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Können ausländische Pflegekräfte die Bremer Pflege retten?
Der Fachkräftemangel in der Pflege droht zuzunehmen. Kurzfristige Abhilfe verspricht die Rekrutierung im Ausland. Wie gut klappt das? Das sagen Bremer Experten.
Bis zu einer halben Million Fachkräfte könnten bis 2035 in Deutschland fehlen. Besonders gravierend ist die Lage in der Altenpflege. Hier trifft der Personalmangel auf eine immer älter werdende Gesellschaft. Eine Gesellschaft also, die zunehmend auf Pflegehilfe angewiesen sein wird.
Fehlende Pflegekräfte in Deutschland bis 2035
Das Problem ist allgegenwärtig und auch schon seit Jahrzehnten bekannt. Bremen bildet dabei keine Ausnahme. Lösungsansätze gibt es viele, für die meisten braucht man jedoch vor allem eins: Zeit.
Anzahl der Pflegebedürftigen in Deutschland (in 1.000)
Um den Fachkräftemangel kurzfristig zu lindern, setzt die Politik zunehmend auf ausländische Fachkräfte. Ende 2022 hat die Ampelkoalition mehrere Eckpunkte beschlossen, die die Migration von Arbeiter und Arbeiterinnen aus Nicht-EU-Ländern vereinfachen soll. Doch wie gut klappt das Vorhaben?
Pflegefachkräfte in Bremen
Quelle: Agentur für Arbeit, Stand: 06.2022
Im Land Bremen arbeiten momentan laut Daten der Agentur für Arbeit fast 1.100 Pflegefachkräfte ohne deutschen Pass. Das entspricht einem Anteil von zehn Prozent. Gut zwei Drittel davon kommen aus Drittstaaten. Diese Zahl schließt nur die sozialversicherungspflichtigen Fachkräfte mit ein, lässt also Selbstständige und geringfügige Beschäftigte außen vor. Außerdem sagt ein ausländischer Pass nichts aus über die Aufenthaltsdauer: Darunter können sich sogar Menschen befinden, die in Deutschland als Kind ausländischer Eltern geboren wurden.
Heimweh und unterschiedliche Vorstellungen von Pflege
Nicht immer ist die Zuwanderung ins neue Land einfach, das bestätigen die Erfahrungen einiger Bremer Träger. So wirbt beispielsweise die Bremer Heimstiftung seit einigen Jahren keine bereits ausgebildeten Pflegekräfte direkt im Ausland an.
Letztendlich haben wir festgestellt, dass der Aufwand sehr, sehr hoch ist und wenige Pflegefachkräfte am Ende bei uns bleiben und arbeiten.
Agnes-Dorothee Greiner, Leiterin Bildungszentrum Bremer Heimstiftung
Die Ursachen seien vielfältig, erzählt die Leiterin des Bildungszentrums bei der Bremer Heimstiftung, Agnes-Dorothee Greiner. Manchmal hätten die Menschen starkes Heimweh. Teilweise seien sie aus größeren Städten gekommen, in den Philippinen, wo sie ein breites soziales Netzwerk hatten. Teilweise kämen sie aus Ländern wie Spanien oder Polen, wo sie ein Bachelorstudium absolviert hatten und in denen die Pflege eher medizinischen Charakter habe.
Sie haben ein anderes Bild von Pflege.
Agnes-Dorothee Greiner, Leiterin Bildungszentrum Bremer Heimstiftung
Körperpflege etwa, die Teil des Alltags für deutsche Altenpfleger und -pflegerinnen ist, sei für manche ausländischen Fachkräfte überraschend gewesen, darauf hatte man sie nicht vorbereitet.
Heimstiftung: Inzwischen bilden wir sie hier aus
Die Heimstiftung ist dazu übergegangen, Menschen im Ausland für eine Ausbildung in Deutschland zu rekrutieren. Dabei sei einiges ebenfalls problematisch: die Bürokratie, eine Wohnung zu finden, sich einzuleben, die Umgangssprache zu lernen. Dafür brauchen sie Zeit. Allerdings haben sie die nicht.
Das Problem ist: Sie haben ausschließlich für die Ausbildung eine Aufenthaltsgenehmigung. Das heißt: Sie kommen am Sonntag an und am Montag müssen sie in der Ausbildung starten.
Agnes-Dorothee Greiner, Leiterin Bildungszentrum Bremer Heimstiftung
Von ähnlichen Herausforderungen berichtet das Diako Krankenhaus in Bremen-Gröpelingen. Beim Diako arbeiten Menschen aus 45 Nationen. Insgesamt sei die Erfahrung sehr gut, urteilen Verantwortliche in Pflegedienst und Ausbildung.
Das bereichert unsere Arbeit und es ist auch sehr hilfreich für die tägliche Arbeit. Wir haben Patienten und Patientinnen, die aus vielen verschiedenen Nationen kommen.
Markus Huber, Pflegedienstleitung Diako
Sprache als größtes Hindernis
Wirbt man jedoch direkt im Ausland an, sei die Sprache das größte Hindernis. Teilweise trauten sich die Menschen nicht zu reden. Zudem ist das Deutsch, das sie auf Niveau B2 des Europäischen Referenzrahmens in ihrer Heimat lernen müssen, sehr formell. Und auch die Anerkennung ausländischer Qualifikationen könnte schneller gehen, findet Markus Huber, Pflegedienstleiter. Neun bis zwölf Monate dauere sie für Abschlüsse aus Drittländern.
Problematisch sei ebenfalls die kommerzielle Ausnutzung der aktuellen Pflegenotsituation seitens mancher Dienstagenturen. Teilweise würden den Bewerbern in den Heimatländern unrealistische Versprechen gemacht, manchmal bekomme man "das Gefühl, dass man von einer Ware spricht – und nicht von Menschen", so Markus Janßen, Leiter des Bereichs Pflegeausbildung.
Man hat mitunter bei dem einen oder anderen Anbieter das Gefühl, das ist schon moderner Menschenhandel.
Markus Janßen, Leitung Bereich Pflegeausbildung bei Diako
Ausländische Fachkräfte alleine können die Personalnot nicht lösen
Die Ursachen für den Fachkräftemangel sind vielfältig. "Die Arbeitsbedingungen haben sich in den letzten Jahren eher verschlechtert. Das hat Burn-Out, Stress und so weiter als Folge", erläutert Pflegeforscher Stefan Görres. Zudem habe man nicht genug Auszubildende für die zunehmend ältere Gesellschaft, dies verstärkt wiederum den Druck und den Stress der Pflegekräfte, denn sie haben immer mehr Aufgaben zu erledigen und weniger Zeit zur Verfügung. Der Beruf werde so immer weniger attraktiv. In der Altenpflege sei das Problem noch größer. Denn die Gehälter seien niedriger, das Image noch schlechter als bei der Krankenpflege.
Viele ambulante Pflegedienste sagen: "Wir können die Nachfrage, die wir jeden Tag bekommen, gar nicht mehr befriedigen".
Stefan Görres, Professor Universität Bremen
Doch Experte und Träger sind sich einig: Mit ausländischen Fachkräften alleine man den Fachkräftemangel nicht lösen.
Diese Zahl, in wenigen Jahren 500.000 Pflegekräfte, kann man nicht alleine über Menschen aus dem Ausland kompensieren.
Stefan Görres, Professor Universität Bremen
Außerdem gebe es einen Pflegenotstand ebenso in anderen Ländern, etwa Skandinavien, die teils bessere Bedingungen anbieten können.
Das Problem habe sich über Jahrzehnte entwickelt, sagt Görres. Dies kurzfristig zu lösen sei schwierig. In Bremen gibt es Projekte, um Menschen in die Pflege zurückzuholen. Dafür müsse man aber attraktiv werben, mit guter Bezahlung und guter Work-Life-Balance.
Um die Fachkräfte aus dem Ausland nach Deutschland zu locken, wünschen sich die Träger ihrerseits mehr Unterstützung von den Behörden, um die Bürokratie zu verschlanken und sinnvoller zu gestalten. Auch auf Ebene der Sprachförderung wolle man neue Wege einschlagen. Wie diese aussehen sollen und wie effektiv sie sein können, wird sich wohl in den nächsten Jahren zeigen.
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 10. Februar 2023, 19:30 Uhr