Infografik
Wie viel EU steckt in meinem Wocheneinkauf?
Die EU regelt die großen Entscheidungen – oder? Nicht nur. Auch im Alltag begegnen wir in Bremen ständig der Europäischen Union. Selbst im Supermarkt.
Das Lebensmittelrecht ist überwiegend europäisch geregelt. Diese Regeln wurden dann ins deutsche Recht übersetzt. Das sagt Sonja Pannenbecker, Referentin für Lebensmittel und Ernährung der Verbraucherzentrale Bremen. "Es gibt nichts im Lebensmittelbereich, was nicht durch die EU geregelt ist", sagt die Expertin.
Wer in Deutschland ein Lebensmittel in die Hand nimmt, hat mit der EU zu tun.
Sonja Pannenbecker, Referentin Lebensmittel und Ernährung der Verbraucherzentrale Bremen
Muss das sein? Die sogenannte Gurkenverordnung war lange Symbolbild für die bürokratische Überregulierung der EU: Sie schrieb vor, wie krumm eine Salatgurke sein durfte. Dabei kam die Forderungen über den maximalen Krümmungswinkel von Salatgurken aus dem Handel – und zwar schon 1988. Das ist jedoch längst Vergangenheit: 2009 wurde die Verordnung abgeschafft. Der Handel hält sich trotzdem weiterhin daran: Zu krumme Gurken lassen sich schlechter transportieren und lagern. Wo aber betreffen die EU-Regelungen unseren Alltag? Wir geben einen Überblick.
1 Öko-Verordnungen und Bio-Siegel
Der erste Gang im Supermarkt führt häufig in die Obst- und Gemüseabteilung. Schon hier begegnen uns die ersten EU-Regelungen. Ein kleiner Sticker auf Obst und Gemüse und schon ist klar: Das ist bio. So leicht ist es allerdings nicht: "Es gibt hunderte Siegel", sagt Kristina Klein, Professorin für Marketing an der Universität Bremen und Leiterin der Arbeitsgruppe Konsumentenverhalten. Das EU-Öko-Label erleichtere Kaufentscheidungen, weil es als einheitliches Siegel Sicherheit für Verbraucher schaffe.
Das EU-Bio-Label kennzeichnet seit 2010 alle verpackten Bio-Lebensmittel, die innerhalb der EU hergestellt werden. Das Logo garantiere die Einhaltung der europäischen Öko-Verordnung, betont die Verbraucherzentrale Bremen. Dazu gehören Gentechnikfreiheit, artgerechtere Tierhaltung und der Verzicht von organisch-synthetischen Pflanzenschutz- und chemisch-synthetischen Düngemitteln. So steht das EU-Bio-Label laut Verbraucherzentrale auch für ein hohes Tierwohl-Niveau. Außerdem muss die Codenummer der zuständigen Kontrollstelle gut sichtbar angegeben sein und auch die Herkunft aller Zutaten: "EU Landwirtschaft", "Nicht EU-Landwirtschaft" oder "EU-/Nicht EU-Landwirtschaft".
2 Herkunftsangaben
"Ich kann immer nachvollziehen, wo Dinge herkommen", sagt Klein. "Wenn ich mich informieren will, gibt mir die EU dazu die Gelegenheit." Für bestimmte Nahrungsmittel besteht innerhalb der EU eine gesetzliche Pflicht zur Angabe der Herkunft. Bei verpacktem Fleisch etwa muss das Herkunftsland angegeben werden, bei Fisch das Fanggebiet und bei Eiern Hinweise zu Herkunft, Haltung und Frische.
Bei den meisten frischen Obst- und Gemüsearten müssen die Produzenten beziehungsweise der Handel über das Ursprungsland informieren, aber nicht bei allen. Bei Honig wird das Ursprungsland angegeben oder "Mischung von Honig aus EU-Ländern" bzw. "Nicht-EU-Ländern" oder "EU- und Nicht-EU-Ländern". Für verarbeitete Produkte sind grundsätzlich keine Angaben zum Herkunftsland vorgeschrieben.
Info zur Grafik: Klicken Sie auf die einzelnen Elemente in der Grafik, dann erhalten Sie zusätzliche Informationen.
3 Menschenrechte und Umweltschutz
Das kürzlich beschlossene EU-Lieferkettengesetz verpflichtet europäische Unternehmen, Menschenrechts- und Umweltstandards in ihren Lieferketten einzuhalten. Damit will die EU gegen Ausbeutung, Kinderarbeit und Umweltverschmutzungen vorgehen und Menschenrechte weltweit stärken.
In Deutschland ist seit dem 1. Januar 2023 ein nationales Lieferkettengesetz in Kraft. In 2023 galt es für Unternehmen mit mindestens 3.000 Mitarbeitenden, seit 2024 gilt es für Unternehmen mit mindestens 1.000 Arbeitnehmern. Die neuen EU-Regelungen werden trotz der Abschwächungen in bestimmten Aspekten über das deutsche Lieferkettengesetz hinausgehen.
4 Lebensmittel-Kennzeichnung
Kurz checken, wie viel Zucker eigentlich in dem neuen Müsli steckt und ob ein neues Produkt vegan ist? Selbst die Kennzeichnung von Lebensmitteln ist seit 2014 im EU-Recht definiert. Diese EU-weite einheitliche Kennzeichnungspflicht sorge für Sicherheit, betont die Verbraucherzentralen-Expertin. So fänden beispielsweise Allergiker auch im Italien-Urlaub in der Zutatenliste schnell die Inhaltsstoffe, auf die sie allergisch reagieren, erklärt Pannenbecker. Die 14 häufigsten Lebensmittelallergene sind durch Schriftart, Schriftstil oder Hintergrundfarbe hervorzuheben, heißt es auf "Was Europa für mich macht", einer Website initiiert von den Dienststellen des Europäischen Parlaments.
Auch die Nährwertkennzeichnung ist immer gleich aufgebaut: Wer beispielsweise auf Zucker achten möchte, findet den immer an der gleichen Stelle. Seit 2016 regelt die Nährwertdeklaration, wie Brennwert, Fett, gesättigte Fettsäuren, Kohlenhydrate, Zucker, Eiweiß und Salz anzugeben sind. Selbst die Schriftgröße für diese Kennzeichnung ist in der Etikettierungsrichtlinie festgelegt – also nichts mit "Kleingedrucktem".
5 Agrarsubventionen
Weiter geht es in die Milchabteilung. Auch hier ist die EU zu finden: Ihre Subventionen sorgen dafür, dass auch in Europa weiterhin Grundnahrungsmittel angebaut werden, sagt Professorin Klein. Die europäische Farm-to-Fork-Strategie sieht vor, bis zum Jahr 2030 mindestens 25 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen in der EU ökologisch zu bewirtschaften. Der Einsatz von Pestiziden soll so verringert werden.
Eine Analyse von NDR, WDR und SZ zeigte jedoch: Große Unternehmen profitieren am meisten von den milliardenschweren EU-Subventionen. Demnach bekam das oberste Prozent der Empfänger ein Viertel aller Subventionen und damit mehr als zwölf Milliarden Euro oder knapp 30.000 Euro pro Betrieb im Monat. Die untere Hälfte der kleinen Landwirte und landwirtschaftlichen Betriebe bekam 200 Euro pro Betrieb pro Monat.
6 Sichere Kosmetikprodukte
Schnell noch das liebste Shampoo oder eine Gesichtscreme mitnehmen – aber was ist da eigentlich drin? Laut der Verbraucherzentrale hat die EU mittlerweile über 1.000 gesundheitsschädliche Stoffe in Kosmetika verboten. Auch die Kennzeichnung ist durch die EU geregelt. Das EU-Kosmetikrecht sieht vor, dass alle Bestandteile aufgeführt werden müssen: Je mehr von einer Substanz enthalten ist, desto weiter oben ist sie aufgeführt. In der gesamten EU muss Kosmetik ein Mindesthaltbarkeitsdatum tragen, wenn sie nicht länger als 30 Monate haltbar ist.
7 Mindesthaltbarkeitsdatum
Zuhause angekommen liegen noch drei Packungen Nudeln im Regal. Schnell das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) gecheckt und klar ist, welche Packung zuerst verbraucht werden muss – oder ob es diese Woche dreimal das Gleiche zum Mittag geben wird. Das MHD muss EU-weit auf Lebensmitteln und Getränken angegeben werden.
8 Preise und Auswahl
Die Grundidee der EU ist, dass der Binnenmarkt ohne Sonderzölle für ein "stabiles, niedriges Preisniveau" sorgt, sagt Kristina Klein. "Insgesamt hat die EU dazu geführt, dass wir an vielen Stellen viele Möglichkeiten haben." Der Markt habe sich vergrößert, Konsumenten könnten grenzübergreifend Produkte vergleichen und günstig einkaufen. "An vielen Stellen merken wir das nicht, weil wir das gewohnt sind."
Wie wäre es ohne die EU?
Die Frage nach dem "Was wäre, wenn…" ist nur schwer zu beantworten. Doch seit dem Brexit gibt es zumindest Anhaltspunkte, auch wenn Deutschland nicht mit Großbritannien zu vergleichen ist.
Mit dem Brexit hat Großbritannien auch den EU-Binnenmarkt sowie die EU-Zollunion zum 31. Januar 2020 verlassen. Die Folge: Handelshemmnisse und Grenzkontrollen. Die Grenzkontrollen für Nahrungsmittelimporte aus der EU waren bis Ende April 2024 verschoben, jetzt aber führen sie zu höheren Preisen. Die neuen Brexit-Vorschriften könnten britische Unternehmen bis zu zwei Milliarden Pfund kosten und die Inflation anheizen. Das ergeben Berechnungen des Kreditversicherers Allianz Trade.
Quelle: buten un binnen.
Dieses Thema im Programm: Bremen Eins, 30. Mai 2024, 8:40 Uhr