Interview

Bremer Hausärzteverband rät zu Corona-Impfung nach Bauchgefühl

Hausärztin mit Stethoskop zieht eine Spritze auf (Symbolbild)

Neuer Corona-Impfstoff soll in Bremen verfügbar sein

Bild: dpa | Benjamin Nolte

In Arztpraxen gibt es ab sofort neue Corona-Impfstoffe. Sie schützen vor neuen Virus-Varianten. Der Bremer Hausarzt Holger Schelp sagt, wer sich damit impfen lassen sollte.

Den neuen Corona-Impfstoff, der jetzt auch in einigen Bremer Arztpraxen verimpft werden soll, hat der Hersteller Biontech an die im Frühjahr bei uns vorherrschende Omikron-Subline XBB.1.5 angepasst. Das Vakzin soll aber auch vor Infektionen mit der aktuell dominierenden Subline EG.5, auch "Eris" genannt, schützen. Doch wer braucht überhaupt noch eine weitere Corona-Booster-Impfung, und wie groß ist die Nachfrage? Darüber hat buten un binnen mit Holger Schelp gesprochen, dem Vorsitzenden des Hausärzteverbands Bremen.

Porträt von Holger Schelp, Allgemeinmediziner und Anästhesiologe
Mahnt eine mangelhafte Datenlage rund um die Corona-Impfung an: Hausarzt Holger Schelp. Bild: Kassenärztliche Vereinigung Bremen

Herr Schelp, ab dem 18. September stehen den Hausärzten neue Corona-Impfstoffe von Biontech zur Auffrischungsimpfung zur Verfügung. Rechnen Sie jetzt mit einem massenhaften Ansturm von Patienten auf die Praxen?

Der Ansturm wird nicht groß werden. Es ist allen bewusst, dass man sich impfen lassen kann. Viele derjenigen, die sich wirklich dafür interessieren, haben sich bereits schlaugemacht, um zu klären, wie das abläuft. Wir erwarten aber nicht, dass sich noch einmal viele Leute gegen Corona impfen lassen möchten. Das Interesse ist so gering, dass viele Praxen den Impfstoff gar nicht bestellt haben.

Ist das nicht ein wenig kurzsichtig? Die Infektionszahlen steigen. Das Interesse der Menschen am Schutz vor einer Corona-Infektion dürfte mit Einbrechen des Herbstes ebenfalls zunehmen.

Wenn das Impfinteresse wieder steigt, werden mehr Praxen den Impfstoff bestellen. Zum Hintergrund: Wir müssen diesen Impfstoff in Sechsergruppen bestellen. Ich muss sechs Personen aus einer Ampulle versorgen – und zwar innerhalb von fünf Stunden. Sonst verschwende ich Material. Dazu muss ich zum einen überhaupt erst einmal mehrere Interessenten für die Impfung haben und zum anderen die Impftermine direkt hintereinander vergeben. Das Ganze ist also durchaus mit einem gewissen Aufwand verbunden.

Wem raten Sie überhaupt dazu, sich mit dem neuen Impfstoff impfen zu lassen?

Die offizielle Empfehlung der Stiko lautet, dass sich alle damit impfen lassen sollen, die 60 Jahre oder älter sind, oder zu einer Risikogruppe zählen. Vorausgesetzt, sie hatten ein Jahr lang keine Corona-Impfung und keine Corona-Infektion. Es geht um dieselbe Gruppe wie bei der Grippe-Impfung: um die Älteren und um diejenigen, die einen fieberhaften Krankheitsverlauf vielleicht nicht gut überstehen würden.

Aber: Die Evidenz dafür, dass man dieser Empfehlung folgen sollte, ist nicht besonders groß. Sie fußt auf kleinen Zahlen. Wir Ärzte wissen nicht, wie viele Leute wir impfen müssten, um eine Infektion zu verhindern. Und: Wie viele Menschen müssen wir impfen, um einen tödlichen Verlauf zu verhindern? Auch diese Quote ist nicht bekannt. Ich finde: Das ist für eine groß angelegte Impfung ein bisschen peinlich.

Die meisten Kollegen sagen ihren Patienten daher, wie die offizielle Version lautet, und fügen ehrlicherweise inoffiziell hinzu, dass es kein gesichertes Wissen dazu gibt, ob sie sich wirklich impfen lassen sollten. Die Patienten sollten daher ihrem Bauchgefühl vertrauen. Wir wollen auch niemanden impfen, der sich möglicherweise dazu gezwungen fühlt. Wir wollen, dass derjenige sagt: Ja, ich brauche das. Oder, dass er mit gutem Gewissen sagt: Ne, ich lasse mich jetzt nicht impfen, weil ich skeptisch bin.

Angenommen: Ein Patient entscheidet sich für die Corona-Impfung. Sollte er sie gleich mit der Grippe-Impfung kombinieren?

Ja, denn dann braucht er nicht zwei Termine bei seinem Arzt auszumachen, sondern kann links die eine, rechts die andere Impfung bekommen. Und: Nein, denn um hinterher zu wissen, welchen der beiden Impfstoffe er möglicherweise nicht vertragen hat, muss er sich beides einzeln impfen lassen.

Es gibt auch dazu nicht viel Erfahrung. Es ist bisher wenig gleichzeitig geimpft worden. Man kann auch, wenn es eilig ist, für eine Reiseimpfung sechs Impfstoffe auf einmal verabreichen. Aber wenn Dich einer davon schwächt, wirst Du nie erfahren, welcher es ist. Das muss den Patienten klar sein.

Was ist mit dem Zeitpunkt für die Impfung: Ist es vielleicht sinnvoller, das Ganze weiter in den Herbst aufzuschieben?

Das kann man machen. Bei Grippe sagen wir sowieso: In den ersten drei Monaten nach der Impfung ist der Antikörpertiter (die Menge an Antikörpern, die Redaktion) etwas höher als danach. Daher sollte man sich vielleicht besser im November gegen Grippe impfen lassen, damit der Schutz bis Februar reicht. Im Februar gibt es meist die größere Grippewelle.

Bei Corona haben wir diese Erfahrung noch nicht. Und bei Corona wissen wir auch noch nicht, was die Antikörperantwort ausmacht. Ob es wichtig ist, dass es eine hohe Antikörperantwort gibt oder eine niedrige. Das ist auch noch nicht beantwortet.

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Bild: Radio Bremen
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Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Nachrichten, 18. September 2023, 6 Uhr