Warum nicht nur Bremen ein Drogen-Problem rund um den Hauptbahnhof hat

Die Skyline von Frankfurt mit vielen Wolkenkratzern.
Drogenhandel und Blaulichteinsätze sind rund um den Hauptbahnhof in Frankfurt die Regel. Bild: dpa | photothek | Thomas Trutschel

Die Drogenszene an Bremens Hauptbahnhof ist kein Einzelfall. Wie Hannover, Hamburg und Frankfurt damit umgehen – und was das für Bremen bedeutet, erklären wir hier.

Der Bremer Hauptbahnhof zählt zu den schönsten in Deutschland. Gleichzeitig ist der offene Drogenkonsum rund um den Bahnhof verbreitet. Die Spritzen bleiben an Ort und Stelle liegen. Hinzu kommen Müll und Fäkalien. Das Ausmaß wird von Anwohnern und Behörden mittlerweile als unerträglich beschrieben.

Bremen steht mit diesen Problemen allerdings nicht allein da. "In allen großen Städten gibt es eine Drogenszene an den Bahnhöfen", sagt Henning Schmidt-Semisch vom Institut für Public Health und Pflegeforschung der Uni Bremen. Er gehört zu einem Forschernetzwerk, das die Drogenszene an Bahnhöfen wie Bremen, Hannover, Hamburg und Frankfurt analysiert hat. Die wichtigsten Unterschiede erklären wir hier.

1 Bremen: "Comeback" und Drogenkonsumraum getrennt

Die Polizei versucht die Drogenabhängigen Menschen am Hauptbahnhof zu vertreiben.
Rund 20 Personenkontrollen täglich hat die Polizei allein im Oktober am Hauptbahnhof durchgeführt. Bild: Radio Bremen

"In Bremen ist das besondere, dass viele Einrichtungen, die für die offene Drogenszene zuständig sind, sich direkt in Bahnhofsnähe befinden", sagt Schmidt-Semisch. Die am Bahnhof angesiedelte Einrichtung "Comeback" biete beispielsweise Methadonprogramme für Heroinsüchtige, eine medizinische Ambulanz und Beratungsangebote an. "Insofern ist der Bahnhof Anlaufstation von Hunderten Menschen, die dort versorgt werden und sich dort aufhalten", sagt Schmidt-Semisch. Was wiederum dazu führe, dass sich auch die Drogenhändler dort aufhielten.

Ordnungsdienst, Bremer Polizei und Bundespolizei haben ihre Präsenz zwar erhöht. Wöchentlich finden dem Innenressort zufolge Schwerpunktkontrollen statt, um Drogen- und Straßenkriminalität zu bekämpfen. Seit Juli existiert zudem die von der Polizei gegründete "Task Force Hauptbahnhof". Und allein im Oktober habe die Polizei 600 Menschen kontrolliert, sagt Bremens Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) im Gespräch mit buten un binnen.

Diese Menschen lösen sich aber nicht in Luft auf.

Bremens Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) redet in ein Mikrofon.
Innensenator Ulrich Mäurer (SPD)

So lange Bremen keine Alternative böte, könne die Polizei das nicht lösen, sagte Mäurer.

Zwar hat Bremen unter Federführung des Gesundheitsressorts im September 2020 einen provisorischen Drogenkonsumraum eröffnet, der zu einer Alternative hätte werden sollen. Ein fester Raum fehlt allerdings. "Der Bau des Drogenkonsumraums wird mindestens noch bis 2024 dauern", sagt Bremens Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard (Linke).

Zufrieden ist aber schon mit dem Provisorium niemand. Denn der Konsumraum befindet sich mehrere Minuten Fußweg entfernt vom Hauptbahnhof in der Friedrich-Rauers-Straße, direkt neben dem Jakobus-Haus (Papageien-Haus). "Die 900 Meter vom Hauptbahnhof dorthin sind aber gerade für die Crack-Szene zu weit", sagt Drogenszenen-Forscher Schmidt-Semisch. Solange die Dealer am Bahnhof seien, würden die Drogensüchtigen weiterhin dort konsumieren. Auch deshalb nutzen nur sehr wenige der rund 4.000 schwer Drogensüchtigen in Bremen den bisherigen Konsumraum.

2 Hannover: "Stellwerk" als Ort der Ruhe

Besser angenommen wird das Angebot, das die Stadt Hannover für Drogensüchtige eingerichtet hat. Der Bahnhof Hannover liegt – wie in Bremen – mitten in der Innenstadt. Auch hier gibt es Probleme. Vor allem an der nördlich gelegenen Rückseite des Bahnhofs, dem Raschplatz, stören sich viele Bürgerinnen und Bürgerinnen an der dortigen Trinkerszene. Der Name "Haschplatz", den der Raschplatz noch in den 1970er Jahren im Volksmund trug, wird heute jedoch nur noch selten verwendet.

Ein Grund: Hannover hat mit dem 2017 gegründeten "Stellwerk" einen Konsumraum geschaffen, der etwa 100 Meter abseits des Bahnhofs liegt. Für Drogensüchtige ist das nah genug, um den Weg dorthin auf sich zu nehmen, das Angebot zu nutzen und sich dort aufzuhalten. "Das ist ein Raum, wo die Menschen Ruhe finden und wo sie niemanden Anderen stören", sagt Schmidt-Semisch.

3 Hamburg: Vorplatz des "Drob Inn" als Anlaufpunkt

Drogenabhängige im August-Bebel-Park in Hamburg
Die Hamburger Drogenszene trifft sich in Hamburg im August-Bebel-Park vor der Kontakt- und Beratungsstelle "Drob Inn". Bild: dpa | picture alliance / Markus Scholz

Ähnlich sei die Situation in Hamburg, sagt der Sozialwissenschaftler. Dort gibt es über die Stadt verteilt sogar vier Drogenkonsumräume. Was in Hannover das "Stellwerk" ist, ist in Hamburg das "Drob Inn" am August-Bebel-Park. Der Anlaufpunkt für die Süchtigenszene Hamburgs liegt rund 250 Meter vom Hauptbahnhof entfernt.

"Die Szene in Hamburg hält sich vor dem großen Platz beim Drop Inn auf und nicht vor dem Bahnhof", sagt Schmidt-Semisch. Im Drob Inn gebe es, neben dem Konsumraum und einer medizinischen Versorgung, zum Beispiel auch die Möglichkeit, zu Essen, Wäsche zu waschen oder den Ort als Postadresse zu nutzen. In Bremen fehle ein solcher integrierter Ort bislang.

4 Frankfurt: Vom Drogenkonsumraum auf die Straße

Im Vergleich zu Hannover und Hamburg ist die Situation am Frankfurter Hauptbahnhof, der ebenfalls im Herzen der Stadt liegt, deutlich problematischer. Zwar gibt es in der hessischen Metropole in Bahnhofsnähe gleich drei Konsumräume. Dennoch trifft sich die Drogenszene seit Jahren direkt vor dem Hauptbahnhof. "Ein Grund ist, dass die Süchtigen in Frankfurt aus den Drogenkonsumräumen direkt wieder auf die Straße fallen", sagt Schmidt-Semisch. Es fehle schlicht ein Rückzugsort.

"Und das gilt bislang auch in Bremen", sagt der Experte. Wo sich einst die Szene aufhielt, steht heute das City Gate. Und auch der einstige Szenetreff gleich neben der Hochstraße in einem Innenhof zwischen Herdentorsteinweg und Auf der Brake ist inzwischen geschlossen. Erst im Juli ließ Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) zudem die Fußgängerbrücke über den Gustav-Deetjen-Tunnel sperren.

Nun beschweren sich Anwohner darüber, dass sich die Szene in den Nelson-Mandela-Park verlagert hat. "Wenn die Polizei die Leute von einem Ort verscheucht, dann machen sie das, was man als Junkie-Jogging bezeichnet", sagt Schmidt-Semisch. Sie gingen einfach an den nächsten Ort – zum Beispiel zum Dobben oder eben in den Nelson-Mandela-Park.

5 Züricher Modell: "Ameisenhandel" ist erlaubt

In Frankfurt schauen sich die Lokalpolitiker inzwischen sogar im Ausland nach alternativen Konzepten um. Diskutiert wird dort unter anderem das Züricher Modell. Die Schweizer Großstadt, die schon in den 1980ern das erste "Fixerstübli" eingerichtet hatte, setzt seit Mitte der 1990er Jahre auf eine Vier-Säulen-Strategie aus Prävention, Repression, Überlebenshilfe und Therapie. Das Konzept wird inzwischen in der ganzen Schweiz umgesetzt. Eine Besonderheit: In den Hilfseinrichtungen ist es Süchtigen erlaubt untereinander zu dealen, was als so genannter "Ameisenhandel" bezeichnet wird. Im Gegenzug wird das öffentliche Dealen konsequent von der Polizei unterbunden.

Ob so ein Modell rechtlich auch in Frankfurt oder Bremen möglich wäre, ist offen. "Die Frage ist immer, wo toleriert man das?", sagt Schmidt-Semisch. Was die Polizei klären müsse, sei, wie sie künftig mit dem Drogenhandel umgehe. "Denn wer das Dealen in der Friedrich-Rauers-Straße verbietet, schießt sich möglicherweise selbst ins Knie."

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Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 29. Oktober 2022, 19:30 Uhr

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