Fragen & Antworten
Vogelgrippe und Co.: Wie gut sind wir auf neue Pandemien vorbereitet?
Das Vogelgrippevirus breitet sich aktuell bei Kühen in den USA aus. Sind wir nach Corona auf Gefahren, die von solchen Viren ausgehen, eingestellt? Jein, sagen Bremer Experten.
Lange hat kaum einer darüber gesprochen. Jetzt ist das Thema wieder präsent: Corona. Bei 4,7 liegt zur Zeit (Stand: 2. Juli 2024) die Sieben-Tage-Inzidenz der Neuinfektionen – sie ist so hoch wie zuletzt im Januar. Schuld daran ist "KP.2", eine neue Virus-Variante, die sich schnell ausbreitet.
Zwar scheinen die Infektionen mit "KP.2" in der Regel keine schweren Verläufe nach sich zu ziehen, stellt der Bremer Epidemiologe Hajo Zeeb bei Bremen Vier fest und verweist auf aktuelle Krankenhauszahlen. Gleichwohl wecken die hohen Infektionszahlen schlimme Erinnerungen: Weltweit mehr als 20 Millionen Menschen haben infolge der Corona-Pandemie ihr Leben verloren, darunter 1.070 Menschen im Land Bremen. Da stellt sich die Frage: Wie gut wären wir auf eine neue Pandemie vorbereitet?
Ex-Regierungschefs fordern Pandemievorsorge
So gut wie gar nicht, sagt zumindest die ehemalige neuseeländische Premierministerin Helen Clark. Mit Verweis auf eine weltweit grassierende Vogelgrippe, die auf Kühe und vereinzelt auf Menschen übergegangen ist, sagte Clark der Nachrichtenagentur AFP: "Sollte sich H5N1 von Mensch zu Mensch übertragen, wäre die Welt sehr wahrscheinlich erneut überfordert."
Clark und mit ihr 50 weitere einstige Regierungschefs fordern, dass die 190 Mitgliedsländer der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ein internationales Abkommen zur Pandemievorsorge auf den Weg bringen. Wie gut unsere Gesellschaft auf eine neue Pandemie vorbereitet wäre, darüber hat buten un binnen mit Hajo Zeeb sowie mit dem Virologen Andreas Dotzauer von der Uni Bremen gesprochen.
Wie gut käme unsere Gesellschaft mit einer neuen Pandemie wie etwa einer Vogelgrippe, die auf viele Menschen überginge, zurecht?
Der Großteil der Bevölkerung reagiere wahrscheinlich angemessener als die Politik, glaubt Andreas Dotzauer von der Uni Bremen: "Eine Grippe verbreitet sich ähnlich wie Sars-Cov-2. Die Bevölkerung würde sich – von einigen Ausnahmen abgesehen – angemessen verhalten."
Dass sich allerdings auch die Politik im Falle einer neuen Pandemie überwiegend angemessen verhalten würde, glaubt Dotzauer eher nicht. Der Virologe erinnert in diesem Zusammenhang daran, dass das Robert Koch-Institut (RKI) bereits vor der Corona-Pandemie einen Notfallplan ausgearbeitet gehabt hatte, den die Politik dann aber nicht befolgt habe. Auch hätten viele politische Akteure in der Corona-Pandemie zu zögerlich agiert – aus der Angst heraus, es sich mit Wählerinnen und Wählern zu verscherzen. Dotzauer fürchtet, dass das im Falle einer neuen Pandemie nicht anders aussehe.
Die Politik bräuchte in einer Pandemie den Mut, unpopuläre Entscheidungen zu treffen. Und sie bräuchte den Mut, auch mal zurückzurudern. Dann, wenn sich eine Entscheidung zu einem späteren Zeitpunkt als falsch erweist.
Virologe Andreas Dotzauer
Dotzauer erklärt seine These damit, dass man einerseits in einer Pandemie schnell handeln müsse, um etwa der Verbreitung eines Virus entgegen zu wirken. Andererseits gewinne die Wissenschaft im Laufe der Pandemie oft schnell neue Erkenntnisse, die neue Entscheidungsgrundlagen böten und alte Entscheidungen im Nachhinein als falsch entlarvten. Dazu müsse man dann einfach stehen.
Ist unser Gesundheitssystem gut auf eine neue Pandemie vorbereitet?
Im Wesentlichen ja, sagen Virologe Andreas Dotzauer und Epidemiologe Hajo Zeeb übereinstimmend. So funktioniere das Grippe-Monitoring des RKI gut, sagt Dotzauer beispielhaft. Zeeb betont: "Die Funktionalität der Gesundheitsämter ist besser geworden." Käme es hart auf hart, könnten die Ämter heute schnell ihre Kapazitäten erhöhen. Wichtig sei allerdings, dass ihnen die zusätzlichen Mittel, die sie in der Pandemie erhalten hätten, nicht in den kommenden Jahren zusammengestrichen werden, mahnt Zeeb.
Unabhängig davon kritisieren sowohl Zeeb als auch Dotzauer, dass die Human- und Tiermedizin in Deutschland seitens der Behörden zu strikt voneinander getrennt würden. Dabei zeige etwa die Vogelgrippe, die derzeit auf Säugetiere übergeht und vereinzelt auch auf Menschen, dass eine Trennung von Tier- und Humanmedizin mit Blick auf Seuchenprävention zu kurz greift.
Gleiches gilt aus Sicht Zeebs für die Trennung zwischen Infektionskrankheiten und nicht übertragbaren Erkrankungen wie etwa solchen des Herz-Kreislauf-Systems. "Gerade bei den schweren Corona-Erkrankungen ist deutlich geworden, wie eng beides zusammenhängen kann", sagt der Epidemiologe. Entsprechend könne er nicht nachvollziehen, dass der Bund die Zuständigkeit für nicht übertragbare Krankheiten derzeit vom RKI abkoppelt und hierzu ein neues Institut einrichtet: das Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung in der Medizin (BIPAM). "Ich halte das für einen Fehler", stellt Zeeb klar.
Noch einmal zur Vogelgrippe, die seit Monaten weltweit grassiert: Wie gefährlich ist sie für den Menschen?
Das derzeit grassierende Vogelgrippe-Virus mit der Bezeichnung H5N1 ist zwar sehr anpassungsfähig und geht auch auf Säugetiere über, auf Menschen aber nur in Ausnahmefällen. Die internationale WHO und das deutsche Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) schätzen das Risiko durch das Vogelgrippevirus H5N1 für den Menschen derzeit als gering ein. In der jüngsten Risikoeinschätzung des FLI aus Juni heißt es dazu: "Bisher gibt es innerhalb der Europäischen Union keine Fälle von HPAIV H5N1 beim Menschen beziehungsweise bei Rindern. Dies trifft auch für Deutschland zu." Das FLI ist das Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit.
Wie gut ist die internationale Gemeinschaft auf eine mögliche neue Pandemie vorbereitet, und was müsste zur besseren Vorbereitung geschehen?
Die internationale Gemeinschaft ist nicht so schlecht gewappnet, wie es die Neuseeländerin Clark und ihre Mitstreiter sehen, findet zumindest Andreas Dotzauer. Seitens der Gesundheitsorganisationen gebe es gute Notfallpläne, sagt er. Wie auf Bundesebene sieht er allerdings auch auf internationalem Parkett in der Politik einen Unsicherheitsfaktor: "An der Vorbereitung scheitert es nicht, sondern an der Anwendung."
Epidemiologe Hajo Zeeb wünscht sich von der Politik, dass sie schon heute mehr unternimmt, um dafür zu sorgen, dass schnell neue Impfstoffe hergestellt und weltweit verteilt werden können – nicht nur wie bei Corona in den reichen Ländern. "Man müsste die Produktionskapazitäten mit entsprechenden Fördermitteln aufbauen", sagt er. Käme es tatsächlich zu einer neuen Pandemie, müsste man im nächsten Schritt den Impfstoff-Herstellern ihr Know-How abkaufen und die Lizenzen für die Produktion fair verteilen, so Zeeb.
Quellen: buten un binnen und AFP.
Dieses Thema im Programm: Bremen Vier, 2. Juli 2024, 8:40 Uhr