Nicht mehr "blind wie ein Fisch": Bremer Bedürftige bekommen Brillen

Kostenlose Sehtests und Brillen für Bedürftige in Bremen

Bild: Radio Bremen

Scharf statt nur verschwommen sehen – das führt zu mehr Lebensqualität. Eine Organisation möchte deshalb in Bremen regelmäßig Brillen an bedürftige Menschen verteilen.

Ein Sichtschutz aus grauen Stellwänden bietet etwas Privatsphäre im Altarraum der Liebfrauenkirche. Die Sonne bricht durch die Buntglasfenster, wirft gelbe und rote Flecken auf den Steinboden und die weißen Kittel der Optikerinnen.

Obwohl die Aktion noch gar nicht angefangen hat, warten rund zehn Menschen ungeduldig darauf, sich in eine Liste eintragen zu lassen. Eine von ihnen ist Meike Modersitzki. "Ich weiß von meiner Drogenberaterin von der Aktion", sagt die zierliche Frau mit kurzen braunen Haaren, Cargohose und energischer Körpersprache.

Wenn das Geld für die Brille fehlt

"Ich bin blind wie ein Fisch. Ich kann noch nicht mal lesen, was dort auf der Kiste steht", sagt sie und deutet auf einen Karton in der Nähe. Die 54-Jährige wird die Nummer 9 auf der Liste. Glück gehabt – der Andrang ist so groß, dass heute nicht alle Interessenten versorgt werden können. Meike Modersitzki hatte schon einmal eine Brille – die ist aber kaputtgegangen, erzählt sie. Mal eben eine neue zu besorgen, hat bisher nicht geklappt. "Ich war oft bei Fielmann, hab mir eine bestellt und nie abgeholt."

Eine Person sitzt leicht in sich zusammengesackt auf eine Stuhl vor einer gemauerten Wand
Ohne Brille ist Meike Modersitzki nach eigener Aussage "blind wie ein Fisch". Bild: Radio Bremen

Bei Meike Modersitzki war es das Geld, das fehlte. Oft kommen weitere Hemmschwellen dazu. Scham spielt eine Rolle, für viele Wohnungslose ist der Gang in die Praxis oder zum Optiker unangenehm – besonders, wenn sie die Kleidungs- und Hygienestandards der Gesellschaft nicht erfüllen können. Außerdem ist dazu etwas nötig, das Axel Brase-Wentzell von der Inneren Mission, Compliance, übersetzt Verbindlichkeit, nennt.

"Kann ich mich wirklich verbindlich auf einen Termin einlassen, der drei, vier Wochen oder vier Monate im Voraus liegt? Kann ich den einhalten?", sagt Brase-Wentzell, der die Aktion mitermöglicht. Die vielleicht größte Hürde ist aber der Leistungsanspruch. Wer nicht krankenversichert sei, werde bei Arzt und Optiker gar nicht erst beraten.

Körper baut nach Drogenkonsum stark ab

Hürden und Hemmschwellen, die sich auf die gesamte Gesundheitsversorgung auswirken – nicht nur auf die Behandlung von Sehschwächen. Meike Modersitzki berichtet von Infektionskrankheiten wie Tuberkulose, zeigt einen roten Ausschlag am Bein. Eine Wundrose. 

"Das kommt bei uns, weil wir BTMer sind, ein schwaches Immunsystem haben und der Infekt bleibt wohl bei uns drinne. So hat die Ärztin mir das erklärt", sagt sie. BTMer, also abhängig von Betäubungsmitteln. "Ich kriege Polamidon (ein Substitut für Heroin, Anm. d. Red.), ich war jahrelang heroinabhängig. Das ist alles die Droge, der Lebenswandel. Der Körper rächt sich natürlich irgendwann, ne?"

Drogen nehme sie, seit sie elf Jahre alt sei, erzählt Meike Modersitzki. Anfangs noch zum Ausprobieren, dann folgte die Abhängigkeit. Der Konsum prägt ihr Leben. Zwischendurch sei sie 14 Jahre clean gewesen, sagt die Bremerin, dann kam der Rückfall. Gesundheitlich versorgen lässt sie sich in der medizinischen Ambulanz von Comeback, einem Substitutionsprojekt am Hauptbahnhof. Auf reguläre Arzttermine habe sie zu lange warten müssen. Für die Wundrose habe sie erst Ende Mai einen Termin bekommen.

Messungen und Sehtests für die richtigen Gläser

Heute sind aber erstmal die Augen dran. Meike Modersitzki wird aufgerufen, setzt sich auf einen Stuhl. Eine Frau im weißen Kittel nähert sich mit einem grauen Messgerät.

"Ich halte das gleich einmal an ihr Auge, erst das rechte und dann das linke Auge. Und dann erkennen Sie eine bunte Tulpe", erklärt ihr Christiane Faude-Großmann. Sie ist die Gründerin von Mehrblick – die Organisation, die die Verteilorganisation von Brillen ins Leben gerufen hat.

Eine Frau probiert eine Brille an.
Auch andere Menschen nahmen das Angebot an. Bild: Radio Bremen

Ein lautes Piepen ertönt, und das Gerät erfasst die Sehstärke. Dann folgt ein klassischer Sehtest. Meike Modersitzki soll kleiner werdende Zahlenreihen von einem Schild an der gegenüberliegenden Wand vorlesen. Eine Optikerin setzt ihr eine Testbrille auf, tauscht abwechselnd Gläser aus.

Besser gucken können bedeutet mehr Lebensqualität

Die Lebensqualität verbessern, mehr Teilhabe ermöglichen. Das ist das Ziel der Aktion. "Beeinträchtigungen machen was mit unseren Lebenswelten und unserer Lebensrealität", sagt Axel Brase-Wentzell von der Inneren Mission. "Das fängt im Straßenverkehr an und hört beim Lesen auf."

Und auch wenn Meike Modersitzki kein einfacher Fall für die Optikerinnen ist, werden sie in den transparenten Kisten mit gespendeten Brillen fündig. Wenige Minuten später trägt die Wohnungslose ein rotes Exemplar mit viereckigen Gläsern auf der Nase. "Geil. Ich kann sehen und ich freu mich jetzt, dass Sie das für mich gemacht haben," sagt sie zur Optikerin. "Dankeschön!"

Auch für die ehrenamtlich arbeitenden Optikerinnen und das Team von Mehrblick ist die Aktion ein voller Erfolg. Das Interesse ist so groß, dass mehrere Menschen auf den nächsten Termin vertröstet werden müssen. In Zukunft soll es alle paar Monate eine Verteilaktion wie diese geben.

Mehr zum Thema:

  • Wäsche, Dusche, Kleiderkammer: Das Angebot der Bremer Johannis-Oase

    Die Gemeinde St. Johann im Schnoor und die Caritas bieten Obdachlosen die Möglichkeit zu duschen und ihre Wäsche zu waschen – kostenfrei und täglich.

Autorin

  • Autorin
    Sophia Allenstein

Quelle: buten un binnen.

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 24. März 2025, 19:30 Uhr