Interview

Bremer Klimaaktivistin vor Gericht: Sind Straßenblockaden strafbar?

Geldstrafe: Bremer Aktivistin der "Letzten Generation" vor Gericht

Bild: dpa | Annette Riedl

Die Bremerin Carla Hinrichs ist Sprecherin der "Letzten Generation". Wegen einer Straßenblockade in Berlin steht sie vor Gericht – heute erwartet sie ihr Urteil.

Mit ihren Straßenblockaden und weiteren Aktionen wollen Carla Hinrichs und die Aktivistinnen und Aktivisten der "Letzten Generation" auf die Gefahr des Klimawandels hinweisen und die Politik zum Handeln bewegen. Hinrichs muss sich wegen einer Blockade im vergangenen Jahr vor dem Amtsgericht Berlin-Tiergarten verantworten. Ihr Verteidiger ist ihr ehemaliger Professor, Gerd Winter von der Uni Bremen.

Der erste Verhandlungstermin im Februar endete mit einem Eklat. Hinrichs und Winter lehnten den Richter wegen Befangenheit ab. Jetzt soll das Urteil fallen. buten un binnen hat vor der Verhandlung mit beiden gesprochen – sie erklären, was sie vom Prozess erwarten und weshalb sie solche Aktionen nicht zwangsläufig für strafbar halten.

Carla Hinrichs blockiert mit anderen Aktivisten eine Kreuzung, Polizisten versuchen sie von der Fahrbahn zu lösen
Carla Hinrichs bei der Blockade einer Kreuzung im vergangenen Jahr Bild: dpa | Christian Charisius

Frau Hinrichs, Sie haben sich mit anderen Klimaaktivisten im Februar 2022 auf eine Ausfahrt der Berliner Stadtautobahn gesetzt. Es war das erste Mal, dass Sie an so einer Aktion teilgenommen haben. War Ihnen klar, welche Folgen das haben wird?

Ich habe selber Jura studiert. Ich weiß natürlich, welche Straftatbestände betroffen sein könnten. Und ich weiß auch, dass das Unterbrechen des Straßenverkehrs eine Nötigung darstellen könnte. Aber ich habe mich auch damit auseinandergesetzt. Ich weiß, dass in Krisenzeiten mein Verhalten auch gerechtfertigt sein kann. Weil gerade massiv mein Leben und meine Freiheit in Zukunft beeinflusst wird. Wenn es so weitergeht, sagt die Wissenschaft, werden wir in Kriege versinken bis zum Ende des Jahrhunderts. Und deswegen kann doch mein Verhalten nicht verwerflich sein. Es ist gerechtfertigt, weil ich einfach nur versuche, großes Leid von mir und von anderen Menschen abzuwenden.

Wie sind Sie und Professor Winter denn zueinander gekommen?

Herr Winter und ich haben schon früher über das Thema diskutiert, als ich bei ihm an der Uni Bremen Umweltrecht studiert habe. Als ich dann vermehrt in Interviews aufgetreten bin, sind wir wieder in Kontakt gekommen. Ich bin auch an die Uni gefahren und habe einen Vortrag gehalten. Ich habe ihn dann ganz direkt gefragt, ob er sich vorstellen könnte, mich vor Gericht zu verteidigen und dort mit mir gemeinsam aufzutreten. Er konnte sich das vorstellen und ich bin sehr dankbar und glücklich darüber, weil ich glaube, auch die Rechtswissenschaft muss sich positionieren zu dieser Krise.

Professor Gerd Winter
Gerd Winter lehrt öffentliches Recht an der Uni Bremen, sein Schwerpunkt: Umweltrecht. Als Strafverteidiger vor Gericht war er bislang nicht tätig. Bild: Radio Bremen

Herr Winter, Ihre ehemalige Studentin ist Ihnen im November 2022 in der TV-Talkshow Anne Will aufgefallen. Sie hat dort unter anderem mit Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) und Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) diskutiert. Wie haben Sie Frau Hinrichs dort wahrgenommen?

Ich war beeindruckt von der Ruhe, mit der sie argumentiert hat, im Unterschied zu den Politikern, die ihr gegenübersaßen. Die waren von vornherein festgelegt, dass das, was die junge Generation da macht, strafbar ist. Das ist aber genau das Problem. Ob die Blockaden überhaupt strafbar sind, genau das ist ja Gegenstand des Verfahrens.

Eigentlich habe ich gar keine große Ahnung vom Strafrecht. Aber ich habe mir überlegt: Warum eigentlich nicht?

Gerd Winter

Herr Winter, Sie sind Professor für Umweltrecht. Wie oft kommt es vor, dass Sie in der Rolle des Strafverteidigers auftreten?

Das ist jetzt eine einmalige Sache. Aber ich habe viel Verständnis für die jungen Menschen, die sich besorgt äußern und Druck machen wollen, dass die Klimaschutzmaßnahmen strenger werden. Eigentlich habe ich gar keine große Ahnung vom Strafrecht. Aber ich habe mir überlegt: Warum eigentlich nicht. Ich habe mir dann gleich einen Strafprozessordnungs- und Strafgesetzkommentar besorgt und mich da eingearbeitet.

Frau Hinrichs, Sie haben den Strafbefehl des Amtsgerichts nicht akzeptiert, sondern Einspruch eingelegt, sodass es zu einer öffentlichen Verhandlung kommt. Geht es Ihnen auch darum, diese Öffentlichkeit im Gerichtssaal zu nutzen?

Ich werde da nicht einfach sitzen und ein Urteil über mich ergehen lassen. Ich bin dort im Gericht, weil wir in einer Krisensituation sind. Und das habe ich beim ersten Verhandlungstag dem Gericht erzählt. Und ich werde es dem Gericht auch dieses Mal erzählen.

Frau Hinrichs, wie haben Sie die Verhandlung vor Gericht bisher wahrgenommen?

Für mich war das eine wirklich aufregende Situation. Zum ersten Mal stand ich als Prozessbeteiligte vor Gericht. Ich habe Jura studiert – ich dachte einmal, ich würde vielleicht auf der anderen Seite dieses Richterpults sitzen. Nun war ich dort als Angeklagte. Aber ich war mir auch sicher, dass ich mein Anliegen dort vorbringen wollte. Dass mein Verhalten nicht strafbar sein kann in dieser Krise. Was der Richter dann gesagt hat, hat mich allerdings schockiert. Er sagte, dass das, was ich tue, ja gar nichts bringen würde, denn die Menschheit würde eh aussterben. Da war ich dann doch sehr schockiert über eine solche Aussage von einem Gericht.

Herr Winter, wie haben Sie als Verteidiger den ersten Verhandlungstag erlebt?

Es war ungewöhnlich, dass der Richter in eine Diskussion eingestiegen ist mit der Angeklagten. Es ging sofort um die grundsätzlichen Fragen. Ich finde das eigentlich ganz gut, dass da ein Richter nicht unbewegt sein Urteil fällt, sondern sich einlässt, aber dieser Richter hat dann überzogen. Er hat gezeigt, dass er schon festgelegt ist und ganz klar von der Strafbarkeit ausgeht und das kann man nicht machen. Deshalb habe ich den Antrag gestellt, dass der Richter abgelehnt wird wegen Befangenheit.

Herr Winter, sind Sie der Meinung, dass Frau Hinrichs freigesprochen werden müsste?

Es muss jeweils der Einzelfall betrachtet werden. Und wenn bestimmte Bedingungen eingehalten werden, zum Beispiel nur eine kurze Zeit des Sitzens, vorherige Ankündigung und Friedlichkeit, dann ist nach der Rechtsprechung erstmal davon auszugehen, dass das eine Versammlung ist und die ist grundrechtlich geschützt. Deshalb kann man sie nicht sofort als strafbar definieren.

Warum nicht?

Der Vorwurf ist Nötigung und ein Kern-Moment ist dabei, dass eine Nötigung gerechtfertigt ist, wenn sie nicht verwerflich ist im Hinblick auf den Zweck, der verfolgt wird. Und der Zweck ist hier Klimaschutz. Und das nicht nur allgemein, sondern sehr konkret. Die Autos, die da fahren, sind mit beteiligt an dem Klimawandel, der sehr dramatisch ist. Es ist also ein sehr konkreter Zweck, die Verkehrspolitik zu beeinflussen. Nach meiner Meinung ist der Zweck, also die Vermeidung von Klimawandelschäden, so gewichtig, dass die geringe Beeinträchtigung des Verkehrs demgegenüber eigentlich in den Hintergrund tritt.

Frau Hinrichs, was erwarten Sie für den nächsten Verhandlungstermin?

Ich mache mir keine große Hoffnung, dass ich freigesprochen werde. Aber ich werde meine Argumente noch einmal vortragen: Wir sind in einer Krise. Wir rasen in eine Katastrophe. Wie kann es sein, dass die vor Gericht stehen, die nur der Alarm sind und nicht diejenigen, die diese Krise täglich befeuern?

Werden Sie Berufung einlegen, wenn Sie verurteilt werden?

Ich bin davon überzeugt, dass sich auch die Gerichte dieses Landes mit der Klimakrise auseinandersetzen müssen. Und dass es unsere Aufgabe ist, diese Krise überall dorthin zu tragen, wo Menschen gerade in Machtpositionen sind und entscheiden müssen, wie wir als Gesellschaft weitergehen wollen. Und deswegen kann ich mir gut vorstellen, dass Herr Winter und ich weiterziehen bis zum nächsten Gericht.

Was denken Sie, Herr Winter?

Es wird mit Sicherheit in die Berufung gehen. Ob ich das mache, weiß ich noch nicht. Es gibt sicherlich auch noch andere gute Anwälte. Ich finde es aber wichtig, dass dieses Problem der Verkehrsblockade bis zum Bundesverfassungsgericht getragen wird. Denn es gibt einige Grundrechtsprobleme: Wie weit geht die Versammlungsfreiheit? Wie weit geht die Meinungsfreiheit? Wie weit geht auf der anderen Seite der Schutz der Verkehrsteilnehmer? Das alles sind Fragen, die grundsätzlich geklärt werden müssen.

Frau Hinrichs, wie wichtig ist es denn für Sie, dass Ihr Protest straffrei bleibt?

Ich bin mir bewusst, dass mein Handeln strafrechtliche Konsequenzen haben kann und ich möchte am Ende nicht im Gefängnis sitzen. Der Staat muss sich aber entscheiden, verurteilt er die, die noch Hoffnung haben, die noch Widerstand leisten oder spricht er sie frei und sagt: Ja, ich höre diesen Protest. Ich höre die Sorge, ich höre die jungen Menschen. Aber wenn dieser Staat sich entscheidet mich einzusperren, dann werde ich vor den Konsequenzen nicht davonlaufen, sondern sie tragen.

Rückblick: Klima-Aktivisten kleben sich auf Straße in Bremer Innenstadt fest

Bild: Radio Bremen | Niklas Hons

Mehr zur "Letzten Generation":

Autor

  • Steffen Hudemann
    Steffen Hudemann Autor

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 9. März 2023, 19:30 Uhr