Interview

Glücksspielforscher: Bremen ist mit Gesetzesänderung auf gutem Weg

Warum viele Bremer Spielhallen bald schließen müssen

Bild: dpa | Salome Kegler

Ab Juli treten für Anbieter von Glücksspielen verschärfte Regeln in Kraft. Betreiber kritisieren sie, Glücksspielforscher Tobias Hayer sieht die neuen Vorgaben dagegen positiv.

Seit diesem Wochenende gelten für Spielhallen und Wettbüros in Bremen strengere Regeln. So dürfen künftig nicht weniger als 500 Meter zwischen den Gebäuden der Glücksspielanbieter liegen, auch von Schulen müssen die Spielstätten mindestens einen halben Kilometer entfernt sein. Essen und Trinken vor Ort ist dann nicht mehr gestattet – und das Mindestalter für den Zutritt wird auf 21 Jahre angehoben. Betreiber und Verbände kritisieren den Bremer Schritt scharf. Anders sieht es jedoch der Bremer Glücksspielforscher Tobias Hayer.

Herr Hayer, der Bremer Senat will mit neuen Regeln die Zahl der Spielsüchtigen im Land deutlich senken. Wie bewerten Sie das?

Wir wissen aus der Forschung, dass der Anteil der Glücksspielsüchtigen unter den Automaten-Spielern vergleichsweise hoch ausfällt. Das liegt daran, dass diese Geräte eine hohe Verfügbarkeit aufweisen, weil sie eben an vielen Orten zu finden sind, und die Spielgeschwindigkeit ebenfalls hoch ist. Ich sehe daher restriktive Maßnahmen als zielführend an. Das, was in Bremen gerade umgesetzt wird, ist aus der Perspektive der Suchtprävention grundsätzlich ein sehr guter Schritt.

Die Betreiber und der Automatenverband betrachten das natürlich kritisch – vor allem den neu beschlossenen Abstand von 500 Metern unter den Spielhallen und Wettbüros.

Abstandsregelungen bedeuten, dass wir das Angebot von Produkten mit hoher Suchtgefahr verknappen. Die Suchtforschung sagt, dass dies eine sinnvolle Maßnahme des Spielerschutzes ist. Denn damit geht in der Regel ein Rückgang der Spielteilnahme und der Beratungsnachfrage einher. Deswegen begrüße ich diese Abstandsregelung – und dass es nicht mehr diese Flut an Spielhallen und entsprechenden Spielanreizen gibt.

Kritiker sagen, die Schließung der Spielhallen lasse das illegale Glücksspiel florieren.

Das ist zunächst eine Behauptung. Dann soll man mir eine Studie zeigen, die das wissenschaftlich unabhängig belegt. Die gibt es nicht. Natürlich ist eine solche Abwanderung in das illegale Segment nicht gänzlich auszuschließen, da gebe ich der Automaten-Branche recht. Aber es wird keine Massenbewegung sein. Denken wir mal an die Coronazeit: Damals waren die Spielhallen monatelang geschlossen. Und die Forschung zeigt, dass die Glücksspielteilnahme auf Bevölkerungsebene reduziert wurde. Nur ein kleiner Anteil der Betroffenen ist ausgewichen, etwa hin zum Online-Glücksspiel.

Der neu eingeführte Abstand von 500 Metern zu den Schulgebäuden wurde ebenfalls bemängelt.

Welche Personengruppe läuft besonders Gefahr, Spielsuchtprobleme zu entwickeln? Das sind junge Menschen. Deswegen sehe ich auch diese Maßnahme als zielführend an. Dies und das Heraufsetzen des Mindestalters auf 21 Jahre. Wenn ich ständig als junger Mensch schon mit diesen Verlockungen konfrontiert werde und Glücksspiel in der Mitte der Gesellschaft angesiedelt ist, dann tritt eine Normalisierung ein. Auch deswegen erscheint die Abstandsregelung sinnvoll. Ich hätte mir zudem gewünscht, dass der 500-Meter-Abstand auch zu Einrichtungen der Suchthilfe gilt.

Das kann man nachvollziehen. Künftig wird es aber auch nicht mehr möglich sein, Speisen und Getränke in den Spielhallen selbst anzubieten. Ist das überhaupt sinnvoll?

Ja. Hintergrund ist: Man will die Verweildauer in Spielhallen verkürzen. Wenn ich Hunger oder Durst habe, muss ich die Spielstätte verlassen. Das ist eine erzwungene Auszeit, eine Abkühlphase. Danach muss man sich entscheiden: Gehe ich zurück in die Spielhalle oder nach Hause – oder woanders hin. Aber um ehrlich zu sein: Davon verspreche ich mir nicht die größten Effekte.

Die neue Gesetzesänderung bedeutet jedoch auch, dass viele Spielstätten schließen werden – und damit verlieren möglicherweise Hunderte Menschen ihren Job.

Dabei gibt es drei Aspekte zu berücksichtigen: Zum einen reden wir gerade beim Servicepersonal im Spielhallenbereich von einem Niedriglohnsektor. Zum anderen bringen Glücksspielangebote keine nachhaltige Wertschöpfung mit sich. Und schließlich werden durch glücksspielsüchtiges Verhalten ganze Familien zerstört. In Abwägung dieser Gemengelage bedauere ich zwar jeden Arbeitsplatzverlust, unter dem Strich bedient die Schließung einiger Spielstätten aber zweifelsohne die Interessen des Gemeinwohls.

Seit 2021 gibt es eine bundesweite Sperrdatenbank für Spielsüchtige. Kann man nicht damit das Problem in den Griff bekommen?

Der Glücksspielstaatsvertrag war tatsächlich eine Errungenschaft für den Spielerschutz. Die Sperrdatenbank Oasis ist in der Tat sehr wichtig und für viele Glücksspielsüchtige ein Hilfsmittel auf dem Weg zur Genesung. Wenn das System funktioniert. Wir haben in Deutschland knapp 200.000 Personen, die in Oasis gelistet sind, das spricht für eine hohe Akzeptanz. Gleichzeitig höre ich immer wieder, dass noch nicht alle Spielstätten an Oasis angeschlossen sind. Vor allem einige Gaststätten, wo ebenfalls Spielautomaten verfügbar sind. Und nur etwa 10.000 der dort registrierten Personen wurden von Dritten gesperrt, die große Mehrheit hat sich selbst gemeldet. Das zeigt, dass das Mittel der Fremdsperre von den Glücksspielanbietern kaum genutzt wird.

Spielanbieter sind aber keine Psychologen, die Süchtige verlässlich erkennen können. Oder?

Wir selbst haben vor Jahren ein Screening-Instrument entwickelt, mit dessen Hilfe man Personen während des Aufenthalts in der Spielhalle relativ verlässlich als gefährdet identifizieren kann. Es sind klare Verhaltensweisen, die diese Personen aufzeigen. Problematisch ist eher die Motivation seitens des Personals, einzugreifen. Das Problem ist nicht das Erkennen. Das Problem ist das Handeln. Schließlich sind exzessiv Spielende die besten Umsatzträger.

Welche Lösungen sehen Sie dann?

Ich glaube, dass Bremen auf dem richtigen Weg ist. Wir versuchen hier, die Verfügbarkeit zu begrenzen. Ich würde mir einerseits wünschen, dass man überlegt, in sozial benachteiligten Stadtteilen die Spielstätten entweder ganz zu verbannen oder noch deutlicher zu reduzieren. Denn hier findet man am ehesten entsprechende Risikogruppen. Andererseits könnte man die Suchtprävention weiter fördern – an Schulen, in Sportvereinen. Hier besteht erheblicher Nachholbedarf. Und ein weiterer Schritt wäre, dass man überlegt, die Ordnungsämter personell besser auszustatten und das Personal entsprechend zu qualifizieren, damit der Staat besser gegen illegales Glücksspiel vorgehen kann.

Mehr zum Thema:

Autorin

  • Serena Bilanceri
    Serena Bilanceri Autorin

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 30. Juni 2023, 19:30 Uhr