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Darum wollen diese Bremerinnen und Bremer nicht wählen gehen

Bild: dpa | Christian Charisius

Wählen zu gehen ist ein Recht – und für viele eine moralische Pflicht. Diese Bremer und Bremerinnen erklären, wieso sie es trotzdem nicht tun möchten.

Mehr als ein Drittel aller Wahlberechtigten im Land Bremen hat bei der letzten Bürgerschaftswahl den Urnengang gescheut. Wären Nichtwähler eine Partei, hätten sie, rein rechnerisch gesehen, die Wahl gewonnen. Doch wer nicht wählen geht, nimmt keinen Einfluss auf das politische Geschehen. Hier erklären fünf Bremer und Bremerinnen, wieso sie trotzdem den Urnen fern bleiben möchten.

1 "Ich fühle mich nicht gut genug informiert"

Eine junge Frau mit blauen Augen blickt in die Kamera.
Anna Fröhlich fühlt sich nicht ausreichend beraten, um wählen zu gehen. Bild: privat

Anna Fröhlich ist 19 Jahre alt und könnte dieses Jahr zum ersten Mal wählen gehen. Doch sie will es nicht. Denn sie fühlt sich nicht ausreichend beraten, um die richtige Wahl zu treffen. Von den Parteien selbst, aber auch von Schule und Medien. "Ich fühle mich nicht gut genug informiert darüber, was die Parteien tun und wofür sie stehen. Deshalb bin ich verunsichert."

Die Parteien setzten nicht immer das um, was sie kurz vor der Wahl versprächen, beklagt die 19-Jährige aus Blumenthal. Was sie sich wünscht: dass diese den Kontakt zu ihren Wählern stärker suchen würden, und zwar nicht nur kurz vor der Wahl. Doch nicht nur das.

Ich finde, auch in der Schule wird man schon nicht gut genug informiert. Davon abgesehen möchte ich mich ungern über die Medien über die Parteien informieren, weil es oft zu Missverständnissen kommt.

Anna Fröhlich, 19-Jährige

Parteien und Politiker drückten sich teilweise in einer Art und Weise aus, die für politikferne Menschen missverständlich sei, moniert Fröhlich. Mehr Verständlichkeit, mehr Nähe seien nötig, um die Menschen zum Urnengang zu motivieren.

2 "Ich war richtig enttäuscht"

Die Enttäuschung nach der letzten Wahl war hingegen für Michael* ausschlaggebend. Bei der Bundestagswahl 2021 sei er noch wählen gegangen, habe noch die Überzeugung gehabt, dass sich dadurch etwas ändert. Dazu sei es jedoch nicht gekommen.

Ich wäre sehr unschlüssig, was ich überhaupt wählen wollen würde.

26-jähriger Bremer

Themen wie Nachhaltigkeit und Klimaschutz seien ihm wichtig, sagt der 26-Jährige, der in der Östlichen Vorstadt lebt. Mit den Grünen in Regierungsverantwortung habe er große Hoffnung gehabt, doch bislang fühlt er sich enttäuscht. "Das politische Feld sagt mir derzeit nicht zu", fasst er es zusammen.

3 "Das war noch nie so mein Ding"

Zwei Männer stehen auf einem Weg, umgeben von Hunden.
Der eine geht wählen, der andere nicht: Marvin Kunkel (li.) mit seinem Kumpel Pavel Lyßkowski (re.). Bild: Radio Bremen | Mirjam Benecke

"Wenn ich Post erhalte, dass ich wählen soll, das ist wie Werbung: Weg damit!", sagt der Bremerhavener Marvin Kunkel. Für die Wahlen hat er sich nie besonders interessiert. Sein Kumpel, Pavel Lyßkowski, hat hingegen bei der letzten Bürgerschaftswahl gewählt. Allerdings sei er der Einzige in seiner Familie gewesen, sagt er: "Meine Mama wählt nicht, sie versteht es nämlich nicht, weil sie aus Polen kommt. Mein Bruder ist 24 Jahre alt und hat andere Interessen."

4 "Ich habe das letzte Mal falsch gewählt"

Die 41-jährige Johanna* lebt seit zehn Jahren in Bremen-Walle und hat in den vergangenen Jahren ihre Stimme regelmäßig abgegeben. Doch dieses Jahr möchte sie nicht. Die Erfahrungen der vergangenen Jahre würden sie davon abhalten.

Ich habe die letzten Jahre scheinbar falsch gewählt. Dies wird das erste Jahr sein, wo ich nicht wählen gehe.

41-Jährige aus Walle

Die Versprechungen der Parteien, die sie gewählt habe, seien nicht eingehalten worden. Themen wie Klimaschutz, öffentliche Verkehrsmittel, persönliche Sicherheit und Kultur lägen ihr am Herzen. Um sie zum Umdenken zu bewegen, wäre wichtig, dass Wahlversprechen eingehalten würden. "Jedes Jahr, habe ich gesagt, gucke ich mir das an. Und wer weiß, was ich nächstes Mal mache."

5 "Nicht genug Zeit gehabt"

Frust und Reue sind nicht die einzigen Beweggründe von Nichtwählern und -wählerinnen. Die 20-jährige Jennifer* sagt, ihr habe die Zeit – und das Interesse – gefehlt, um sich über Parteien und Kandidaten ausreichend zu erkundigen. Prinzipiell würde sie aber sonst gern hingehen.

Ich habe mich zu wenig informiert, aus Interesse, aber auch, weil mir die Zeit fehlte.

20-Jährige aus Horn-Lehe

Politologe: Teile der Gesellschaft politisch nicht repräsentiert

Bei der Bürgerschaftswahl 2019 lag die Wahlbeteiligung in der Stadt Bremen bei 66 Prozent, in Bremerhaven sind knapp mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten, 52 Prozent, an die Urnen gegangen. Vor allem in ärmeren Stadtteilen war die Beteiligung niedrig. In Bremen lag sie etwa in Gröpelingen bei 49,7 Prozent.

Wahlbeteiligung bei der Bürgerschaftswahl 2019

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Die Folgen der Wahlabstinenz können gravierend sein, wie der Bremer Politikforscher Andreas Klee erläutert. Wählt nur eine kleine Gruppe Menschen sind deren Interessen immer stärker vertreten. Parallel dazu werden immer größere Teile der Gesellschaft nicht repräsentiert in der Politik. "Das ist etwas, das der Grundidee der Demokratie absolut zuwiderläuft."

Die Idee der Demokratie ist es, dass Herrschende [durch die Wahlen, Anm.d.Red.] die Erlaubnis haben, Entscheidungen zu treffen, die für uns alle im Leben eine große Rolle spielen.

Der Politikwissenschaftler Andreas Klee im Interview bei buten un binnen.
Andreas Klee, Politoge

Und doch kommt es häufig vor, dass genau die Menschen, die eine schwächere Position in der Gesellschaft haben, enttäuscht sind von der Politik und auf ihre Stimme verzichten. Oder nicht mehr daran glaubten, dass Politik ihnen helfen könne, sagt Klee. "Es ist häufig ein Desinteresse. Es wird nicht mehr als besonderes Ereignis wahrgenommen oder es wird gar nicht mehr ernst genommen."

"Wichtig, durch tatkräftige Politik zu überzeugen"

Mangelndes Vertrauen, Desillusion, Frust – alles kann dazu beitragen. Doch kann man enttäuschte Wähler und Wählerinnen wieder motivieren? Immer wieder versucht die Politik, die Lage durch neue Gesetze oder Projekte zu ändern. Doch Politikverdrossenheit lässt sich nur langfristig ändern, meint Klee. Pfiffige Social-Media-Kampagnen helfen dabei weniger.

"Ich glaube, was die Parteien machen können, liegt zwischen den Wahlen. In den vier Jahren müssten politische Entscheidungen getroffen werden, die sichtbar und wirksam sind für die Menschen. Und es muss über Taten gelingen, das Vertrauen der Menschen zurückzugewinnen", sagt Klee.

*Name auf Wunsch des Interviewten von der Redaktion geändert.

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  • Wahl 2023 in Bremen: Warum Menschen nicht wählen gehen

    In dieser Folge von "Wahlen in Zahlen" zeigt Frank Schulte, wie sich die Wahlbeteiligung in Bremen nach dem Krieg entwickelt hat – und was Menschen von der Wahl abhält.

Autorin

  • Serena Bilanceri
    Serena Bilanceri Autorin

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 11. Mai 2023, 19:30 Uhr