Interview
Studie aus Bremen zeugt von schlechterem Miteinander seit Corona
Der Zusammenhalt der Menschen in Deutschland bröckelt. Das zeigt eine Studie des Bremer Psychologen Klaus Boehnke. Er sagt, was wir künftig besser machen sollten.
Die Menschen in Deutschland stehen nicht mehr im gleichen Maße zueinander wie noch vor vier Jahren. Ihr Gemeinsinn ist rissiger geworden. Das ergibt sich aus einer Studie, die der Bremer Psychologe Klaus Boehnke, Professor an der Constructor University, federführend für die Bertelsmann Stiftung erstellt hat.
Seit 2013 untersuchen Boehnke und die Bertelsmann Stiftung den Zusammenhalt der Gesellschaft in Deutschland regelmäßig nach den gleichen Kriterien und mithilfe statistischer Erhebungen. buten un binnen hat mit Boehnke über die neuen, besorgniserregenden Ergebnisse gesprochen.
Herr Boehnke, was ist aus Ihrer Sicht das zentrale Ergebnis Ihrer Studie?
Der soziale Zusammenhalt in Deutschland ist zurückgegangen. Lange Jahre haben wir festgestellt, dass es um den Zusammenhalt recht gut bestellt ist, über viele Jahre auf etwa gleichem Niveau. Jetzt beobachten wir erstmals, dass das Niveau deutschlandweit zurückgegangen ist.
In der Corona-Zeit hatten wir in Baden-Württemberg eine separate Studie gemacht. Da war der Zusammenhalt schon um etwa zehn Punkte gegenüber früheren Untersuchungen zurückgegangen. Wir dachten da noch: "Ach, das ist jetzt so eine Corona-Delle." Aber jetzt sehen wir: Der Zusammenhalts-Score ist bundesweit – vielleicht auch als Folge von Corona – von ehemals über 60 von 100 Punkten auf etwas über 50 gesunken. Das ist schon ein beachtlicher Rückgang.
Diese Merkmale bemessen den Zusammenhalt der Menschen:
Wie erklären Sie sich diesen Rückgang beim gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland?
Für die Art, wie wir den gesellschaftlichen Zusammenhalt messen, sind intakte soziale Netze ein entscheidender Faktor. Wir finden, dass die Menschen nicht mehr so eng miteinander umgehen. Allerdings muss man sagen: Auch bei den acht anderen Kriterien, anhand derer wir versuchen, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu messen, verzeichnen wir Rückgänge.
Wir glauben, dass die Erfahrungen der Menschen aus der Corona-Zeit auf vieles, das wir gemessen haben, durchschlagen. Man musste eine Weile zuhause bleiben, durfte sich nicht mit anderen treffen. Man hat darüber gemerkt, dass man einsamer ist, als es einem vorher bewusst gewesen ist. Die Kontaktbeschränkungen haben sich aber auch bei Fragen niedergeschlagen wie der zur politischen Aktivität oder zur Bereitschaft, sich sozial zu engagieren, generell dazu, wie wer gesellschaftlich eingebunden ist.
Derzeit wird bei uns ja viel darüber diskutiert, wie der Staat mit Corona umgegangen ist: Ist das gerecht gewesen? Tatsächlich beobachten wir Rückgänge beim Gerechtigkeitsempfinden. Aus all diesen Gründen glauben wir, dass die Erfahrungen, die die Menschen mit Corona gemacht haben, dazu geführt haben, dass sie nur bedingt an einen festen sozialen Zusammenhalt glauben.
Inwiefern spiegelt sich in Ihren Studienergebnissen auch wider, dass wir einen deutlichen Rechtsruck in Deutschland beobachten?
Wir haben in der Studie auch versucht, die Menschen dahingehend zu unterteilen, wie gut sie sich in der Gesellschaft integriert fühlen. Dabei haben wir festgestellt, dass es einen durchaus nennenswerten Anteil von Menschen gibt, die sich eben nicht gut integriert und aufgehoben fühlen in unserem Gemeinwesen. Das sind Menschen, von denen bis zu 35 Prozent die AfD wählen. Trotzdem: Ein Beweis dafür, dass sich der Rechtsruck Deutschlands in unserer Studie widerspiegelt, ist das nicht, allenfalls ein Indiz.
Ihre Studie trägt den Untertitel "Perspektiven auf das Miteinander in herausfordernden Zeiten". Was für Perspektiven zeigen Sie auf?
Es ist wichtig, dass die Menschen tatsächlich etwas miteinander unternehmen. Wir haben vor acht Jahren schon einmal so eine Studie zum gesellschaftlichen Zusammenhalt speziell für Bremen gemacht. Damals saß neben der Bertelsmann Stiftung auch die Gewoba mit im Boot. Und schon damals hatten wir festgestellt, dass es entscheidend für den gesellschaftlichen Zusammenhalt ist, dass die Menschen etwas miteinander machen können. Ich denke dabei etwa an solche – mitunter belächelten – Aktivitäten wie Nachbarschafts- oder Straßenfeste.
Es sind die kleinen Dinge, die den Zusammenhalt stärken, nicht etwa irgendwelche von Berlin aus zu planenden Großinitiativen. Es geht darum, dass Menschen etwas miteinander tun. Deswegen ist es zum Beispiel für junge Menschen so wichtig, dass man ihren gemeinsamen Sport fördert. Sport bringt auch Migranten und Nicht-Migranten zusammen. Solche Dinge muss man nicht groß ins Schaufenster stellen. Aber davon kann man sagen: Diese Dinge bringen was. Und genau diese Dinge sind in der Corona-Zeit zu kurz gekommen – mit messbaren negativen Folgen.
Sie sagen: Es geht nicht um politische Großinitiativen aus Berlin. Doch wie könnte Bremens und Bremerhavens Politik den gesellschaftlichen Zusammenhalt im Land Bremen fördern?
Die Politik kann ihren Teil dazu beitragen, dass die Menschen zusammenkommen. Das mögen auf den ersten Blick alberne Aktionen sein wie "Bremen trifft sich auf dem Markt" oder "Dies und das machen wir gemeinsam für Bremen oder für Bremerhaven", "Bremer oder Bremerhavener kommen zusammen" oder irgendwelche Aufräum-Aktionen – oder was auch immer. Es geht nicht um Ereignisse riesiger Art, sondern um Events, bei denen die Menschen zusammenkommen. Das ist der Weg, der sich auch eng aus dem Corona-Schock ableiten lässt.
Und was kann der Einzelne tun?
Die Menschen sollten weiterhin versuchen, sich politisch und gesellschaftlich zu engagieren, zum Beispiel in Vereinen. Sie sollten weiterhin offen bleiben gegenüber Menschen, die anders sind. Sie sollten sich nicht in ihr Schneckenhäuschen zurückziehen.
Quelle: buten un binnen.
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 13. Mai 2024, 19.30 Uhr