Hintergrund
"Umgedrehte Kommode": Vom Wasserturm zu Bremens schönstem Stadtmöbel
Mit der "Umgedrehten Kommode" wurde Bremen in den 1870er Jahren zur Großstadt. Als der schmucke Bau nicht mehr gebraucht wurde, begann das zähe Ringen um seine Zukunft. Eine Zeitreise.
Sauberes Wasser gehört zum Wichtigsten, um Wohl und Wohlstand einer Stadt sicherzustellen. Als Bremens Einwohnerzahl seit den 1860er Jahren rasant wuchs, mussten sich die Stadtoberen überlegen, wie sie bald mehr als 100.000 Menschen und eine gedeihende Industrie mit Wasser versorgen. Denn das zuvor noch von Pferden angetriebene Schöpfrad an der alten Weserbrücke und eine seit den 1840er Jahren eingesetzte, dampfbetriebene Pumpe reichten nicht aus, um künftig Tausende Haushalte mit Flusswasser zu versorgen.
1871: Mit der technischen Planung und der Ausführung des Baus einer neuen zentralen Wasserversorgung wurde Anfang der 1870er Jahre Rudolph Berg beauftragt, er war seit 1860 Wasserbaudirektor der Hansestadt. Als Architekt wurde der Bremer Johann Georg Poppe engagiert, der sich vor allem durch den Bau von Villen und Landhäusern in Horn und Oberneuland einen Namen gemacht hatte.
1873: Planung und Bau des neuen Bremer Wasserturms auf dem Stadtwerder dauerten rund drei Jahre. Architektonisches Vorbild waren die damals in den deutschen Steinkohlegebieten vielfach gebauten Fördertürme aus meterdickem Ziegelmauerwerk, die nach einer russischen Festung an der Krim benannten "Malakow-Türme".
Die Bremer Variante des Bauwerks zeichnete sich durch vier Ecktürmchen aus, die in den Himmel ragten, was dem Bauwerk unter Bremerinnen und Bremern bald den Namen "Umgedrehte Kommode" eintrug. Zwei der Türme waren Schornsteine für den Rauch der Dampfmaschinen, der dritte bot Platz für Wasserleitungen, der vierte diente als Aufgang. Das Wasser wurde aus der Weser entnommen und in Sandfilteranlagen gereinigt.
1875: Bei Inbetriebnahme des Backstein-Kolosses im November 1973 wurden zunächst nur 2.000 Hausanschlüsse über eine "allgemeine Wasserleitung" versorgt – und parallel stieg Bremens Bevölkerungszahl rasant. 1875 lebten erstmal mehr als 100.000 Menschen in der Stadt. In den 1880er Jahren wurde jedoch schon die Hälfte der damals rund 120.000 Bremerinnen und Bremern mit Leitungswasser versorgt.
1908: Ab 1908, da zählte Bremen bereits 233.000 Einwohner, waren schließlich alle Haushalte an die städtische Wasserversorgung angeschlossen.
1935: In den 1930er Jahren, da hatte Bremen rund 330.000 Einwohner, stellte die Stadt ihre Wasserversorgung erneut um. Erstmals wurde Bremen jetzt durch Harzwasser versorgt – über eine mehr als 200 Kilometer lange Fernleitung. Das war eine gute Nachricht für Bremerinnen und Bremer: Das Wasser, das seit der Jahrhundertwende durch Abwasser der am Oberlauf der Weser angesiedelten Kali-Industrie immer chlor- und salzhaltiger geworden war, wurde durch geschmacksneutraleres Wasser ersetzt.
1965: In den kommenden Jahrzehnten erhöhte die Stadt den Anteil ihrer Wasserversorgung aus dem Harz und vor allem aus umliegenden Quellen in Niedersachsen immer weiter. Seit 1965 fließt durch die Harzwasserleitung Trinkwasser aus den Grundwasserwerken Liebenau und Schneeren. Darüber hinaus trägt das Wasserwerk Ristedt zur Versorgung bei.
1978: Die "Umgedrehte Kommode" verlor so als Wasserturm immer mehr an Bedeutung. Umso mehr rückte jedoch ihr architektonischer Rang in den Vordergrund. 1978 wurde der Backsteinbau daher zum Kulturdenkmal erklärt.
So sieht die "Umgedrehte Kommode" von innen aus
1983: Da der Wasserturm seinen ursprünglichen Zweck nicht mehr erfüllte, wurde er – fünf Jahre nach seiner Aufnahme in den Denkmalschutz – als Wasserturm ganz aufgegeben.
1997: So begann die Debatte über eine Nachnutzung des Baudenkmals an der Weser. 1997 entwickelte beispielsweise die Bremer Wohnungsbaugesellschaft Brebau erste Konzepte, wie die "Umgedrehte Kommode" zur Gastronomie-, Wohn- und Büro-Immobilie weiterentwickelt werden könnte. Die Kosten für den Umbau taxierte der damalige Brebau-Geschäftsführer Jürgen Lüthge im Jahr 2004, je nach Umfang, auf sechs bis dreißig Millionen Euro.
2004: Lüthge begrüßte die Gründung der Entwicklungsgemeinschaft Wasserturm durch drei Investoren aus Berlin. Sie verkündeten, die "Kommode" vom damaligen Eigentümer, der Bremer SWB AG, kaufen und das Gebäude umbauen zu wollen – ein Glasdach und ein Café mit Ausblick auf die Altstadt inklusive.
2005: Der Kauf kam im folgenden Jahr zustande. Doch rund liefen die Umbaupläne nicht. Vor allem der Investor Sven-Erik Gless stieß mit seinen Bauplänen und Nutzungskonzepten rund um den Wasserturm auf konsequenten Widerstand des seit 2001 amtierenden Landesdenkmalpflegers Georg Skalecki. Keine Glaskuppel, keine Veränderungen an den Fenstern, kein gläserner Außenfahrstuhl. Skalecki erklärte solche Umbauten zum Tabu.
2008: In jenem Jahr wurden die letzten noch im Turm verbliebenen 800.000 Liter Wasser in das Bremer Trinkwassernetz abgelassen. Zuvor wurden jedoch noch 100 Flaschen Wasser abgefüllt und mit der Aufschrift etikettiert: "swb AG Exclusivabfüllung – swb Wasser aus dem altehrwürdigen Wasserturm Auf dem Werder".
2011: Nachdem konsensfähige Pläne für einen Umbau des "Leuchtturmprojekts" weiterhin nicht in Sicht waren, zog sich Investor Gless im Sommer 2011 aus dem operativen Geschäft zurück. Kurz darauf wurde die "Umgedrehte Kommode" ein paar Wochen lang für Kunstprojekte und eine Ausstellung zwischengenutzt, an der unter anderem die Schwankhalle, die Shakespeare Company und die Heinrich-Böll-Stiftung beteiligt waren. Im August fand zum Abschluss ein Konzert mit Synthesizern statt.
2022: Erst elf Jahre später kehrte wieder Leben zurück in die alten Backsteinmauern. Seither führt die Agentur Joke Events in der von ihr als "Kathedrale" vermarkteten Location regelmäßig Veranstaltungen für bis zu hundert Personen durch – vom PR-Event bis zur Firmenfeier.
2023: Bald darauf kommt Bewegung in die Umbaupläne des Bremer Wahrzeichens: Die mittlerweile auf fünf Anteilseigner angewachsene Projektgesellschaft einigt sich unter neuer operativer Führung im Einklang mit Denkmalpfleger Georg Skalecki und Stadtbaudirektorin Iris Reuther auf ein gemeinsames Konzept. Auf dessen Grundlage wird ein Architekturwettbewerb ausgeschrieben.
2024: Im Juni steht der Siegerentwurf aus acht Einreichungen für den Umbau des Wasserturms fest. Rund 30 Wohnungen, Ateliers, Büros und Gewerbeflächen sind im Konzept des Architekturbüros Westphal vorgesehen. Äußerlich soll die "Umgedrehte Kommode" zudem wieder an frühere Zeiten angenähert werden, als die zwischenzeitlich gestutzten Türmchen noch etwas höher waren. 2026 sollen die Bauarbeiten beginnen.
Quelle: buten un binnen.
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 26. Juli 2024, 19:30 Uhr