Infografik
Gefahr statt Wunderstoff: Wie Asbest auch in Bremen in Verruf geriet
Von der Antike bis ins Industriezeitalter wurde Asbest für seine Eigenschaften geschätzt. Heute beschäftigen sich Gewerkschaften und Staatsanwälte mit dem gefährlichen Mineral.
Feuerfest, elastisch, robust – und einfach in Minen abbaubar. Asbest-Minerale galten schon in der Antike und bis weit ins 20. Jahrhundert als Wundermittel, das Feuer standhält. Das Wort "asbestos" bedeutet auf Griechisch so viel wie unvergänglich. Wie Geschichtsbücher berichten, wurden aus ihm die Dochte der Lampen des ewigen Feuers der Akropolis gemacht. Andere frühe Anwendungen waren feuerfeste Kleidung und wiederverwendbare Totentücher.
Seit der Industriellen Revolution wurde Asbest in Brandschutzkleidung, Kesselisolierungen, für Dichtungen, aber auch in Bühnenvorhängen von Theatern verwendet. Um 1860 kamen zudem die ersten mit Asbest gefertigten, schwer entflammbaren Dachpappen auf. Und im Jahr 1893 präsentierte der österreichische Ingenieur Ludwig Hatschek das sogenannte Eternit, das die Österreichische Monatsschrift für den öffentlichen Baudienst kurz nach der Jahrhundertwende als "feuer- und sturmsicher, wetterfest, reparaturlos, leicht, vornehm und billig" bewarb.
1906: Erster offizieller Asbest-Toter
Kurz darauf schilderte der britische Arzt Hubert Montague Murray 1906 eine später als "Murrays Fall" bekannte neue Industriekrankheit. Er gab Asbest als Ursache für den Tod eines 33-jährigen Industriearbeiters an, den er zuvor behandelt hatte. Der Patient, von dem auch viele Arbeitskollegen bereits früh verstorben waren, hatte zuvor rund 13 Jahre in einer Fabrik für Asbesttextilien gearbeitet, wie Nikolaus Konietzko im Fachbuch "Asbest und Lunge" an diesen Fall erinnert.
Erste Vorschriften für den industriellen Umgang mit Asbest wurden in Großbritannien 1931 erlassen.
1920: Bremer Speicher XI erhält Asbestböden
Der Siegeszug des im Bau als Verbundstoff verwendeten Asbests hielt dennoch an. In Bremen erhielt beispielsweise der Speicher XI, das mit 403 Metern damals größte Gebäude der Stadt, im Jahr 1920 einen Asbestboden.
So sollte die Lagerung der leicht entzündlichen Baumwolle durch Brandmauern geschützt werden. Außerdem half das Material auch dabei, die hohen Traglasten der zu Ballen gestapelten Baumwolle von bis zu 1.000 Kilogramm pro Quadratmeter zu gewährleisten, heißt es dazu in der Ausstellung des Hafenmuseums Bremen.
Vor allem in der Bauindustrie wurde Asbest im 20. Jahrhundert fast überall eingesetzt: vom Welldach einer Bremer Parzelle bis zu den Fahrstühlen der Wolkenkratzer New Yorks.
Seit 1971: Schutzbestimmungen, Grenzwerte und Verbote
Die ersten systematischen klinischradiologischen Untersuchungen zu Asbestfolgen setzten in Deutschland erst 1930/31 ein, heißt es im Fachbuch "Asbest und Lunge". Medizinisch-statistische Berichte über Gesundheitsschäden durch Asbest machten seit Ende der 1950er Jahre die Runde.
Die Folge: 1971 beschlossen die Bau-Berufsgenossenschaften, die bis dahin nur für die Steingewinnung und Steinbearbeitung geltenden Schutzmaßnahmen auch auf alle gesundheitsgefährlichen mineralischen Stäube auszudehnen, also auch auf Asbest. Zwei Jahre später legte der Bund erste Grenzwerte für Chrysotil, den sehr verbreiteten Weißasbest, fest. Diese wurden 1976 und 1979 noch einmal verschärft.
Ebenfalls 1979 wurde in der Bundesrepublik Deutschland zunächst die Verwendung von Spritzasbest untersagt. 1981 und in den folgenden Jahren kam eine Vielzahl weiterer asbesthaltiger Produkte auf die Verbotsliste.
1983: Asbest-Protest auf der Bremer Vulkan-Werft
Seit 1974 wurde auch auf der Bremer Vulkan-Werft über das Thema Asbest diskutiert. Denn dort waren Arbeiter, allen voran die Tischler, ohne Schutzkleidung und Absaugeinrichtung regelmäßig dem Staub der asbesthaltigen Isolierplatten für Schiffswände und -decken ausgesetzt.
Im März 1983 – mitten in der Werftenkrise – berichteten Medien deutschlandweit über die Entscheidung des Vulkan-Betriebsrats, einen der Werft angebotenen Großauftrag nicht ausführen zu wollen. Die Beschäftigten wollten nicht am Passagierschiff "United States" arbeiten, da das 1952 vom Stapel gelaufene Schiff asbestverseucht sei. Auf der Werft wurde damals in der Belegschaft vom "Todesschiff" gesprochen.
Auch ohne den Auftrag sprachen die Zahlen bald für sich: Denn die Asbest-Folgen im Schiffsbau, aber auch der Asbest-Umschlag in den Bremischen Häfen, führten bereits Anfang der 1990er Jahre zu einem bis zu zehnfach höherem Krebsrisiko der Betroffenen als im Durchschnitt der Bevölkerung, berichtete 2015 der "Weser-Kurier".
Seit 1990: Kein Asbest mehr im Hochbau
In einer Selbstverpflichtung verzichtete die deutsche Asbestindustrie seit Ende des Jahres 1990 darauf, die Mineralfaser im Hochbau einzusetzen, zum Beispiel für großformatige Platten und Wellplatten aus Asbestzement.
Die Folgen der jahrelangen Asbestverwendung schlummern dennoch in den vielen Wohngebäuden und Alltagsprodukten. Dem Pestel-Institut zufolge liegt allein im Land Bremen die Zahl an Wohngebäuden, die seit den 1950er und bis Ende der 1980er Jahre gebaut wurden, bei rund 75.000. Sie machen bis heute den größten Teil der Asbestbelastung aus.
Asbest-Verteilung auf verschiedene Produkte und Güter, Stand 2010
1993: Asbest wird ganz verboten
Seit November 1993 ist es in Deutschland verboten, das seit 1990 inzwischen als "sehr stark gefährdend" hochgestufte Asbest herzustellen oder einzusetzen. Davon ausgenommen sind nur Abbruch-, Sanierungs- und Instandhaltungsarbeiten. Seit 2005 gilt dieses Verbot europaweit.
2016: Bremerhavener Bürosanierung trotz Asbest-Gefahr
Trotz des Verbots bleiben die Asbest-Folgen oft jahrzehntelang bestehen – und können auch heute noch zu Gefährdungen führen. So waren beispielsweise 2016 rund 50 Mitarbeiter der Fischereihafen-Betriebsgesellschaft bei Sanierungsarbeiten zwei Monate lang in einem asbestbelasteten Bürogebäude im Einsatz – ohne angemessenen Schutz, wie buten un binnen damals berichtete.
Die zum Herausreißen von Deckenplatten, Trennwänden und Fußbodenbelägen eingesetzten Mitarbeiter müssen sich seither alle drei Jahre untersuchen lassen, damit mögliche Spätfolgen wie Asbestose, also Kurzatmigkeit, oder Lungenkrebs, frühzeitig diagnostiziert werden können.
2023: Bremer Bäder wegen Asbest-Umgang unter Druck
Seit Anfang dieses Jahres hat das Thema Asbest die Bremer Bäder fest im Griff. Derzeit laufen Ermittlungen gegen die Geschäftsführung des kommunalen Schwimmbad-Betreibers. Anlass waren Vorwürfe, wonach bei Renovierungsarbeiten im Schwimmbad in Bremen-Osterholz unsauber gearbeitet worden sein soll. Konkret sollen Asbest und andere giftige Stoffe freigelegt worden sein, ohne dass die Schwimmgäste davor gewarnt worden sein sollen.
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 10. August 2023, 19:30 Uhr