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Zeiterfassung für Lehrer: Bremer Forscher liefern 7-Punkte-Vorschlag

Schüler einer Grundschule arbeiten in einem Klassenzimmer an Mathematikaufgaben.
Eine Grundschullehrerin arbeitet mit einer Klasse an Mathe-Aufgaben. Bild: dpa | Bernd Weißbrod

Bremer Forscher haben ein Modell zur Arbeitszeiterfassung entwickelt. Viele Lehrer sind laut Bildungsressort mutmaßlich überlastet – darunter leidet der Unterricht.

Wie lässt sich die Arbeitszeit von Lehrkräften erfassen? Diese Frage beschäftigt die Politik mindestens seit feststeht, dass sie erfasst werden muss: seit dem "Stechuhr-Urteil" des Europäischen Gerichtshofs vom Mai 2019, dem im September 2022 das Bundesarbeitsgericht folgte.

Geschehen ist seitdem jedoch wenig an den Schulen. Das gilt auch für Bremen. So räumt das Bildungsressort in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der CDU-Fraktion vom Januar zwar ein, dass viele Lehrkräfte "mutmaßlich auch im Land Bremen" regelmäßig Überstunden machten und überlastet seien – zum Schaden ihrer Gesundheit. Aber ein System zur Erfassung der Arbeitszeit von Lehrkräften hat Bremen bislang ebenso wenig eingeführt wie andere Bundesländer. Zur Begründung teilt das Ressort in seiner Antwort an die CDU mit, dass die Tätigkeiten, die Lehrkräften ausübten, "bislang nicht festgelegt" seien.

Neues System zur Zeiterfassung

Ein Lehrer zeigt auf einem Elternabend auf einem Whiteboard ein Erklärvideo.
Ein Elternabend: Auch dafür müssen sich Lehrerinnen und Lehrer Zeit nehmen. Bild: Imago | Funke Foto Services

Hier setzt das Bremer Institut für interdisziplinäre Schulforschung (ISF) an. In einem Papier, das buten un binnen vorliegt, beschreibt das Institut, wie die Arbeitszeit von Lehrkräften bemessen werden könnte und wie Lehrkräfte ihre Arbeitszeit schon heute dokumentieren sollten – um im Zweifelsfall eine Entschädigung für Mehrarbeit erstreiten zu können. Genau dies ist kürzlich einem ehemaligen niedersächsischen Grundschulleiter geglückt. Das Oberverwaltungsgericht Niedersachsen hat ihm im Februar dieses Jahres einen finanziellen Ausgleich in Höhe von 32.000 Euro für fünf Jahre lang zu viel geleistete Arbeit zugesprochen.

Konkret empfiehlt das ISF Bremens Lehrkräften, ihre Arbeit mithilfe dieser sieben Ziffern zu gliedern und zu jeder Ziffer täglich – etwa in einer Excel-Tabelle – zu hinterlegen, wie viel Zeit sie zu welcher Stunde in die jeweilige Tätigkeit investiert haben:

1 Schulische Kerntätigkeit

  • Beginn mit dem Betreten, Ende mit dem Verlassen des Schulgebäudes – Pausen sind herauszunehmen.
  • Enthält Unterricht, Pausenaufsicht, Kollegengespräche, Kopien, Schülerbetreuung sowie die Vorbereitung des Lernsettings.

2 Schulische Termine außerhalb der Unterrichtszeit

  • Konferenzen, Elternsprechtage, Schulveranstaltungen wie Konzerte oder Theateraufführungen, schulinterne Fortbildungen.
  • Individuelle Fördermaßnahmen, Einzelbetreuung von Schülern, Projektorganisation, Schulentwicklungsaktivitäten, Lehrplanentwicklung, Teilnahmen an Qualitätsentwicklung.

3 Pädagogische Arbeit von zu Hause

  • Unterrichtsvorbereitung und -nachbereitung .
  • Dokumentation der Unterrichtstätigkeit, Lernzielkontrollen und Korrekturen .
  • Erstellen von Lernentwicklungsberichten, Eltern- und Schülerkommunikation, Abstimmung mit Kolleginnen und Kollegen.

4 Außerschulische Kooperationen

  • Kontakte mit schulnahen Institutionen (Regionale Beratungs- und Unterstützungszentren (Rebuz), Sportvereine, Netzwerke im Quartier, Kultureinrichtungen, Polizei, Kirchen, Drogenberatung).

5 Außerschulische pädagogische Arbeit und Qualifizierung

  • Klassen- und Kursfahrten, Wandertage, Exkursionen .
  • Betreuung von Praktika, eigene Fortbildung bei externen Trägern, Prüfungen bei externen Trägern, etwa in der Berufsausbildung.

6 Krankheitsbedingte Ausfallzeiten

  • Erfassen der krankheitsbedingten Ausfallzeiten nach Attest.

7 Sonstige dienstliche Tätigkeiten

  • Alle weiteren Aufgaben, die in keine der obigen Kategorien fallen, müssen gesondert dokumentiert werden.

"Zu viele Aufgaben, zu wenig Zeit"

Älterer Herr mit dunkler Hornbrille, Glatze und Dreitagebart guckt für Portrait in Kamera
Fordert, dass die Arbeitszeit von Lehrkräften an Bremens Schulen fair erfasst und gewürdigt wird: Helmut Zachau. Bild: Radio Bremen | Alexander Schnackenburg

"Wir fordern, dass Bremen dieses Modell einführt und raten den Kolleginnen und Kollegen schon jetzt, ihre Arbeitszeit nach diesen Kriterien täglich zu dokumentieren", sagt Helmut Zachau vom ISF zu den sieben Ziffern seines Instituts. Der ehemalige Leiter des Schulzentrums Walle wirft den Ländern, allen voran Bremen vor, Lehrkräften in den vergangenen Jahren nach und nach immer mehr Aufgaben aufgezwungen zu haben – ohne sie anderweitig zu entlasten oder für einen finanziellen Ausgleich zu sorgen.

Der Pädagoge stützt sich auf eine Studie, die sein Institut 2020 im Auftrag des Grundschulverbandes veröffentlicht hat. Sie trägt den Titel "Zu viele Aufgaben, zu wenig Zeit: Überlastung von Lehrkräften in der Grundschule". Hierin zeigen die Autoren 55 Aufgaben für Lehrkräfte auf, die sich aus Gesetzen und behördlichen Vorschriften ergeben: etwa zur Beratung von Eltern, zum Korrigieren, zum Aufsicht-Führen und zum Unterrichten.

Unter diesen Vorzeichen, sagt Zachau, werde es immer schwerer, neue Lehrkräfte für den Beruf zu begeistern. Auch leide die Qualität des Unterrichts unter der dauerhaften Überlastung der Lehrerinnen und Lehrer. Statt ihnen immer neue Aufgaben zuzumuten, müsse die Politik deutlich mehr Geld in die Bildung stecken, zumal in Bremen.

Es muss etwas geschehen in unserem Bildungssystem. Die Zeiterfassung der Lehrerarbeit wäre ein Anfang.

Pädagoge Helmut Zachau

Personalrat Schulen auf einer Linie mit ISF

Eine Lehrerin kümmert sich um eine Grundschülerin auf dem Schulhof, die gestürzt ist.
Aufsicht auf dem Schulhof: ein weiterer Zeitfaktor. Bild: dpa | Shotshop/Stockbroker xtra

Jörn Lütjens vom Personalrat Schulen unterstützt den Vorstoß des ISF. Er sagt: "Wir vermuten, dass die vorgeschriebenen Arbeitszeiten der Lehrkräfte systematisch im Mittel überschritten werden." Der Personalrat fordere die Umsetzung der geltenden Rechtslage. Es sei skandalös, dass sich der Senat gegen den Arbeits- und Gesundheitsschutz stelle, weil damit Kosten verbunden sein könnten.

Tatsächlich hat sich der Bremer Senat aufgrund einer Anfrage der Grünen in der Bremischen Bürgerschaft am Dienstag erneut mit der Arbeitszeiterfassung bei Lehrkräften befasst. Der Stand der Dinge: Eine Arbeitsgruppe "Lehrkräftearbeitszeit" arbeitet an einem System zur Arbeitszeiterfassung für alle Beschäftigten an Bremens Schulen. Allerdings, so der Senat, bedürfe die Einführung "einer sorgfältigen Vorbereitung nicht nur fachlich-inhaltlicher Art, sondern auch für die technische und organisatorische Umsetzung". Es sei eine Pilotphase mit anschließender Evaluation geplant – ab August 2026.

Kunstprojekt bringt Farbe in Hemelinger Schulalltag

Bild: Radio Bremen

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Quelle: buten un binnen.

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 28. März 2025, 19.30 Uhr