Von Bremen nach Kiew: Wie sich der Alltag nun in der Heimat anfühlt
Ein Jahr nach ihrer Flucht nach Bremen reist Reporterin Anna Chaika für zwei Wochen zurück nach Kiew. Hier versucht sie, ihren Alltag so normal wie möglich zu gestalten.
Ich erinnere mich zurück, als der Krieg vor einem Jahr im Februar in der Ukraine begann: Als die Sirenen losgingen und die Bedrohung mit Luftangriffen aus Russland kam, packte ich nicht als Erstes meine Sachen für den Luftschutzkeller. Nein, ich habe am Abend eine Tafel Schokolade gegessen. Ich meine, die Welt geht unter, es herrscht Krieg, ich könnte sterben, jetzt kann eine Tafel Schokolade meiner Figur nichts mehr anhaben.
Heute, nach dem Beschuss durch Kamikaze-Drohnen, ist mein "guilty pleasure" eine Kiewer Torte, die ich mir gegönnt habe: der unvergessliche Geschmack eines knusprigen Kuchens mit Nüssen und süßer Buttercreme voller Zucker.
Die berühmte Kiewer Torte ist ein Markenzeichen der Hauptstadt und wird aus Teig mit fermentierten Eiweißen hergestellt, was sie so knusprig und zart macht. Die Legende besagt, dass die Konditoren einfach vergaßen, die Eiweiße über Nacht in den Kühlschrank zu legen, und am Morgen waren sie fermentiert. Sie wollten die Lebensmittel aber nicht wegwerfen. Also beschlossen sie, einen Kuchen daraus zu machen.
Die Zeit trotz Krieg genießen
Neben dem Treffen mit Freunden habe ich für diesen und die folgenden Tage auch Schönheitsbehandlungen geplant: Maniküre und Augenbrauen. Alle Dienstleistungen sind in der Ukraine verfügbar und man muss nicht lange warten oder einen Termin weit im Voraus vereinbaren.
In dem Salon in der Nähe meiner Wohnung erzählt mir ein sehr nettes blondes Mädchen begeistert von den neuesten Fernsehsendungen, neuen Liedern, Tik-Tok-Trends – und alles scheint so zu sein wie früher. Doch dann werde ich plötzlich an den Krieg erinnert: Der Verlobte des Mädchens unterstützt die ukrainischen Streitkräfte, sodass sie seit Beginn des Krieges nicht mehr ausgegangen ist oder einen normalen Urlaub gemacht hat.
Während ich im Salon sitze, sehe ich aus dem Fenster, wie sich das Frühlingswetter in Kiew plötzlich in einen Wintersturm und Schneefall verwandelt. "Oh, Scheiße", sagt das Mädchen, "ich hoffe, unsere Jungs an der Front erfrieren nicht."
Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Der Sonntagmorgen, 2. April 2023, 11:40 Uhr