Wie gefährlich sind soziale Netzwerke für unsere Kinder, Frau Müller?

Wie gefährlich sind soziale Netzwerke für unsere Kinder, Frau Müller?

Bild: Radio Bremen

Bei TikTok, Snapchat und Roblox teilen Kinder nicht nur harmlose Emojis. Über die dunkle Seite der virtuellen Welt spricht Felix Krömer mit Digitalexpertin Silke Müller.

Soziale Netzwerke wie Whatsapp, Instagram, TikTok, Snapchat und Co. prägen das Leben der Jugendlichen in Deutschland. Das Problem: Leider werden dort nicht nur lieb gemeinte Emojis oder lustige Katzenvideos geteilt. Gewalt, Hass, Rassismus und Pornografie gehören ebenso zum digitalen Alltag vieler Schülerinnen und Schüler.

Soziale Netzwerke sind ein "Haifisch-Becken", sagt daher Silke Müller. Sie ist Schulleiterin in Hatten bei Oldenburg, Buchautorin und erste Digitalbotschafterin des Landes Niedersachsen. Im Gespräch mit Felix Krömer erklärt sie, warum aus Ihrer Sicht schon jetzt viele Kinder verloren sind.

1 Warum verlieren wir unsere Kinder?

Silke Müller hat ein Buch geschrieben mit dem Titel: "Wir verlieren unsere Kinder!" Warum Sie diesen Titel gewählt hat, verrät sie Felix Krömer gleich zu Beginn des Gesprächs (ab Minute 1:03). Wobei sie auf die verschiedenen Ebenen eingeht, auf der dies geschieht. Da sei einerseits das Abdriften der Kinder in die oft brutalen Welten der sozialen Netzwerke, in denen "unbeschwerte Kinder" ohne Filter auf Gewalt, Pornografie und rechte Hetze stießen.

Andererseits sinke durch diese Dauerbeschallung die Hemmschwelle bei vielen Schülerinnen und Schülern. Sie verlernten soziales Rüstzeug wie ein Gerechtigkeitsempfinden.

2 Können soziale Netzwerke die Demokratie gefährden?

Ja, sagt Müller (ab Minute 2:03) auf Nachfrage Felix Krömers. "Darüber mache ich mir richtig viele Sorgen", sagt die Schuldirektorin. Denn was derzeit stattfinde, sei, dass Rechtsradikale im Netz nahezu Gehirnwäsche betrieben. Dies gelinge den Parteien des rechten Randes durch das Herabsetzen jener demokratischen Parteien, die bei TikTok, Instagram Snapchat und Co. nicht so vertreten seien. Was unter anderem zu Politikverdrossenheit führe.

Später im Talk wird diese Problematik noch einmal vertieft. Ab Minute 15:35 beispielweise nennt Müller Beispiele, wie auch Parteien jenseits des rechten Rands im Teich der sozialen Netzwerke und im Schutz von Filterblasen nach jungen Menschen ohne viel Wissen und Erfahrung fischen.

Es gibt Schüler, die sagen uns: Wenn es die NSDAP noch geben würde, wir würden sie wählen.

Silke Müller sitzt beim Krömertalk am Tresen.
Silke Müller, Schulleiterin in Hatten und Digitalexpertin

3 Ist Alarmismus berechtigt?

Die politische Beeinflussung sei allerdings nur der Anfang, so Müller. Jugendliche würden durch soziale Netzwerke zu toxischen Schönheitsidealen, in Depressionen und in manchen Fällen sogar in den Suizid getrieben.

Silke Müller sitzt beim Krömertalk am Tresen.
Die Lehrerin und Digitalexpertin Silke Müller empfiehlt Eltern, sich mit der virtuellen Lebenswelt ihrer Kinder intensiv zu beschäftigen. Bild: Radio Bremen

Angesichts solcher Aussagen stellt Felix Krömer ab Minute 2:30 die Frage, ob es wirklich so dramatisch und der Alarmismus der Buchautorin tatsächlich berechtigt sei.

"Ja", betont Silke Müller. Denn es müsse jetzt etwas getan werden. "Die Kinder sind da in einer Welt gefangen, von der wir null Ahnung haben." Dass es dazu noch keine fundierten wissenschaftlichen Studien gebe, sei kein Grund, nichts zu tun.

4 Vom harmlosen Spiel ins düstere Netz

Dass es beim Eintauchen in virtuelle Chats und Netzwerke nicht nur um die üblichen Plattformen geht, wird im Gespräch ab Minute 4:26 thematisiert, als Felix Krömer nachhakt, welche Netzwerke besonders im Mittelpunkt stehen.

Neben den üblichen Klassikern wie Whatsapp, Tiktok oder Snapchat spielten inzwischen auch Spiele auf dem Smartphone eine wichtige Rolle, erklärt die Digitalexpertin. Darüber hinaus seien aber auch Social-News-Plattformen wie Reddit und fast jedes Online-Game ein Einfallstor. Als Musterbeispiel nennt Müller das Spiel Roblox, bei dem Lego-ähnliche Figuren durch virtuelle Welten laufen.

"Da kann man Landwirtschaft spielen, da kann man Häuser bauen, da kann man Prinzessin Lillifee spielen", sagt Müller.

Man kann aber auch auf öffentliche Toiletten, in Duschräume, in einen Swingerclub gehen – oder in die Gaskammer, wo das einzige Ziel ist, dass Mitspieler sich gegenseitig vergasen.

Silke Müller sitzt beim Krömertalk am Tresen.
Silke Müller, Schulleiterin in Hatten und Digitalexpertin

Auf den Servern, wo solche Spiele angeboten würden, seien diese gleichzeitig mit FSK 0 gekennzeichnet, also ohne Altersbeschränkung spielbar.

5 Müllers zentrale These: Es fehlt ein Plan

Ab Minute 6:45 sprechen Felix Krömer und Silke Müller über die zentrale These der Schuldirektorin: Es fehlt ein Plan.

Die Digitalexpertin sieht die Verantwortung zur Abwendung der Gefahr für die vielen betroffenen Kinder bei praktisch allen gesellschaftlichen Parteien, seien es Eltern, Großeltern, Lehrkräfte, in der Politik und auch bei den Betreibern der sozialen Netzwerke und Gaming-Plattformen. Es sei unfassbar, dass es im Jahr 2024 nicht möglich sei, alles zu filtern – oder vielleicht alles filtern zu wollen.

6 Krieg live an der Front, echte Katze im Mixer

Dass es sich nicht um ausgedachte Fälle und Beispiele handelt, von denen Silke Müller berichtet, zeigt sie Felix Krömer auf Fotos und Videos, die sie zur Veranschaulichung auf dem Laptop ins Studio gebracht hat. Es sind zum Teil so grausame Szenen, zum Beispiel von Kriegsfronten, dass sich die Schuldirektorin dafür entschieden hat, im Wesentlichen nur Standbilder zu zeigen.

Ab Minute 11:42 Uhr berichtet Müller beispielsweise von einem Video über eine Katze, das unter Kindern innerhalb kürzester Zeit weltweit "viral ging", also verbreitet wurde. Protagonisten waren zwei junge Kinder im asiatischen Raum.

Sie haben eine kleine Katze genommen und haben sie in einen Küchenmixer getan.

Montage: Silke Müller am Tresen mit Schriftzug: Felix Krömer fragt... Silke Müller
Silke Müller, Schulleiterin in Hatten und Digitalexperten, über ein virales Video im Netz

Nachdem die Schuldirektorin das Video entdeckt hatte und gemeinsam mit einem Kollegen am Folgetag bei den Schülerinnen und Schülern nachhakte, ob jemandem besondere Videos im Netz aufgefallen seien, beispielsweise mit Katzen, hätten die Schülerinnen und Schüler ihnen geantwortet: "Ach, meinen Sie das mit dem Mixer?"

7 Jedes Kind, jede Familie ist beeinflussbar

Dass sich kaum eine Familie und kaum ein Kind vor dem Einfluss sozialer Netzwerke schützen kann, wird im Gespräch ab Minute 18:34 thematisiert. Zwar gebe es Kinder, die reflektierten, was ihnen vorgesetzt würde. "Es gibt aber auch Kinder, die sind einfach unfassbar beeinflussbar", sagt Müller. Und das unabhängig vom Bildungsstand der Eltern.

Eltern wüssten oft nicht, was ihre Kinder im Netz konsumierten, weil die eigenen TikTok-Timelines oder die eigenen Filterblasen oft gänzlich anders aussähen als jene ihrer Kinder, erläutert Müller ab Minute 22:01.

8 Cybergrooming und sexueller Missbrauch

Besonders intensiv sprechen Felix Krömer und Silke Müller ab Minute 22:26 über das sogenannte Cybergrooming. Dieser Begriff bezeichnet die Anbahnung von sexuellen Kontakten mit Kindern und Jugendlichen im Internet. Ein Straftatbestand, der mit Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren geahndet wird.

Dem deutsche Cyberkriminologen Thomas Gabriel Rüdiger zufolge werde jedes dritte Kind irgendwann einmal von entsprechenden Straftätern angesprochen, warnt Silke Müller. Aussagen wie "Mein Kind macht sowas nicht" seien da nicht der beste Rat im Umgang mit dieser Problematik.

Man müsse sich auch darüber im Klaren sein, dass sexuelle Ersterfahrung heute im Netz stattfinde, und nicht wie früher im Kinderzimmer, sagt Müller ab Minute 27:01.

Jede Pornoseite ist ja offen. Und die Kinder denken, das ist möglicherweise der Normalfall.

Silke Müller sitzt beim Krömertalk am Tresen.
Silke Müller, Schulleiterin in Hatten und Digitalexperten

9 Was können wir tun?

Ab Minute 28:01 sprechen Felix Krömer und Silke Müller darüber, was möglicherweise gegen die derzeitige Entwicklung getan werden kann. Die Antwort Müllers darauf, fällt nüchtern aus.

Sie fordert "Gesetze, die es ermöglichen, die Kontrolle über das Netz zurückzugewinnen." Ab Minute 34:15 wirbt die Schuldirektorin darüber hinaus für ein Fach Medienkunde an Schulen.

10 Plädoyer: strengere Regeln und Achtsamkeit

Ab Minute 39:33 Uhr sprechen die beiden Talk-Partner noch einmal über das, was aus Sicht Silke Müllers getan werden müsste, um vor allem die Plattformbetreiber zum Handeln zu bewegen. Die Kernaussage der Buchautorin: deutlich strengere Regeln.

"Ich glaube wir dürfen uns nicht immer hinter so einer Komforthaltung verstecken", sagt Müller. Krömer hingegen entgegnet, dass strenge Regeln auch durchgesetzt werden müssten. "Also wir reden hier schon von einem richtig großen Berg, den wir da zu besteigen haben", so der Moderator. "Genau, und den besteigen wir derzeit wirklich langsam", sagt die Digitalexpertin. Und das reiche eben nicht.

Wichtig sei es, dran zu bleiben und sich mit den Kindern auf Augenhöhe zu begeben, sich mit sozialen Netzwerken und der Welt der Kinder zu befassen. "Lasst es nicht einfach laufen, denn es ist deutlich schlimmer als ihr denkt", sagt die Lehrerin.

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Autoren

Quelle: buten un binnen.

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 17. Februar 2024, 19.30 Uhr