Im fremden Land: So erlebt diese Auszubildende die Pflege in Bremen
Die Fachkräftenot in der Pflege ist groß. Deshalb setzt man verstärkt auf ausländische Fachkräfte und Azubis. Doch hält Deutschland das, was es verspricht?
Fünfmal sagt Farangis Boltaeva das Wort "schwierig". In einer einzigen Antwort. Schwierig ist jedoch nicht die Arbeit. Nicht der Umgang mit dementen Menschen, die auf jede Berührung und jedes Wort empfindlicher reagieren, weil sie vergessen, wer sie sind und wer die anderen sind um sie herum. Nicht die Menschen, die so aus ihrem Gleichgewicht geraten sind, dass sie die Menschen beschimpfen, die ihnen helfen wollen. Nicht Nacht- oder Wochenendschichten, nicht die Nähe zum Leid, Tod, körperlichen Ausflüssen. Nicht der Zeitdruck, die körperliche Anstrengung. Nicht das bescheidene Gehalt, das auf den angespannten Wohnungsmarkt prallt. Schwierig ist die deutsche Sprache.
Eigentlich spricht Boltaeva mehrere Sprachen: Usbekisch, Deutsch, ein wenig Russisch und Türkisch. Und Englisch, aber mit "Defiziten". Vor 25 Jahren ist sie in Usbekistan geboren, in Samarkand aufgewachsen, einer Stadt an der Seidenstraße etwa so groß wie Bremen, übersät mit altertümlichen Koranschulen und Moscheen.
Usbekistan: ein Staat in Zentralasien, knapp 35 Millionen Einwohner, ein Land in dem Dschingis Khan, islamische und sowjetische Herrscher in den Jahrzehnten aufeinander folgten. Gemäßigtes Steppen- oder Wüstenklima je nach Region, heiße Sommer mit Temperaturen bis zu 50 Grad.
Vor vier Jahren als Au-Pair nach Deutschland, dann FSJ
Von Deutschland hatte sie vor allem eines erwartet: Regen. Und zwar jede Menge. Stuttgart, wo sie gelandet war, um als Au-Pair-Mädchen zu arbeiten, hat sie in dieser Hinsicht enttäuscht. "Das ist Deutschland", dachte sie, als sie zum ersten Mal einen Fuß in die Stadt Bremen setzte. Die Hansestadt, mit ihren unendlich grauen Herbsttagen.
Das war 2019. Inzwischen hat die 25-Jährige ein Freiwilliges Soziales Jahr hinter sich und eine Ausbildung als Pflegekraft angefangen, im September ist sie fertig. Bald wird sie eine der über tausend Fachkräfte in der Bremer Pflege sein, die einen ausländischen Pass haben. Männer und Frauen, die teilweise tausende Kilometer weit geflogen sind, um eine Ausbildung oder einen Beruf in Deutschland anzufangen. Männer und Frauen, die deutsche Personalnot lindern sollen.
Weitere Sprachbildung bei der Arbeit wäre wichtig
Fragt man sie, welches die größte Schwierigkeit ist als ausländische Pflegekraft, antwortet sie ohne zu zögern: die Sprache.
Ich konnte während meines Freiwilligen Sozialen Jahres keinen Deutschkurs machen, denn ich musste in Vollzeit arbeiten. Das war so schwierig. Die ersten Zeiten, als ich in der Schule war, konnte ich nicht so richtig verstehen, weil… Deutsch und zusätzlich noch die medizinische Fachsprache… Ich musste immer mehr lernen als die anderen.
Farangis Boltaeva, Pflegekraft-Azubi
Das Wichtigste vielleicht – und vielleicht auch das Schwierigste für Ausländer in einem Beruf, in dem Kommunikation eine zentrale Rolle spielt. Nicht nur mit den Patienten. "Viel dokumentieren" müsse man als Fachkraft. Schwer, wenn man die Schriftsprache nicht so richtig beherrscht. Etwas, das sich ausländische Fachkräfte oft durch zusätzliche Kurse nach der Arbeit aneignen müssen. Nicht selten abends, müde vom Arbeitstag.
Ich hätte mir gewünscht, dass die Menschen hier Sprachkurse bekommen, von den Arbeitgebern Unterstützung kriegen, um Deutsch lernen zu können.
Farangis Boltaeva, Pflegekraft-Azubi
Am meisten gefalle ihr doch der Austausch mit den Menschen, die sie betreut. "Ich bin aktuell in der Psychiatrie, viele denken, das sei ein gruseliger Job, aber das ist nicht so", sagt sie.
Pflege ist in der Heimat ganz anders
Boltaeva lächelt etwas angespannt, sie reibt die Hände aneinander, die sie im Schoß gefaltet hat, wippt mit dem rechten Bein. Noch nie musste sie ein Interview geben. Die helle Haut ihres runden Gesichts errötet leicht. Sie rückt sich das Kopftuch zurecht, das über ihr rotes Karohemd fällt.
Die Integration in Deutschland sei an sich nicht so schwer. Ja, die Gesellschaft sei ganz anders, die Religion, das soziale Leben. Freunde zu finden in einem neuen Land – sowieso nicht einfach. Aber im Grunde auch nicht unmöglich. Der kulturelle Schock, wenn man ihn so nennen will, kam eher bei der ersten Berührung mit der deutschen Pflege. Denn in Usbekistan gebe es kaum Alten- und Pflegeheime.
In Usbekistan werden ältere Menschen zu Hause betreut.
Farangis Boltaeva, Pflegekraft-Azubi
Das System hier sei eigentlich nicht schlecht, nur anders. Anfangs wollte die junge Frau mit Kindern arbeiten, dann landete sie fast per Zufall bei den Senioren. Die teilweise ein bisschen so wie Kinder seien, erwähnt sie mit einem Schmunzeln.
Die Zukunft ist hier
Boltaeva kam nicht aus Not hierher. Sie kam aus Neugierde und blieb aus Notwendigkeit. Arbeit, Verlobter, die Zukunft ist hier. Zurück, jetzt nicht mal daran zu denken. Man verändert sich im Ausland, und die Welt daheim tut es ebenso. Man entwickelt sich weiter, in Abwesenheit.
Ich war zweimal in Usbekistan und fühle mich dort schon ein bisschen fremd. Weil jetzt alles anders geworden ist. Mein Nachbar zum Beispiel, er war klein, als ich nach Deutschland kam. Jetzt ist er erwachsen geworden.
Farangis Boltaeva, Pflegekraft-Azubi
Dass Menschen wie sie hier bleiben, das wünschen sich Arbeitgeber in der Branche. Der Fachkräftemangel in der Pflege führt dazu, dass Bewerber und Bewerberinnen mit guten Qualifikationen, praktischer Erfahrung und einer deutschen Ausbildung heiß begehrt sind.
Boltaeva hat schon ein Angebot für die Zeit danach. Später vielleicht, irgendwann, wird sie sich auch weiterbilden. Vielleicht zum medizinischen Bereich übergehen. Vielleicht, vielleicht auch nicht. Wer weiß es jetzt schon. Sicher ist nur eines: Sie ist gekommen, um zu bleiben.
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 10. Februar 2023, 19:30 Uhr