Wie realistisch zeigt der Tatort aus Bremerhaven den Autoterminal?
Rund 8,4 Millionen Zuschauer verfolgten den neuen Tatort "Donuts" im TV. Schauplatz des Verbrechens war der Autoterminal in Bremerhaven. Doch wie realistisch ist das Gezeigte?
70.000 Parkplätze für Import- und Exportfahrzeuge gibt es auf dem Bremerhavener Autoterminal, auf Freiflächen und in Parkhäusern. Von selbst fahren die Autos noch nicht auf die Transporter, deshalb arbeiten am gesamten Standort ca. 2.000 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Im neuen Radio-Bremen-Tatort "Donuts" nimmt der Kriminalfall auf dem Terminal seinen Lauf – so geht es dort tatsächlich zu.
Der Stoff im Tatort, den bei der Erstausstrahlung rund 8,4 Millionen Zuschauer im Fernsehen verfolgten: Im Kofferraum eines Autos auf dem Autoterminal wird eine Leiche gefunden. Es ist der Bereichsleiter der Fahrerinnen und Fahrer. Die Spur führt in die Autotuning-Szene. Natürlich eine fiktive Story – die aber auch einen Fokus auf die Arbeitswelt auf so einem Mega-Terminal wirft.
Für mich ist mit dem Dreh in meiner Heimatstadt ein kleiner Traum in Erfüllung gegangen.
Sebastian Ko, Tatort-Regisseur
Er habe versucht, mit Drohnenbildern zu zeigen, wie gigantisch der Hafen ist, so Ko. Mit seiner Skyline und den riesigen Hafenflächen wirke die Stadt wie eine Metropole. Aber er will auch auf soziale Verwerfungen eingehen, schließlich habe Bremerhaven eine der höchsten Arbeitslosenquoten in Deutschland.
Die gut bezahlten Jobs mit Schichtzuschlägen im Hafen sind begehrt. Mancher Beschäftigter verdient sich mit einem Nebenjob im Hafen auch etwas dazu. Wer hier Autos fahren will, braucht einen Führerschein und eine fünftägige Spezialschulung.
Autoterminal: Nicht selten rauer Ton unter Beschäftigten
Der Hafen ist für seinen rauen Ton unter den Beschäftigten bekannt. Eine eingeschworene Gemeinschaft, in der man sich in seinem Team beweisen muss. Ein Großteil der Mitarbeiter ist direkt beim Hafenbetreiber BLG angestellt, ein anderer Teil beim sogenannten Gesamthafenbetrieb – dem Haupt-Personaldienstleiter in den Bremischen Häfen. Beide zahlen nach Tarifen.
Es ist ein großes Geflecht aus Firmen und Mitarbeitern. Der Arbeiter-Pool ist insbesondere dann von Bedeutung, wenn so viel los ist, dass die Stammbelegschaft alles alleine gar nicht mehr bewältigen kann. Bis zu zwei Millionen Autos werden hier jährlich verladen.
Zoff um Hafenlöhne
Zuletzt hatte es auch immer wieder Streit um Zeitarbeitsfirmen gegeben. BLG-Mitarbeiter warfen ihrem Unternehmen vor, mit weniger qualifiziertem und schlechter bezahltem Personal die etablierten Hafenlöhne drücken zu wollen. Mittlerweile hat sich Lage beruhigt, weil sich die BLG doch wieder auf die Stammbelegschaft konzentriert.
Im vergangenen Jahr hatte das Unternehmen, an dem die Hansestadt Bremen mehrheitlich beteiligt ist, den Autoterminal sozusagen zum Sanierungsfall erklärt. Besonders die Corona-Phase hat Spuren hinterlassen: 2021 verbuchte der Autoterminal einen Verlust von 11 Millionen Euro.
Hauptgründe waren der schleppende Absatz, der Chipmangel und auch gestörte Lieferketten, so das Hafenunternehmen. Die BLG setzte deshalb einen Unternehmensberater ein, der die Abläufe auf dem Autoterminal prüfen sollte. Ob der angekündigte Sparkurs gegriffen hat – dazu will sich das Unternehmen erst im April zur Bilanzpressekonferenz äußern. "Wir befinden uns gerade mitten in den Vorbereitungen für die Bilanzpressekonferenz", sagt BLG-Sprecherin Julia Wagner.
Digitalisierung wird immer bedeutender
Wo steht welches Fahrzeug? Wann ist es wo hingefahren worden? Und für welches Schiff ist es vorgesehen? Auch im Hafen ist die Digitalisierung in den vergangenen Jahren immer bedeutender geworden. "Isabella" heißt das Planungsprogramm der BLG, mit dem die Fahrzeugbewegungen registriert werden. Manchmal rollen die Autos im Sekundentakt an oder von Bord der Schiffe. Die gewaltigen Autotransporter, die Pkw über die Weltmeere zum Beispiel von und nach China bringen, fassen bis zu 8.000 Fahrzeuge.
Das routinierte Fahren ist entscheidend auf dem riesigen Terminal – über Brücken, die Rampen der Schiffe, bis in den Schiffsbauch und wieder zurück. Kleinbusse pendeln als Taxi für die Beschäftigten zwischen den Pkw-Stellplätzen und den einzelnen Schiffen.
Autos im Hafen rangieren – ein Präzisionsjob
Als sie angefangen habe, sei sie beim Hin- und Herrangieren noch unsicher gewesen, schildert eine junge Fahrerin – und habe den Wagen auch mal auf einer Schiffsrampe aus Versehen abgewürgt. "Das war mega-peinlich." Aber heute ist sie absolut sicher im Job, leitet sogar schon ein Fahrerteam. Es ist genau geregelt, wie die Autos an Bord der Schiffe verlassen werden müssen – beim sogenannten Einstauen, sagt sie beim Aussteigen.
Die Bremse wird natürlich angezogen. Sitz immer ganz nach hinten. Fahrzeugpapiere kommen in den Fußraum beim Beifahrer. Licht auf Automatik stellen und alle Schutzfolien im Auto immer gerade ziehen.
Fahrerin, Bremerhavener Autoterminal
Spritztour wie im Tatort kaum möglich
An bestimmten Checkpoints wird per Scanner erfasst, welcher Wagen gerade wo ist. Einfach mal eine Runde drehen und vom Gelände fahren, wie es im Tatort passiert – das ist in der Realität wohl kaum noch möglich. Allerdings gibt es auch immer wieder Debatten um die Sicherheit im Hafen und die Zugangskontrollen. Wer eine Chip-Karte hat, kommt aufs Gelände. Und die Schlüssel der Fahrzeuge und Papiere liegen in den Autos – um die Abläufe so einfach wie möglich zu machen.
Häufiger sind auch Spezialfahrzeuge aus dem Bereich "High and Heavy" – also hoch und schwer – an Bord, die auch von besonders ausgebildetem Personal gesteuert werden müssen. Bagger, Mähdrescher oder Luxuslimousinen. Um sie an Bord zu bringen, können die Transportdecks im Schiff sogar angepasst werden.
Mit Zugangskarte aufs Gelände
Für den Terminal gelten strenge internationale Sicherheitsvorschriften nach dem sogenannten ISPS-Standard. Es gab erhebliche Bedenken bei Beschäftigten und Gewerkschaften, dass mit zunehmenden Einsatz von Fremdfirmen auch die Gefahr größer wird, dass Unberechtigte aufs Gelände kommen, wie in einer Podiumsdiskussion 2018 deutlich wurde. Heikel, gerade vor dem Hintergrund terroristischer Bedrohungen. Inzwischen gibt es diese Kritik nicht mehr. Die BLG betont, die Sicherheitsstandards würden regelmäßig vom Hansestadt Bremischen Hafenamt, der Wasserschutzpolizei und auch von den amerikanischen Behörden überprüft. Außerdem werde ein externer Sicherheitsdienst eingesetzt, der einen festen, qualifizierten Mitarbeiterstamm habe.
Im Bremer Tatort geht es auch um die Frage, wer zu welchem Zeitpunkt aufs Gelände gefahren ist und mit welcher Zugangskarte. Die Sicherheitsfirmen setzen unter anderem auf Videoüberwachung. Zoll und Polizei haben im Hafen nicht nur mit Drogenschmuggel, sondern auch mit Produktpiraterie und illegaler Ware zu kämpfen. Für die Bremer Tatort-Kommissarin Liv Mohrmann ist es eine Rückkehr in mitunter zwielichtige Milieus – sie stammt gebürtig aus Bremerhaven.
Die Heimat umarmt mich wie ein böser Tiger.
Jasna Fritzi Bauer alias Liv Mohrmann
Aufpimpen für den europäischen Markt
Ein Bereich, mit dem die BLG beim Autoumschlag auch Geld verdient, ist quasi das Aufpimpen der Fahrzeuge, zum Beispiel für den europäischen Markt. Das passiert in speziellen Werkstätten auf dem Gelände, bei der BLG Autotec. Autos aus Asien werden beispielsweise mit Ledersitzen, Navigationssystem, Stereoanlage oder Anhängerkupplung nachgerüstet.
Es gibt sogar eigene Technikzentren, ausgestattet mit mehreren Waschstraßen, Lackierkabinen, Unterbodenschutzanlagen sowie zahlreichen Hebebühnen. Die Anlagen gelten als größte Autowerkstatt Europas.
Jobabbau in "Europas größter Autowerkstatt"
Aber auch dieses Geschäft hat sich über die Jahre verändert. Der Druck ist größer geworden, weil neben den großen Marken inzwischen auch andere Hersteller weltweit produzieren. Und damit aufwendige Überseetransporte und Umrüstungen wegfallen. Ein Beschäftigungssicherungsvertrag ist laut BLG zum 1. Juni 2022 in Kraft getreten und gelte für zwei Jahre. So könnten die Kosten zeitlich begrenzt reduziert werden. Es seien keine Arbeitsplätze auf dem Terminal weggefallen: Über den Vertrag sei gesichert, dass keine betriebsbedingten Kündigungen erfolgten.
So langsam hellen sich die Umschlagzahlen bei den Pkw wieder auf, ist von den Hafenunternehmen zu hören. Es sei allerdings noch zu früh, um bereits von einer Trendwende zu sprechen. Und für wie realistisch hält die BLG den aktuellen Bremer Tatort?
Zunächst einmal freuen wir uns, dass der erste Tatort in Bremerhaven vor einem Millionenpublikum gezeigt wurde – und dass unser Terminal, eine der größten Automobildrehscheiben der Welt, in dieser Produktion eine zentrale Rolle spielen durfte. Vor allem die imposanten Luftaufnahmen haben uns gut gefallen und hoffentlich viele unserer Beschäftigten am Standort mit Stolz erfüllt. Unser Terminal bildete im Film die Kulisse für eine fiktive Story und als frei erfunden müssen auch sämtliche Abläufe sowie Orte und Personen betrachtet werden.
BLG
Ob es mögliche Fälle zum Beispiel von Schmuggel auf dem Terminal gibt und wenn ja, wie diese aussehen, dazu äußert sich die BLG nicht: "Dazu weisen wir auf die genannten Sicherheitsvorkehrungen hin. Bitte haben Sie Verständnis, dass wir – ebenfalls aus Gründen der Sicherheit – keine weiteren Details nennen können." Der Autoterminal in Bremerhaven – bleibt eine Welt für sich. Im Bremer Tatort "Donuts" wird das schon allein durch die eindrucksvollen Bilder deutlich.
Die Tatort-Episode "Donuts" wurde am Sonntag, 2. April 2023, um 20:15 Uhr in der ARD ausgestrahlt und ist danach in der Mediathek für sechs Monate im Stream verfügbar.
Dieses Thema im Programm: Das Erste, Tatort, 2. April 2023, 20:15 Uhr