Interview
Klima, Bau und Verkehr: Wo Bremens BUND mehr Tempo vom Senat fordert
Die Bremer Umweltschützer warnen den Senat davor, den Klima- und Ressourcenschutz zu vernachlässigen. Wie es besser funktionieren könnte, verrät der Bremer BUND-Vorstand.
In dieser Woche hat die Menschheit nach knapp acht Monaten den Ressourcenverbrauch überschritten, den unsere Erde dauerhaft nur in einem kompletten Kalenderjahr verkraften kann. Im Industrieland Deutschland gibt die Rechnung sogar noch mehr Grund zur Sorge: Hier lag der Erdüberlastungstag in diesem Jahr bereits am 2. Mai.
Der BUND hat in dieser Woche auch den Bremer Senat kritisiert, zu wenig für Energiewende, Bauwende und Mobilitätswende zu tun. Im Interview erklärt Bremens BUND-Vorstand Klaus Prietzel, wo es aus Sicht der Umweltschützer in Bremen hakt.
Herr Prietzel, wenn wir den Erdüberlastungstag mal für Bremen, seine Bevölkerung und seine Industrien berechnen würden, wie früh im Jahr hätte unsere Hansestadt ihr Kontingent verbraucht?
Schneller als die Welt auf jeden Fall. Ob auch schneller als Deutschland insgesamt, das müsste man genauer prüfen. Es wäre aber wahrscheinlich, denn der Ressourcenverbrauch in Städten ist höher als auf dem Land. Das gilt aber nicht für jede Kennzahl. Grundstücke auf dem Land sind oft größer als in Stadtgebieten. Und es geht bei der Erdüberlastung ja nicht nur um Klimawandel, sondern auch um Flächennutzung, Versiegelung und den Verbrauch von Ressourcen wie Wasser.
Es wäre auch nicht gerecht, den Ressourcenverbrauch von Mercedes oder den Stahlwerken nur Bremen anzulasten. Das müsste man von einer deutschlandweiten oder europäischen Perspektive her anschauen.
Dennoch hat der BUND dem Bremer Senat in dieser Woche zu wenig Engagement beim Klimaschutz vorgehalten. Was kritisieren Sie?
Beim Klimaschutz geht es unter anderem darum, wie man beispielsweise den Verbrauch fossiler Ressourcen wie Erdgas oder Heizöl senken kann. Hier wäre eine kommunale Wärmeplanung wichtig. Das Thema ist seit 2012 in der Bürgerschaft. Doch erst jetzt hat man einen Gutachter bestellt mit einer Perspektive bis 2025. Das ist aus unserer Sicht zu spät.
Warum ist eine kommunale Wärmeplanung so wichtig?
Weil sie beispielsweise die Voraussetzungen dafür schafft, die Potenziale dezentraler Wärmeversorgung zu nutzen. Wir müssen Umweltwärme stärker nutzen, zum Beispiel Erdwärmepumpen oder Luftwärmepumpen. Es gibt ja schon jetzt Initiativen in Bremen, die als Vorbild dienen könnten. Zum Beispiel das Projekt "Erdwärme dich" in der Humboldtstraße im Bremer Viertel, wo Anwohner bereits eine Genossenschaft gegründet haben, um gemeinsam eine Erdwärmeversorgung zu organisieren.
Solche Initiativen über eine kommunale Wärmeplanung zu fördern, wäre wichtig. Auch eine Initiative auf der Überseeinsel, wo Flusswärme der Weser genutzt werden soll, sehen wir als beispielshaft an. Dafür muss ein Rahmen geschaffen werden.
Ist Fernwärme eine Lösung?
Grundsätzlich finden wir Wärmenetze zwar gut. Die derzeit in Bremen und Bremerhaven praktizierten Formen sind aber nicht nachhaltig. Denn sie basieren ja im Wesentlichen auf Müllverbrennung in großen, zentralen Anlagen. Zur Überbrückung ist das zwar besser, als Kohle- und Gaskraftwerke laufen zu lassen. Besser wären aber dezentrale Abwärmequellen, bei denen zum Beispiel Abwässer oder Abwärme von Industrieanlagen in den jeweiligen Quartieren genutzt werden. Und dafür gibt es noch kein Konzept.
Auch Bremens Baupolitik ist Ihnen ein Dorn im Auge. Warum?
Es fehlt eine Bauwende. Denn bisher bauen wir meist noch mit Beton und mineralischen Baustoffen. Doch die sind endlich. Bestimmte Bausande und Gesteinsarten holen wir inzwischen aus Übersee. Zement ist zudem einer der CO2-intensivsten Sektoren überhaupt.
Was schlagen Sie stattdessen vor?
Eine Alternative ist Holz. Ein Positivbeispiel in Bremen ist hier der Ellener Hof. Das Modellquartier ist so konzipiert, dass dort im Wesentlichen in Holzbauweise gebaut wird.
Es ist aber auch wichtig, weniger bestehende Gebäude abzureißen. Solche Abrisse machen rund die Hälfte des Abfallaufkommens in Deutschland aus. Und wenn Abbruchstoffe heute wieder neu eingesetzt werden, dann meist nicht für Neubauten, sondern eher für den Straßenbau. Das ist ein klassisches Downcycling. Besser wäre ein Recycling. Dabei würde zum Beispiel Glas wieder für Fenster und Abrissbeton erneut für Gebäude eingesetzt. Die Rahmenbedingungen dafür müssen aber geschaffen werden.
Tut Bremen das nicht?
Nein. Die neue Landesbauordnung sagt explizit, dass kein kreislauffähiges Bauen vorgeschrieben wird, um Bauvorhaben für bezahlbaren Wohnraum nicht zu behindern.
Haben Sie kein Verständnis für diese Argumentation?
Aus meiner Sicht ist das eine zwar beliebte, aber unzulässige Verknüpfung. Ich bin zwar dafür, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen – aber bestenfalls im Bestand. Mit Neubaugebieten wird nur gefördert, dass pro Person die Wohnfläche bei stagnierender Bevölkerungszahl nach und nach steigt. In den 1990er Jahren waren wir bei 35 Quadratmetern pro Person, heute sind wir bei 46 Quadratmetern.
Es gibt aber auch in Bremen andere Beispiele. Nehmen wir das Überseequartier auf dem ehemaligen Kellogg-Gelände oder das Bundeswehrhochhaus, das unter Gewoba-Regie umgebaut wird. Wir müssen auch in Bremen generell von einer Bauordnung zu einer Umbauordnung kommen. Gerade der öffentliche Bereich kann da bei großen Bauvorhaben vorangehen.
Umbauten, wie jetzt das Bundeswehrhochhaus, sind aber oft sehr teuer.
Ich würde bestreiten, dass es teurer ist als ein Neubau. Natürlich verteuert beispielsweise der moderne Brandschutz und andere Vorgaben einiges. Da könnten in der Bauordnung aber auch bestimmte Kriterien angepasst werden. Man muss so ein Bestandgebäude auch nicht unbedingt auf den neusten Wärmestandard bringen. Allein dadurch, dass man die im Altbau steckende graue Energie nutzt, hat man ja viel gespart.
Das gleiche gilt für das ehemalige Kellogg-Gelände, wo vieles umgenutzt wird. Auch das autofreie Verkehrskonzept dort ist aus unserer Sicht vorbildlich.
Die Klima-Enquete-Kommission hat eine Reduzierung des Autobestands in Bremen um rund zwei Drittel vorgeschlagen. Stattdessen ist die Zahl der Autos in der Stadt zuletzt gestiegen.
Ja. Auch das kritisieren wir. Um eine wirkliche Mobilitätswende zu schaffen, müssten die gewünschten Verkehrsarten wie Fahrrad oder ÖPNV deutlich attraktiver werden. Andere Städte machen das vor. Amsterdam oder Kopenhagen zeigen, dass es geht. Das sind Beispiele, wo es mit konsequenter Planung und jährlich weniger Pkw-Parkplätzen funktioniert hat.
Bislang gibt es in Bremen kein vergleichbares Konzept. Eine Maßnahme könnte beispielsweise sein, flächendeckend Tempo 30 durchzusetzen, was durch das neue Straßenverkehrsgesetz möglich wäre.
Wenn Bremen so einen Umschwung, wie von der Enquete-Kommission gefordert, hinbekommen will, dann kann man auch nicht einzelne Parkplätze prüfen. Dann muss man groß rangehen, zum Beispiel durch eine offensive Parkraumbewirtschaftung wie in Paris. Auch wenn das nicht alle gut finden und viele mit den Zähnen knirschen werden.
Dieses Thema im Programm: Bremen Vier, Nachrichten, 25. Juli 2024, 8 Uhr