Interview

Bremer Architekten fordern Abriss-Stopp für Gebäude

Ein Bagger beim Abriss eines Gebäudes (Archivbild)
Bild: Imago | Christine Roth

Die Gruppe "Architects for Future" will, dass aus Klimaschutzgründen mehr Gebäude erhalten bleiben. Vorständin Luisa Ropelato erklärt, was sich ändern müsste – und wo der Wandel hakt.

Das Schlagwort "graue Energie" ist nur wenigen Menschen ein Begriff. Und das ist nach Ansicht der Bremer Architects for Future ein Problem. Warum Altbauten für unsere Energie- und CO2-Bilanz so wichtig sind, erklärt die Bremer Mitgründerin des Vereins, die Architektin Luisa Ropelato.

Gut 14.000 Gebäude wurden 2021 in Deutschland abgerissen – und dann oft neu gebaut. Ihre Initiative, also die Architects for Future, kritisiert das und spricht von einer hohen Dunkelziffer.

Ja, das liegt daran, dass nicht jeder Abriss angemeldet wird. In Bremen muss beispielsweise erst ab einer Gebäudehöhe von zehn Metern eine Beseitigungsanzeige gestellt werden. In vielen anderen Bundesländern wird das ähnlich gehandhabt.

Sie fordern einen Abriss-Stopp, also ein Moratorium. Warum sind die vielen Abrisse so ein Problem?

Weil jedes Gebäude, das im Bestand erhalten werden kann, CO2 einspart. Vielen Menschen ist gar nicht bewusst, wenn sie über Klimaschutz nachdenken, dass es da nicht nur um Lebensmittel oder Konsumgüter geht, sondern auch ums Wohnen. Rund zehn Prozent der gesamten CO2-Emissionen Deutschlands entstehen allein durch die Herstellung, Errichtung und Entsorgung von Gebäuden und Bauprodukten.

Auch in Bremen gibt es immer wieder große Abrissvorhaben: das Unibad, das Westbad, die Frauenklinik am Klinikum Mitte oder das Parkhaus Mitte. Mitunter soll abgerissen statt saniert werden. Warum?

Oft, zum Beispiel bei der Frauenklinik, sind neue Wohnungen das Argument. Das ist zwar auf der einen Seite richtig und wichtig. Demgegenüber steht aber das sehr begrenzte CO2-Budget, das wir als Gesellschaft noch zur Verfügung haben, um den Klimawandel zu begrenzen.

Bei den von Ihnen genannten Beispielen gibt es darüber hinaus auch immer Stellungnahmen, dass der Erhalt nicht möglich war aus diesen und jenen Gründen. Das liegt aber auch daran, dass der Abriss als Alternative zu einem Umbau oder einer Sanierung einfach zu verlockend ist.

Luftaufnahme eines Baggers, der Teile der ehemaligen Frauenklinik einreißt.
Abriss der Frauenklinik am Klinikum Mitte: Hier sollen Wohnungen entstehen. Bild: Radio Bremen

Warum ist das so?

Wir haben Bauordnungen, die überwiegend auf den Neubau ausgerichtet sind. Es ist somit einfacher, einen Neubau umzusetzen und das bestehende Gebäude abzureißen, als umzubauen. Wenn man zum Beispiel Baumaterialien wiederverwenden oder wiederverwerten will, muss jedes Teil einzeln geprüft werden.

Hinzu kommen Veränderungen im Baurecht wie zum Beispiel Brandschutzkonzepte. Das ist bei Umbauten aufwendiger. Denn früher wurde anders gebaut, damalige Treppenhäuser entsprechen nicht mehr dem heutigen Ideal. Das muss kompensiert werden, indem zum Beispiel Feuerleitern an der Außenwand angebracht werden. Bis solche Antragsverfahren von der zuständigen Behörde abgenickt werden, kann schonmal bis zu ein Jahr vergehen. Und es treibt die Kosten nach oben. Wenn ich hingegen abreiße und neu baue, kann ich mich direkt an die Gesetze halten.

Was schlagen Sie als Lösung vor?

Statt den Umbau oder die Sanierung in Frage zu stellen, sollte grundsätzlich zunächst einmal der Abriss in Frage gestellt werden. Dann sehen solche Pläne plötzlich anders aus. Dann denkt man auf einmal über Optionen zum Erhalt der Gebäude nach, die vorher nicht gesehen worden sind. Deshalb fordern wir, eine solche verpflichtende Abrissgenehmigung in den Landesbauordnungen zu verankern. Klimaauswirkungen müssten künftig geprüft werden und Gebäude dürften nur abgerissen werden, wenn Abriss und Neubau tatsächlich ökologischer sind als die Sanierung. Vorschläge für eine entsprechende Musterumbauordnung haben wir den Ländern, also auch der Bremer Bausenatorin, und dem Bundesbauministerium vorgelegt.

Wie reagieren die Beteiligten in Bremen darauf?

Unsere Umbauordnung haben wir im Herbst vergangenen Jahres an die Bauministerkonferenz geschickt. Und sie wurde von Bremen auch eingebracht. Seither gibt es Gespräche mit unseren Expertinnen-Teams, die die Musterumbauordnung mit verfasst haben. Jetzt ist es an den Ländern, ihre Landesbauordnungen entsprechend anzupassen.

Der Lebenszyklus eines Hauses
Bild: Radio Bremen

Gibt es denn Studien, die Ihre Forderungen untermauern?

Ja, die gibt es. So steckt beispielsweise im Schnitt rund 56 Prozent der für den Hausbau benötigten "grauen Energie" im Rohbau des Gebäudes. Das bedeutet, wenn von einem Gebäude zumindest der Rohbau erhalten bleiben kann und zum Beispiel nur Fassaden, Böden und Technik ausgetauscht oder saniert werden, kann ganz grob gut die Hälfte der sonst entstehenden CO2-Emmissionen und mehr als die Hälfte der Bauabfälle eingespart werden.

Spielen solche Erkenntnisse auch in der Ausbildung an Hochschulen eine Rolle?

An den Universitäten wird noch im Wesentlichen der Neubau gelehrt. Dabei wird die überwiegende Zahl der Dinge, die Architektur-Studierende künftig machen werden, mit Umbau zu tun haben. Auch Stichworte wie das kreislaufgerechte Bauen müssten eigentlich gelehrt werden. Das heißt, ein Gebäude muss über den gesamten Lebenszyklus hinweg von Anfang bis zum Ende gedacht werden – und nicht nur bis zur Schlüsselübergabe.

Passiert das denn noch nicht?

Nein. Kreislaufgerechtes Bauen taucht teilweise schon in Unis auf, aber dann nur als Wahlfach und nicht als Teil der Grundausbildung. Es wird eher gelehrt, was heute Status quo ist. Erst irgendwann im Master hören die Studierenden dann, dass sie ja eigentlich auch kreislaufgerecht bauen könnten.

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Dieses Thema im Programm: Bremen Eins, Der Tag, 12. Januar 2023, 23:30 Uhr