan, bevor sie vor gut einem Jahr in Russland per Gerichtsbeschluss verboten wurde.
Die Folge: Viele Memorial-Mitarbeitende sind mittlerweile aus Angst vor dem russischen Regime aus ihrer Heimat geflüchtet. Acht von ihnen arbeiten jetzt in Bremen. Die Memorial-Zweigstelle in der russischen Großstadt Perm wird mittlerweile sogar teilweise von hier weitergeführt. Der Vorsitzende der Zweigstelle Perm, Robert Latypov, ist seit Juni Gastwissenschaftler an der Forschungsstelle Osteuropa der Uni Bremen. Als Geflüchteter möchte er sich allerdings nicht bezeichnen.
Die Memorial-Community möge es nicht, von Flucht zu sprechen. "Wir haben das Land verlassen", sagt Latypov. In seinem Fall sei es so gewesen, dass der russische Geheimdienst begonnen habe, gegen ihn zu ermitteln. Wegen seiner Aussagen gegen den russischen Angriffskrieg sei er darüber hinaus mehrfach mit Bußgeldern belangt worden. Eine Rückkehr? Derzeit undenkbar. Auf die Frage, was ihm drohe, würde er in seine Heimat zurückkehren, zeigt Latypov mit vier Fingern eine Raute. "Mir droht dort Gefängnis", erklärt er das Symbol. "Und zwar für meine pazifistische Antikriegs-Arbeit."
Memorial-Mitarbeitende empfanden auch Schuld
Diese Arbeit setzt er nun in Deutschland fort. In Bremen haben er und sieben seiner Mitarbeiter neue Büros bezogen – vermittelt von der Forschungsstelle Osteuropa der Uni Bremen. Denn seit Jahren arbeitet diese mit den Wissenschaftlerinnen und Menschenrechtlern Memorials zusammen.
Susanne Schattenberg, Leiterin der Forschungsstelle Osteuropa, erinnert sich noch gut an den Moment, als die nach Bremen gekommenen Memorial-Mitarbeiter im Oktober von der Verkündung des Friedensnobelpreis-Komitees erfuhren. "Wir haben bei ihnen festgestellt, dass es Freude und Bedrückung zugleich ist", sagt Schattenberg. Denn viele fühlten sich angesichts des Kriegs schuldig und sagten: "Na ja, hätten sie es vielleicht doch lieber nur den Ukrainern gegeben?"
Dass auch die russischen Mitarbeiter Memorials an diesem Wochenende im Licht der Weltöffentlichkeit stehen, dürfte aber wohl – zumindest außerhalb der Kreml-Mauern – auf breite Zustimmung stoßen. Wie lange die Organisation außerhalb Russlands ihre Arbeit fortsetzen kann, ist allerdings offen.
Denn neben der guten Zusammenarbeit mit der Forschungsstelle Osteuropa sind auch die Finanzierungstöpfe für die Bremer Gastwissenschaftler maßgeblich. Latypov und sein Team erhalten derzeit Stipendien der amerikanischen Nicht-Regierungsorganisation (NGO) US-Russia Foundation, um ihren Aufenthalt in Bremen zu finanzieren. Die NGO hatte bis 2015 selbst ihren Sitz in Moskau, bevor sie diesen auf Druck der russischen Regierung in die US-Hauptstadt Washington verlegte.
Die Gelder für das nach Bremen geflüchtete Memorial-Team reichen noch bis Ende kommenden Jahres. Wie es dann weitergeht? Forschungsstellen-Direktorin Schattenberg ist optimistisch. "Die US Russia Foundation kennt die Lage und es geht hier nicht darum, dass man Spitzenforschung beantragen muss in einem hochkompetitiven Feld", sagt sie. Es sei klar, dass es bei der Förderung auch um einen humanitären Hintergrund gehe.
Auch Robert Latypov, der Samstag zur Übergabe des Friedensnobelpreises nach Oslo reisen wird, ist entschlossen, die begonnene Arbeit fortzusetzen. Er verbinde seine Forschung mit "sportlichem Ehrgeiz", auf jeden Fall das eigene Ziel zu erreichen, also die Aufarbeitung der politischen Gewaltherrschaft im stalinistischen Russland.
Egal was kommt, wir müssen die Zähne zusammenbeißen und weitermachen, weil die Ziele einfach so wichtig sind.
Robert Latypov, Vorsitzender der Memorial-Zweigstelle Perm
Neben der Trauer über das, was derzeit von seiner Heimat ausgehe, gebe es schließlich auch Optimismus. "Der gibt uns letztlich die Kraft und die Hoffnung, dass wir irgendwann doch wieder ein demokratisches, freies Russland haben werden."
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 9. Dezember 2022, 19:30 Uhr