Eine Irrfahrt durch halb Deutschland
Es waren die Ereignisse von 54 Stunden, die als das Gladbecker Geiseldrama in die Geschichte eingegangen sind. Zwei Bankräuber fuhren planlos durch Deutschland, nahmen Geiseln, töteten – und die Nation sah am Fernseher zu. Auch Bremen war Schauplatz.
Die spektakuläre Geiselnahme begann mit einem Banküberfall im westfälischen Gladbeck. Am Morgen des 16. August 1988 dringen zwei bewaffnete Männer in eine Filiale der Deutschen Bank ein: Hans-Jürgen Rösner und Dieter Degowski. Als sie mit ihrer Beute im Wert von 120.000 Mark fliehen wollen, sehen sie draußen Polizisten. Sie nehmen zwei Angestellte in ihre Gewalt und fordern 300.000 Mark Lösegeld sowie ein Fluchtfahrzeug. Derweil rufen Journalisten bei der Bank an und sprechen direkt mit einem der beiden vorbestraften Geiselnehmer. Irritiert fragt der Reporter noch mal nach. So entstand das erste Interview mit Hans-Jürgen Rösner. Später erfolgte die Geldübergabe. Ein Fluchtauto wird bereitgestellt. Abends steigt dann Rösners Freundin, Marion Löblich, mit in das Auto.
Bus in Bremen entführt
Das Trio reist mit den Geiseln zunächst nach Bremen – gefolgt von Journalisten und einer anscheinend hilflosen Polizei. Im Stadtteil Huckelriede kapern die Gangster einen Linienbus mit 32 Fahrgästen. Während sich die Polizisten komplett zurückhalten, kennen die Reporter keine Scheu. Ihren Fragen stellt sich der tätowierte Rösner mit einer Waffe in der Hand. Dabei kündigt er an, dass er Forderungen stellen werde. "Wenn die nicht erfüllt werden, dann knallt es." Auf Nachfrage sagt er: "Wir haben abgeschlossen mit dem Leben. Vor allem mein Kumpel ist brandgefährlich. Ich scheiß auf mein Leben." Zahlreiche Raubüberfälle und Einbrüche in Gladbeck gehen auf sein Konto. Der 31-jährige Rösner floh nach elf Jahren Haft auf einem Freigang. Zwei Jahre hätte er noch absitzen müssen. Sein 32-jähriger Komplize blickt auf ein ähnliches Strafregister zurück. Beide haben offensichtlich nichts mehr zu verlieren.
Verhaftung mit tödlichen Folgen
Die Geiselnehmer fahren mit dem Bus weiter. An der Autobahnraststätte "Grundbergsee" geht Rösners Freundin zur Toilette, wo sie von Polizisten verhaftet wird. Daraufhin droht Rösner, Geiseln zu töten, wenn seine Freundin nach fünf Minuten nicht wiederkehren sollte. Die Freilassung verzögert sich. Dieter Degowski verliert die Nerven und schießt dem 15-jährigen Emanuele de Giorgi in den Kopf. Der italienische Junge wollte seine kleine Schwester schützen, die ursprünglich das erste Opfer werden sollte. Für Emanuele kam jede Hilfe zu spät.
Fast alle Geiseln kommen frei
Die Flucht geht weiter über die niederländische Grenze: In Oldenzaal lassen die Gangster alle Geiseln frei – bis auf die beiden 18-jährigen Freundinnen Ines Voitle und Silke Bischoff. Die Entführer tauschen den Bus gegen ein Fluchtauto und fahren damit bis nach Köln. In der Innenstadt posieren Rösner und Degowski mit ihren Waffen vor laufenden Kameras. Sogar die Geiseln werden interviewt. Zudem bietet sich ein Journalist als Lotse bis zur nächsten Raststätte an.
Schießerei auf der Autobahn
Später auf der Autobahn in Richtung Frankfurt am Main wird der Wagen von einem Polizeifahrzeug gerammt. Es folgt ein Schusswechsel. Ines Voitle rettet sich mit einem Sprung aus dem Auto. Ihre Freundin Silke Bischoff stirbt durch eine Kugel aus Rösners Waffe. Nach 54 Stunden endet das Drama. Die erschütternde Bilanz: zwei tote Geiseln, ein tödlich verunglückter Polizist und viele Verletzte.
Dieses Thema im Programm: Hörfunknachrichten, 10. Oktober 2017, 16 Uhr