Wie das Junge Theater Bremen Kinder für die Bühne begeistert

Kleine Bühnen, große Konkurrenz: Warum die Programmauswahl wichtig ist

Bild: Jörg Landsberg

Die Jugendsparte des Theaters Bremen entwickelt Stücke mithilfe des Publikums. Auch ernste Themen behandelt es mit Humor. Dabei geht es auch mal chaotisch zu.

"Achtung, Rutschgefahr!" mahnt ein Schild in der Mitte der Bühne. Die Regisseurin und Dramaturgin Valeska Fuchs hat es dort soeben hingestellt. Rings herum bauen die übrigen Mitglieder des Kollektivs "Arnold&Bianka" weitere Requisiten auf, sie stellen und legen sie auf den Boden: darunter eine Tür samt Rahmen, ein Stuhl, ein Spielzeug-Affe, der auf Schellen schlägt, ein Furzkissen und ein paar Rollschuhe. Eigenwillige elektronische Laute aus acht Lautsprechern untermalen die Szenerie akustisch, gerade so, als konkurrierten sie miteinander statt sich zu einer Melodie zu verbinden. Chaos pur, könnte man meinen.

Der Eindruck täuscht nicht. Wir verfolgen eine Vorprobe am Jungen Theater Bremen, der Jugendsparte des Theaters Bremen, zu dem noch zu entwickelnden Stück "Chaos!". Mit den vermeintlich willkürlich zusammengeworfenen Requisiten möchte das professionelle Theaterensemble Kettenreaktionen erzeugen: Eine Tür, die beim Aufschlagen Rollschuhe in Bewegung setzen, die dann wieder einen Stuhl zum Umstürzen bringen, der dabei den Affen mit seinen Schellen in Bewegung setzt – oder so ähnlich.

"Spaß an Überraschungen"

Theaterszene mit drei Akteuren, die singen und Gitarre spielen
Rhythmuswechsel sind im Jungen Theater Bremen Programm. Unser Foto zeigt eine Szene aus "Pech und Schwefel". Bild: Jörg Landsberg

"Es geht um die sinnliche Erfahrung von Chaos", sagt Schauspieler Fabian Eyer dazu. Das Ensemble versuche, auf spielerische Weise für sich herauszufinden, was es überhaupt für Formen des Chaos gibt, um im nächsten oder übernächsten Schritt konkrete Ideen für das Stück daraus zu entwickeln. Am Ende des Prozesses, zur Premiere am 27. April, soll eine Inszenierung stehen, in der sich das Publikum – Jugendliche ab zwölf Jahren – möglichst gut wiederfindet: im eigenen Chaos also gewissermaßen.

Allerdings geht es dem Ensemble nicht darum, den Jungen und Mädchen Schrecken des Chaos aufzuzeigen oder sie gar erhobenen Zeigefingers zu mehr Ordnung zu erziehen. Das Junge Theater Bremen hat sich auf die Fahne geschrieben, seinem jugendlichen Publikum auch schwere Themen möglichst humorvoll zu präsentieren. Wie das bei einem Thema wie Chaos aussehen kann, beschreibt die Schauspielerin Anne Sauvageot mit den Worten: "Das Loslösen von Ordnung kann viel Spaß machen, Spaß an Überraschungen." Genau an diesen Überraschungen, an verblüffenden Wendungen auf der Bühne hätten junge Menschen oft besonders viel Freude.

Junges Theater nutzt Feedback von Schulklassen

Theaterszene mit einem traurigen Mädchen auf einer Schaukel im Vordergrund
Auch um traurige Themen macht das Junge Theater keinen Bogen, wie dieses Szenenbild aus "Und alles" zeigt. Meist aber gibt es eine heitere Wendung. Bild: Jörg Landsberg

Sauvageot weiß, wovon sie redet. Das Junge Theater Bremen setzt sich intensiv mit dem Feedback seines Publikums auseinander – und zwar schon vor den Premieren. "Wir holen zum Beispiel Schulklassen in die Proben und fragen die Jungen und Mädchen auch, was sie ändern würden", erklärt Rebecca Hohmann, die Künstlerische Leiterin des Jungen Theaters. Auf diese Weise sei es dem Ensemble schon häufig geglückt, Inszenierungen zu verbessern.

Generell komme es beim Kinder- und Jugendtheater, stärker noch als beim Theater für Erwachsene auf eine klare Erzählweise an. "In einem guten Kinder- oder Jugendstück haben die Figuren auf der Bühne meist stellvertretend für ihr Publikum mehrere Handlungsoptionen", so Hohmann. Die Kinder und Jugendlichen im Auditorium fieberten dann regelrecht mit. Und damit sie konzentriert bei der Sache bleiben, sollte das Tempo, indem das Ensemble die Handlung erzählt, im Regelfall höher sein als in Theatervorstellungen für Erwachsene. Auch Rhythmus-Wechsel seien unverzichtbar: "Junge Menschen haben andere Sehgewohnheiten", erklärt Hohmann und verweist auf den Einfluss von Handys und Sozialen Medien.

Wenn sich Kinder und Jugendliche nicht für das Geschehen auf der Bühne interessieren, werden sie unruhig.

Rebecca Hohmann, Leiterin Junges Theater Bremen

Auf Augenhöhe mit dem Publikum

Vielleicht noch wichtiger aber als ein straffes Tempo und eine klare Erzählweise sei die ständige Korrespondenz der Schauspielerinnen und Schauspieler mit ihrem Publikum: "Es gibt praktisch keine vierte Wand mehr", so Hohmann. Bühne und Auditorium gingen in den meisten Produktionen des Jungen Theaters fast nahtlos ineinander über, oft spielten die Darsteller ihr Publikum direkt an.

Die Erfolge, die das Junge Theater Bremen auf diese Weise in den letzten Jahren für sich verbuchen konnte, können sich sehen lassen. So hat es 2019 und 2020 beim "Faust", dem Deutschen Theaterpreis, jeweils in einer von acht Kategorien gewonnen. Sechsmal in Folge war es bis 2022 zum renommierten Berliner Jugendtheater-Festival "Augenblick Mal!" eingeladen worden: ein Rekord – und fast schon der Beweis für etwas, was das Stammpublikum des Jungen Theaters Bremen ohnehin längst weiß: dass aus Chaos hohe Kunst erwachsen kann.

Deshalb lieben diese Bremerinnen die kleinen Theaterbühnen

Bild: Radio Bremen

Mehr zum Thema Theater:

  • Theater für Kinder: So kommt "Emil und die Detektive" in Bremen an

    Es ging laut zu im Theater am Goetheplatz in Bremen. Auf der Bühne wurde Kästners "Emil und die Detektive" aufgeführt. Wie hat das Stück den jungen Zuschauern gefallen?

Autor

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 16. Dezember 2023, 19.30 Uhr