Die erste "Bremen": Schiffbruch statt Legendenbildung
1858 lief erstmals ein Dampfsegler "Bremen" für die Reederei "Norddeutscher Lloyd" vom Stapel. Das Schiff wird erst bejubelt und gerät später als "Höllenschiff" in Verruf.
Er hat Masten und einen Schornstein und eigentlich das Zeug zur Legende: Der Dampfsegler "Bremen" ist 1858 das erste Schiff einer baugleichen Viererserie. Eine damals kleine Bremer Reederei namens "Norddeutscher Lloyd" (NDL) hat es auf einer schottischen Werft in Auftrag gegeben. Die Bremer Kaufleute wollen nach Plan einen Weltmarkt erobern. Jahrzehnte später ist "der Lloyd" die führende Reederei im Liniendienst nach Nordamerika – da ist die erste "Bremen" schon unrühmlich gesunken vor San Francisco. Die ganze Geschichte erzählt jetzt ein Buch.
"Die Ufer Bremerhavens waren gesäumt von winkenden Menschen. Man war bei einer Sensation dabei", erzählt Helmut Grams, einer der vier Autoren, mit Blick auf das Auslaufen zur Jungfernfahrt der "Bremen" am 19. Juni 1858. Die Weser-Zeitung formuliert damals Texte voller Pathos auf diesen Geniestreich der Technik, auf dieses gut 100 Meter lange Wunder von einem Seeschiff mit schwarz qualmendem Schlot. Das Eisenschiff mit den zwei riesigen Zylindern mit 107 Zentimetern Kolbenhub bringt es auf unglaubliche 11,2 Knoten Fahrt – fast 20 Stundenkilometer. Der ganze Norddeutsche Bund ist stolz, die Amerikaner feiern den ersten NDL-Dampfer Tage später in New York zu ihrem Unabhängigkeitstag.
Recherche zur "Bremen" ist mühsam und langwierig
Trotz ihrer Bedeutung ist die Geschichte der ersten "Bremen" unter Dampf fast vergessen worden. Aber der Captains Table des Bremer Lions Club Wilhelm Olbers hat das Schiff praktisch wiederentdeckt. Mit Helmut Grams stürzten sich Helge Ellwart, Friedrich-Karl Kößling und Ralf Lauenstein vier Jahre als pure Laien in die Recherche zur Geschichte der ersten "Bremen" des Norddeutschen Lloyd. Ein mühsames Unterfangen, wie das Zusammensetzen eines zerschmetterten Mosaiks. Die Quellenliste für ihr Buch zum Schiff reicht vom Focke-Museum und dem Staatsarchiv in Bremen über das Historische Museum in Bremerhaven bis zum Hoboken Historical Museum, Museen in Glasgow, Liverpool und vielen Einzelförderern der "Bremen"-Forschung.
Warum sind spätere Lloyd-Schiffe mit dem Namen "Bremen" so viel berühmter geworden als ihre Vorfahrin? Helge Ellwart führt das auf die rasend schnelle Entwicklung der Dampfmaschinen und der Schiffskonstruktionen jener Zeit zurück: "Die erste 'Bremen' hatte noch eine Niederdruckdampfmaschine, die mit nur zwei Bar Druck arbeitete. Sie mussten damals 400 Tonnen Kohle bei 1.000 Tonnen Nutzlast mitnehmen, um trotz Segelhilfe überhaupt über den Atlantik zu kommen. Das alles war 1858 Stand der Technik und richtig modern. Damals kamen aber recht bald Schiffe auf den Markt, die viel größer waren und kostengünstiger und sicherer fahren konnten."
Luxuriöse Ausstattung in der Ersten Klasse
Dabei trägt die erste "Bremen" durchaus schon die "Lloyd"-Gene in sich, die Geschäftsidee, welche die Reederei groß machen sollte: Die Erste Klasse für 60 zahlende Gäste ist luxuriös ausgestattet. Wände und Decken sind von Bremer Kunsthandwerkern ausgestattet worden. Es gibt zwei Bäder, großzügige Salons und eine Suite mit Flügel. So richtig kann man sich nicht erklären, wie das die Konstrukteure auf dem gut 100 Meter messenden Dampfsegler untergebracht haben. Denn in der zweiten Klasse lebten noch einmal 110 Menschen, in der dritten Klasse waren noch einmal 400 Personen eingepfercht. Dazu musste das Schiff auf seinen vier Decks auch noch Platz für die 102 Leute der Crew haben und im Vorschiff Frischfleisch in Form von Kühen, Schweinen, Schafen und Hühnern unterbringen. Für Helmut Grams findet sich diese Konzeption aber auch noch auf späteren, deutlich größeren Lloyd-Schiffen wie der "Lahn" oder der "Columbus" wieder: "Man konnte mit dem Lloyd im absoluten Luxus schwelgend über den großen Teich fahren oder eben auch für kleines Geld in der Holzklasse."
Tatsächlich trifft "Holzklasse" auf die dritte Klasse der ersten "Bremen" noch zu: Tanja Fittkau, Historikerin im Deutschen Auswandererhaus (DAH) in Bremerhaven, zeigt die Dreistockbetten der "Lahn" in der Ausstellung des DAH. Sie erläutert den Unterschied zur Unterbringung ein paar Jahre vorher auf der "Bremen": "Dort gab es noch Betten aus Holz. Aber keine Einzelbetten, sondern Gemeinschaftsbetten. Auch die später auf Lloydschiffen vorgeschriebene Geschlechtertrennung gab es auf der 'Bremen' noch nicht."
Man lebte da unten im Schiffsbauch schon auf engstem Raum – auch ohne die später vorgeschriebenen Sitzmöglichkeiten zu Mahlzeiten
Tanja Fittkau, Historikerin im Deutschen Auswandererhaus in Bremerhaven
Immerhin haben die Bremer Amateurforscher aber herausgefunden, dass die "Bremen" im Vergleich zu den reinen Auswandererseglern zumindest in Sachen Belüftung schon einen Fortschritt vorzuweisen hatte. Grams: "Es gab Bullaugen, die man öffnen konnte bei diesem Stahlschiff. Das half bei der Belüftung der Decks."
"Bremen" gerät als Höllenschiff in Verruf
Aber die "Bremen" ist für ihre Reederei kein gutes Geschäft: 1860, nach nur zwei Jahren im Dauereinsatz, bricht die extrem lange eiserne Antriebswelle des Schiffes hin zur über fünf Meter durchmessenden Schiffsschraube. Die "Bremen" liegt danach ein Dreivierteljahr still, bis Krupp in Essen eine neue Stahlwelle anliefern kann. In den Bilanzen des Norddeutschen Lloyd aus dem Jahr 1863 stehen für die "Bremen" nur fünf Reisen mit einem Ertrag von 48.278 Thalern und 28 Groschen. Die Welle und zahlreiche kleinere Havarien haben der Reederei aber zusammen 70.740 Thaler gekostet. Bei allem Prestige ist die "Bremen" betriebswirtschaftlich keine Wundermaschine.
1874 verkauft der "Lloyd" die "Bremen" nach 16 Jahren für lächerliche 38.000 Pfund Sterling an die Reederei Bates & Co in Schottland. Bates schmeißt umgehend die veraltete Dampftechnik aus dem Schiff und lässt es zur Bark umrüsten – im Vergleich immer noch zwanzig Meter länger als die heutige "Gorch Fock", das Ausbildungsschiff der Deutschen Marine. Von Liverpool geht es fortan um Kap Hoorn herum nach Los Angeles – nicht mehr nach Fahrplan, sondern als Spielball der Windgewalten. Das Schiff gerät bei den Amerikanern als "Hell Ship" – als Höllenschiff – in die Zeitungen, als es Todesfälle wegen Skorbut an Bord gibt.
1882 letzte Schlagzeilen für die "Bremen"
Autor Helge Ellwart: "Die letzten Jahre waren nicht mehr sehr rühmlich. Man rechnete eigentlich jederzeit mit dem Verlust des Schiffes. Und so erstaunt es nicht, dass allein die Ladung Whiskyfässer aus Schottland bei seiner letzten Reise mit zehn Millionen Pfund Sterling versichert gewesen sein soll." Am 16. Oktober 1882 vergisst der Kapitän – mit Kurs San Francisco – die Seitenströmung und den Windversatz mit in seine Navigation einzuberechnen. Er lässt die Wache auch nicht die Wassertiefe loten und treibt so auf die Farallon Islands – schroffe Felsenhügel, die heute geschützte Seevögelreservate sind. Die scharfen Klippen 50 Seemeilen vor der Golden Gate Bridge zerteilen den Eisenrumpf der "Bremen". Die Mannschaft kann komplett gerettet werden. Die Inselbewohner retten die Kohle. Ungeklärt bleibt aber der Verbleib der Whiskyladung, was die "Bremen" ein letztes Mal in die Schlagzeilen bringt. Auch Helmut Grams und Helge Ellwart würden ihre "Bremen"-Forschungen am liebsten mit einem Tauchgang vor den Farallons abschließen. Natürlich nur um zu sehen, was vom Wrack noch zu sehen ist, versteht sich. Nicht, um herauszufinden, wie über 130 Jahre alter Roggenwhiskey schmeckt.
Quelle: buten un binnen.
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 20. Dezember 2019, 19:30 Uhr