Interview

"Historischer" Migrationsgipfel? Bremer Forscher widerspricht

Ein Mann trägt ein Kind auf den Schultern durch eine Flüchtlingsunterkunft.

Bund und Länder einigen sich im Streit um Flüchtlingskosten

Bild: dpa | Sebastian Gollnow

Bund und Länder haben sich auf einen gemeinsamen Plan in der Migrationspolitik geeinigt. Dieser wird Bremen finanziell helfen, aber nicht alle Probleme lösen, sagt ein Bremer Forscher.

Die Ergebnisse des Migrationsgipfels zwischen Bund und Ländern sind da. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bezeichnete die Einigung bei der Präsentation in der Nacht als "historisch". Inwiefern diese Einschätzung zutreffend ist und wie sich durch die Ergebnisse die Situation in Bremen verändert, ordnet Stefan Luft, Migrationsforscher an der Uni Bremen ein.

Herr Luft, was halten Sie von den Beschlüssen des Treffens?

Den Entwurf als historisch zu bezeichnen, halte ich für sehr abwegig. Die Entscheidung von Menschen, eine Flucht auf sich zu nehmen, wird unabhängig von den Sozialleistungen in einem möglichen Zielland getroffen. Nur, wenn die Menschen dann zum Beispiel an der EU-Außengrenze oder in der EU angekommen sind, spielt die Frage eine Rolle, wo genau es hingeht. Für den Entschluss, sich auf den Weg zu machen, ist das weniger wichtig.

Welche Auswirkungen können die Beschlüsse konkret für Bremen haben?

Finanziell wird es Bremen wie allen Kommunen helfen, dass pro Flüchtling eine Pauschale gezahlt wird. Das ist eine Erleichterung. Die entscheidenden Fragen werden dann aber nicht Finanzielle sein, sondern die nach den Kapazitäten und die nach der politischen Verkraftbarkeit.

Migrationsforscher Stefan Luft zu Gast im Studio
Der Bremer Migrationsforscher Stefan Luft. Bild: Radio Bremen

Im Hinblick auf die Kapazitäten wird sich dann wenig ändern, weil sich Menschen weiter auf den Weg in die EU und nach Deutschland machen?

Ja. Es ist nicht zu erwarten, dass weniger Menschen nach Deutschland kommen. Migration funktioniert ja so, dass Pioniere aus den Herkunftsländern in die Zielländer kommen und andere ihnen nachfolgen. Wenn im Heimatland also Bomben fallen und Panzer rollen, geht es zunächst in ein Erstaufnahmeland. Wenn die geflüchteten Personen dort aber keine Perspektive haben, stellt sich für sie die Frage: Gehe ich in die EU und wenn ja, in welches Land?

Müsste man dort ansetzen, um das Thema Migration in den Griff zu bekommen?

Ich würde es für sinnvoll halten, Asylverfahren in Drittstaaten oder an den EU-Außengrenzen durchzuführen, damit es nicht den Zwang gibt, in Deutschland Rückführungen durchzuführen. An den EU-Außengrenzen wäre das wahrscheinlich schwierig umsetzbar, aber in Drittstaaten könnte das funktionieren. Es würde allerdings einen gewissen politischen Systemwechsel erfordern.

Aber ein Ergebnis des Treffens gestern war ja, dass die Bundesregierung prüft, ob genau solche Asylverfahren in Drittländern möglich sind.

Das stimmt. Aber nur weil das allerdings auf dem Treffen beschlossen wurde, heißt das nicht, dass die Ampel das auf Bundesebene auch umsetzen wird. Ich wäre da sehr zurückhaltend.

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Dieses Thema im Programm: Bremen Eins, Rundschau, 7. November 2023, 7 Uhr