Interview

Corona-Welle in China: Wie Experten die Lage für Bremen bewerten

Menschen mit Masken in China

So kann Chinas Corona-Lage auch in Bremen die Situation verschärfen

Bild: dpa | Koki Kataoka

In China grassiert das Coronavirus nahezu ungehemmt: Ideale Voraussetzungen für die Entstehung neuer Virus-Varianten. Wie schätzen Bremer Experten die Gefahr ein?

Einige Länder haben gerade Einreisebeschränkungen verhängt, die Europäische Union (EU) berät am Mittwoch über eine einheitliche Linie im Umgang mit Reisenden aus China. Denn in der Volksrepublik tobt die Corona-Welle. Die chinesischen Behörden sind verärgert: Es bestünde keine Gefahr, neue Corona-Mutanten könnten schließlich überall entstehen. Wie sehen das Bremer Corona-Experten, der Epidemiologe Hajo Zeeb und der Virologe Andreas Dotzauer?

Mit welchen Gedanken beobachten Sie den Anstieg der Corona-Infektionen in China? Bereitet Ihnen der Anstieg Sorge?

Zeeb: Natürlich muss der Anstieg Sorge bereiten, zuallererst aber mit Blick auf die zum Teil schwierige gesundheitliche Versorgungslage in China und die jetzt noch anstehenden Reisen im Land rund um das Neujahrsfest. Es wird noch viele Erkrankte und auch Todesfälle dort geben. Was uns betrifft, so ist vor allem bedeutsam, ob sich neue Varianten mit ungünstigerem Profil entwickeln. Das bleibt eine Sorge, bisher ist dazu nichts bekannt.

Dotzauer: Durch die hohen Infektionszahlen in China hat das Virus gute Gelegenheit, weiter zu mutieren. Dass das Virus weiterhin Fluchtmutanten ausbildet, die den in unserer Bevölkerung inzwischen bestehenden Immunschutz unterlaufen können [...] zeigt sich gerade in den USA mit der sich dort rasant ausbreitenden hybriden BA.2-Rekombinante XBB.1.5. Neben ihrer besseren Fähigkeit zur Immunflucht, ist sie auch noch infektiöser als die bisherigen Varianten.

Wie gefährlich ist der Anstieg der Infektionen in China für Menschen in Deutschland und der Region? Wie bewerten Sie die Lage?

Dotzauer: Aufgrund weniger zur Verfügung stehender Informationen kann ich die Situation in China nur unzureichend einschätzen. Ich gehe aber davon aus, dass weitere Mutanten des Virus auftreten, die das Potential haben, unsere Situation wieder zu verschärfen.

Zeeb: Da wir selber noch ein erhebliches Ausmaß an Coronainfektionen in der Bevölkerung und zudem eine vernünftige Immunität haben, ist aus meiner Sicht nicht mit einem direkten Anstoßen neuer Wellen aufgrund der Situation in China zu rechnen. Auch die ECDC (Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten) sieht das ähnlich.

Ist die aktuelle Situation vergleichbar mit der Lage vor dem Ausbruch der Pandemie?

Zeeb: Nein, das ist nicht so, weil mittlerweile ein Großteil der Weltbevölkerung schon Immunität aufbauen konnte. Allerdings rahmt der jetzige Verlauf in China so ein wenig das Geschehen: Dort hat der Ausbruch begonnen und dort sehen wir jetzt die aktuell letzte große Welle.

Dotzauer: Die Lage ist weitaus besser. Auch wenn die Immunität unserer Bevölkerung, sei sie durch Infektion oder durch Impfung erworben, nur moderat ist, ist bei einem Kontakt mit dem Virus das Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf mit Krankenhauseinweisung verringert. Zudem haben wir einige Medikamente, die bei Risikoverläufen helfen können. Außerdem wissen wir alle, welche privaten Maßnahmen schützend wirken.



Die deutschen Amtsärzte fordern eine einheitliche Testpflicht für alle Einreisenden aus China in die EU, die kann sich aber bislang zu keiner gemeinsamen Linie durchringen. Was halten Sie von der Einführung einer solchen Einreise-Testpflicht?

Dotzauer: Das Risiko einer Ansteckung, scheint in verschiedenen Regionen Chinas unterschiedlich zu sein. Einreisetests in Italien zeigten hier ein unterschiedliches Bild – von der Hälfte der Passagiere bis nur einige wenige pro Flug waren infiziert und dies mit bekannten Varianten. Aber vor dem Hintergrund, dass Fluchtmutanten eingeschleppt werden könnten, sollten Einreisende aus China in die EU getestet werden. Das nur in einigen Ländern zu tun, würde eine schnelle Ausbreitung solcher neuen Varianten in Europa nicht eindämmen. Aber nicht nur Einreisende aus China sondern auch aus den USA sollten getestet werden.

Zeeb: Einheitlichkeit ist sicher besser als ein komplett unterschiedliches Vorgehen, dennoch muss man fragen, was damit bezweckt werden soll angesichts der Lage mit vielen Corona-Infektionen bei uns. Ich bin da weiterhin skeptisch. Bedeutsam ist sicher die Frage neuer, gefährlicherer Varianten, die würden durch eine einfache Testpflicht aber nicht gefunden. Die genetische Surveillance (deutsch: Überwachung) von Corona-Varianten in der Bevölkerung benötigen wir aber sicher weiterhin. Grundsätzlich wäre es derzeit sinnvoll, wenn Menschen in China sich vor dem Abflug testen ließen, aber vollständige Sicherheit gibt es auch damit nicht.

Bremen will noch warten, aber mehrere Bundesländer haben vor Kurzem erst Corona-Regeln gelockert, etwa in Bussen und Bahnen. Inwiefern ist das aus heutiger Sicht ein richtiger Schritt gewesen? Sollten wir bald wieder zurück zu strengeren Corona-Regeln?

Zeeb: Ich bin dafür, die wenigen noch vorhandenen Maßnahmen zumindest bis zum Frühjahr weiter zu behalten, es gibt aber noch keinen Grund, etwa aufgrund kritischer Umstände auf den Intensivstationen, jetzt wieder strengere Regeln einzuführen. Aufmerksam sollten wir bleiben.

Dotzauer: Die momentane Situation bei uns rechtfertigt den Schritt hin zu individuellen Entscheidungen für die private Risikovorsorge, wie soziales Verhalten, Hygiene, Masken. Wenn sich die Situation durch neue Fluchtmutanten ändern sollte, kann man Risikopersonen nicht ungeschützt lassen und nicht auf ein Verhalten nach Gutdünken vertrauen.

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Bild: Radio Bremen

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Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, 4. Januar 2023, 6:36 Uhr