Interview

Bremer Politikexperte: "Stehen vor gesellschaftlicher Zeitenwende"

Brandenburg: Fähnchen der Partei stehen beim AfD Parteitag des Landesverbands in Brandenburg auf dem Tisch.

Bremer Politikexperte: "Stehen vor gesellschaftlicher Zeitenwende"

Bild: dpa | Julian Stähle

Bei den Wahlen in Sachsen und Thüringen hat die AfD ihre Position deutlich gestärkt. Politikwissenschaftler Andreas Klee ordnet im Gespräch mit Bremen Zwei ein, welche Folgen und Schlüsse sich daraus ergeben.

Aus der Protestpartei AfD sei jetzt eine Vertrauenspartei geworden, hieß es gestern bei diversen Experten. Herr Klee, haben wir das jetzt wirklich, Rechtsextreme, denen man vertrauen kann?

Nein, das haben wir nicht. Also ideologisch schon gar nicht. Und man könnte ihnen vielleicht eventuell vertrauen, wenn sie schon jemals Regierungsverantwortung übernommen hätten und man sagen könnte: "Okay, man hat das Schlimmste befürchtet, aber es war dann doch irgendwie erträglich." Wenn man zum Beispiel ins europäische Ausland guckt, könnte man solche Perspektiven finden. Aber in Thüringen und Sachsen bei Weitem nicht.

Es geht ja nicht nur um Migration als Thema. Es geht auch darum, dass junge Menschen aus ländlichen Regionen wegziehen, dass Regionen nicht ans Zugnetz angeschlossen werden. Hat denn die AfD da auch wirklich Lösungen zu bieten, wenn die sich als Volkspartei verkaufen?

Sie haben tatsächlich keine Lösung. Was man immer wieder hört ist, dass sie ansprechbar sind. Das ist etwas, was man immer wieder gehört hat, auch über den Wahlkampf und in den letzten Jahren. "Die sind da, die sind vor Ort, die sprechen mit uns." Das ist etwas, was sie offensichtlich gut machen, was aber natürlich nicht ausreicht, um Politik zu machen. Zuhören ist das eine und Handeln wäre das andere  – das mussten sie bislang noch nicht. Also hatten sie das Glück einer klassischen Oppositionspartei, dass man eigentlich so tun kann, als würde man etwas ändern, wenn man denn in der Verantwortung wäre. Und davon profitieren sie offensichtlich.

Es will keine Partei mit der AfD zusammenarbeiten. Da wird immer von Brandmauern geredet. Aber wenn ein Großteil für die AfD gestimmt hat, sind diese Mauern wirklich im Sinne der Demokratie?

Die sind noch im Sinne der Demokratie und zwar, weil wir es mit einer Partei zu tun haben, die ja auch laut Verfassungsschutzbericht rechtsextrem ist. Und das ist eine Brandmauer, die wir nicht verlassen können. Und natürlich ist es ein Dilemma, dass man jetzt immer wieder sagen kann, wenn 30 Prozent plus diese Partei wählen, dann muss da irgendwie was dran sein. Aber man muss ja genauer hingucken, warum diese Partei gewählt wird. Und da ist es eben nicht immer so, dass man wirklich Vertrauen in die politische Arbeit hätte. Sondern es ist ein Großteil immer noch Protest. Ich würde sagen, immer noch deutlich mehr Protestpartei als Vertrauenspartei.

Und vor allen Dingen bei jungen Wählerinnen und Wählern. Das ist doch das besonders Erschreckende, oder?

Ja, das ist es. Wenn man es jetzt mal ganz grundsätzlich anguckt, gibt es in der Demokratie diesen Bezug auf die Werte, die man so hat. Aber es gibt auch eine Bindung darüber, dass einfach auch gute Politik gemacht wird. Also die Menschen haben ein Recht darauf in der Demokratie, dass sie die Wahrnehmung haben, dass sich ihr Alltag verbessert. Und das ist momentan bundesweit nicht so und in Thüringen und Sachsen offensichtlich ganz stark so, dass sie nicht das Gefühl haben, da geht was voran. Und das muss einfach geändert werden über gute politische Arbeit.

Wenn jetzt also die AfD in Sachsen und Thüringen niemanden findet, der mit ihr zusammenarbeiten wird, ist das ein Erfolg der Demokratie?

Das ist eine Variante, eine Spielart der Demokratie. Von Erfolg kann man bei den Wahlen gestern nicht sprechen, weil es eine Enttäuschung ist, dass so viele Menschen sich für eine Partei aussprechen, die offensichtlich die Werte der Demokratie nicht vertritt. Aber es ist auch nichts Illegales oder Unseriöses, wenn man jetzt eine Koalition bilden kann an der Partei vorbei, die am stärksten gewählt worden ist. Da geht es darum, dass man ideologische Interessen miteinander verbindet. Und das ist durchaus in Ordnung. Also, man sollte da jetzt nicht irgendwie von einem Sündenfall der Demokratie sprechen.

Ende September gibt es in Brandenburg noch Wahlen, nächstes Jahr die Bundestagswahl. Wird die AfD immer erfolgreicher, wird das so weitergehen?

Es wird immer schwieriger, sie aufzuhalten, weil sich das auch ein bisschen verselbständigt. Es gibt auch Moden in der Gesellschaft, einen Zeitgeist. Und den haben wir nicht nur in Ostdeutschland. Wir haben wirklich rund um uns herum in Europa rechte, rechtsextreme Parteien. Wir stehen vor einer gesellschaftlichen Zeitenwende. Das ist schon so, dass es eine große gesellschaftliche Kraft gibt, die keine stärkere Öffnung der Gesellschaft will, weil sie daraus für sich eine Bedrohung ableiten. Und das muss man diskutieren und ganz klar zur politischen Tagesordnung machen und sich damit auseinandersetzen.

Autor

  • Tom Grote
    Tom Grote Moderator

Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Der Morgen, 2. September 2024, 8:10 Uhr