Wie Ukrainer und Russen in diesem Bremer Chor zusammen singen

Einige Menschen sitzen bei einer Chorprobe zusammen und singen
Jeden Dienstag kommen die Chormitglieder ins Bürgerzentrum in der Neuen Vahr zur Probe. Bild: Radio Bremen

Vor einem Jahr hat der Krieg in der Ukraine begonnen und seither vieles verändert. Im Bremer Chor Rodina singen Menschen aus Russland und der Ukraine gemeinsam.

16 Uhr Chorprobe im Bürgerzentrum in der neuen Vahr: In einem kleinen, spartanisch eingerichteten Raum sitzen rund 15 Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion. Hier wird ordentlich mitgewippt und mitgepfiffen. Marussia, ein ukrainisches Liebeslied wird hier gesungen, im Chor Rodina.

Chor Rodina sing viele alte Volkslieder

Ein älterer Mann sitzt vor einem Gesangsbuch und singt
Slava Kravets hat den internationalen Chor 2004 gegründet. Bild: Radio Bremen

Rodina bedeutet auf Russisch Heimat. Denn der Chor ist für seine Mitglieder ein Stück Heimat aus der sie ursprünglich kommen: Weißrussland, Russland, Ukraine, Lettland und Kasachstan. Sie singen alte Volkslieder aber auch moderne Texte in ihren Muttersprachen. Die Lieder handeln von der Liebe, der Natur, aber auch von der Sehnsucht nach der alten Heimat.

Eines der Mitglieder, Erna Polukarow kommt aus Kasachstan. Sie ist seit der Gründung des Chores dabei:

Die Lieder machen vieles mit einem. Manchmal weint man, manchmal hat man seine Heimat vor Augen. Die Heimat ist immer da. Man trägt sie im Herzen.

Erna Polukarow

Die Heimat bedeutet auch Chor-Leiter Slava Kravets viel, der am Klavier sitzt und die Gruppe anleitet. Er kommt ursprünglich aus der ukrainischen Hafenstadt Odessa und lebt seit 23 Jahren in Bremen.

Vor 19 Jahren hat Kravets den Chor gegründet, weil es keinen russisch-sprachigen Chor für Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion in Bremen gab. Unterstützung bekommt Slava Kravets von Akkordeonspieler Walerij Holstein, seiner "rechten Hand", wie er sagt.

Der Krieg kann den Chor nicht spalten

Seit einem Jahr tobt in der Ukraine der russisch-ukrainische Krieg. Der Krieg zwischen den beiden Ländern betrübt die Chormitglieder zwar, gespalten hat er den Chor aber nicht:

Nichts hat unser Verhalten zu einander beeinflusst. Wir kommen miteinander gut aus, arbeiten zusammen, geben Konzerte. Unsere Beziehungen waren sehr gut und ich bin sicher, dass sie auch sehr gut bleiben. Für uns sind Tugenden wie Liebe, Freundschaft und gegenseitige Unterstützung wichtig.

Chorleiter, Slava Kravets

Das hoffen auch die rund 30 Chormitglieder, um weiterhin gemeinsam Musik zu machen und aufzutreten. Dass das weiterhin auch gelingen wird, hängt vor allem von Chorleiter Slava Kravets ab, der sei für die gute Stimmung im Chor verantwortlich, sagt Erna Polukarow.

Auch Chormitglied Larissa Scherschel ist Slava Kravets für den Zusammenhalt dankbar. Sie kommt aus der Ukraine und ist schon seit mehr als zehn Jahren Mitglied des Chors.

Das ist meine Seele. Ich habe von Kindesbeinen auf gesungen. Meine Mutter war Dirigentin. Deshalb kann ich ohne Singen nicht Leben.

Larissa Scherschel
Die Mitglieder des Chors Rodina stehen in klassischen Gewändern bei einem Auftritt zusammen und singen
Die Auftritte des Chors finden in traditionellen Trachten statt, die eigens dafür geschneidert werden. Bild: Radio Bremen

Zwei Jahre lang mussten sie wegen Corona pausieren. Im letzten Jahr konnten sie wieder starten und sind gleich zehn Mal aufgetreten. Vor Corona auch mit Folklore-Tänzen in traditionellen Trachten, die alle von Chormitglied und Schauspielerin Ludmila Belopolska entworfen und geschneidert wurden.

Verbundenheit entsteht über die Sprache

Tradition und Sprache verbindet den Chor hier in ihrer neuen Heimat Bremen. Sie sind wie eine große Familie, sagt Erna Polukarow. "Wenn jemand nicht da ist, einmal, zweimal, dann machen wir uns Gedanken, was ist los. Dann rufen wir an oder fahren hin, zum Beispiel ins Krankenhaus, um zu helfen."

Es ist also eine besondere Verbundenheit, die sie im Chor miteinander haben. Eine neue Verbundenheit stellt die Norddeutsche Sprache dar. Auch MoinMoin ist in ihrem Repertoire vorhanden. Der Song ist ein Geschenk von zwei Bremern an den Chorleiter für alle, die hier ein neues Zuhause gefunden haben. "Die Oma hat immer gesagt, vergiss nicht Deine Heimat, wo Deine Wiege stand. Es gibt in der Fremde keine neue Heimat, und ich habe das zweite Heimatland gefunden. Hier in Deutschland." sagt Erna Polukarow.

In Gedanken sind sie aber bei ihren Familien und Verwandten in der Heimat, vor allem in der Ukraine und in Russland. Chorleiter Slava Kravets wünscht sich für beide Länder vor allem Eines: Frieden.

Ich persönlich und wir alle wünschen nicht nur der Ukraine, sondern auch Russland Frieden, nur Frieden. Die Menschen sollen so leben, dass es nie zu Krieg kommt. Man konnte sich das gar nicht vorstellen, dass es zu diesem Krieg kommt.

Chorleiter, Slava Kravets

Zurück bei den Chorproben: Hier werden die Lieder vor allem in der russischen Sprache gesungen, denn diese ist ihre gemeinsame Sprache. Erna Polukarow sagt: "Meine Verwandten sagen immer, unsere Erna ist eine Russin. Ich spreche viel Russisch, weil im Chor viel Russisch gesprochen wird."

Auch das Abschlusslied "Amur" wird bei dieser Probe auf Russisch gesungen. Darin geht es um die Schönheit Russlands und um die Liebe zu dem Fluss Amur, der zwischen Russland und China fließt.

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Autorinnen

  • Necla Süre
    Necla Süre
  • Sarah Rohlfs
    Sarah Rohlfs Autorin

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 24. Februar 2023, 19:30 Uhr