Fragen & Antworten
Drogenszene in Bremen: Wie reagieren Passanten am besten?
Vor allem im Bereich des Bremer Bahnhofs kommt es immer wieder zu Situationen, die betroffen machen – aber auch gefährlich sein können. Wie reagieren Bremer da am besten?
Wenn psychisch kranke Menschen oder Drogenabhängige sich auffällig verhalten, kann das andere Menschen verunsichern. Und dadurch, dass die Crack-Szene in Bremen wächst, können solche Situation häufiger vorkommen, was unter anderem an der Wirkungsweise von Crack liegt.
Auch die Zahl der Drogentoten steigt bundesweit. Das zeigt die aktuelle Statistik des Sucht- und Drogenbeauftragte der Bundesregierung. Wie der Kampf gegen die Drogen politisch geführt werden kann, ist immer wieder Inhalt von Diskussionen.
Angst oder Ratlosigkeit bei Unbeteiligten
Ein härteres Vorgehen von Polizei und Justiz fordern die einen, einen Verweis auf Akzeptanzorte und mehr Hilfen die anderen. Durch die Lage entstehen auch Situationen, die bei unbeteiligten Menschen Angst oder Ratlosigkeit auslösen können. Wie reagiert man als nicht betroffene Person am besten? Wann muss man Hilfe holen und an wen sollte man sich wenden?
Wir haben mit Felix Moh, einem Streetworker gesprochen. Er arbeitet im Bremer Bahnhofsumfeld bei der Drogenhilfe Comeback. Außerdem teilt Professor Uwe Gonther, Chefarzt der psychiatrischen Ameos Klinik Bremen, seine Erfahrungen und Einschätzungen mit uns.
Was machen Drogen wie Crack mit den Menschen?
Um zu verstehen, was bei den Drogenkranken vorgeht, ist es wichtig, die Wirkungsweise von Drogen wie Crack zu kennen. Diese wirke laut Psychiater Gonther wie Kokain durch vermehrte Freisetzung von Kaecholaminen. Das sorgt dafür, dass die Konsumenten mehr reden, enthemmter sind und ein gesteigertes sexuelles Verlangen haben. Es kann aber auch zu Beruhigung und intensiverer Wahrnehmung führen.
Jedoch könne es auch zu psychotischen Ängsten, Wahnvorstellungen und Halluzinationen kommen. Besonders nach dem Rausch würden depressive Verstimmungen, Zittern, Krämpfe, Herz-Kreislauf-Störungen und viele andere unangenehme Erscheinungen auftreten, wodurch schnell eine Sucht mit rascher Dosissteigerung entstehe.
Auch Streetworker Moh berichtet: "Es wird teilweise über einen Zeitraum von mehreren Tagen und Nächten ohne Schlaf wiederholt konsumiert. Es kommt somit zu Schlafmangel, starker Unruhe und in Folge dessen oft zu psychotischen Zuständen."
Die Betroffenen vernachlässigen alles andere und geraten in sehr prekäre Lebenslagen, wobei oft simple Selbstfürsorge, wie Schlaf und Essen wegfallen. Ein Teufelskreis, aus dem man trotz starken Willens kaum wieder rauskommt. Selbst, wenn man es schafft: Oft müssen die Betroffenen mit Langzeitfolgen wie Schädigungen von Lunge, Herz und Blutgefäßen leben.
Wenn wir anfangen, an Menschen, die am Boden liegen, achtlos vorbei zu gehen – wo soll das hinführen?
Prof. Dr. Uwe Gonther, Chefarzt Ameos Klinikum Bremen
In welchen Situationen muss man unbedingt Hilfe holen?
Oft ist es für Menschen ohne medizinische Ausbildung schwer zu unterscheiden, ob es sich gerade um einen Notfall handelt oder nicht. Vor allem, ob eine Person bewusstlos ist oder schläft, ist manchmal nicht direkt zu erkennen.
Laut Moh machen sich Drogennotfälle oft durch Atemstillstand bemerkbar. Gerade, wenn die Person eventuell schlafen könnte, sollte man also zunächst schauen, ob sich der Brustkorb hebt und senkt oder Atemgeräusche erkennbar sind. "Ist eine Atmung sicht- oder hörbar und deutet auch sonst nichts auf einen Notfall hin, sollte man die Menschen bitte schlafen lassen", so Moh. Menschen, die auf der Straße leben, bräuchten schließlich auch die Möglichkeit, sich ausruhen zu können.
Auch der Mediziner Gonther verweist darauf: "Schlafende soll man schlafen lassen, es sei denn es sind minus 10 Grad." Außerdem erklärt der Psychiater, dass man den Unterschied von Schlaf und Bewusstlosigkeit auch an der Körperspannung erkennen könne – diese sei nämlich bei letzterem kaum mehr vorhanden. Im Zweifelsfall ist es am besten, die Person anzusprechen.
Außerdem seien Drogennotfälle laut Moh ein medizinisches Problem.
Deshalb bitte nicht die Polizei, sondern einen Krankenwagen – also die 112 – rufen.
Felix Moh, Streetworker bei der Bremer Drogenhilfe Comeback
Gerade am Bahnhof sind außerdem Stellen wie die Bahnhofsmission vorhanden, an die man sich bei Unsicherheiten wenden kann. So oder so ist es aber auf jeden Fall wichtig, den Blick nicht abzuwenden, sondern lieber zweimal zu schauen.
So appelliert auch Gonther: "Es ist immer wichtig, sich für andere Menschen zu interessieren. Wenn wir das aufgeben, wird es eine ganz kalte und herzlose Welt."
Selbstgespräche oder lautes Schreien: Wie sollten Passanten reagieren?
Wenn Personen laut Selbstgespräche führen, ist das eine Situation, die für viele Menschen zunächst erstmal schwer einzuschätzen ist. Streetworker und Psychiater sind sich allerdings einig: Auch wenn sie irritieren können – Selbstgespräche sind in der Regel harmlos.
"Oft sind solche Menschen schwer zugänglich, manchmal ist es aber auch faszinierend, wie schnell auf eine normale Unterhaltung umgeschaltet werden kann. Sollten die Äußerungen als massiv störend empfunden werden, würde ich daher erstmal empfehlen, in Kontakt zu gehen, Hilfe anzubieten oder respektvoll darum zu bitten, etwas leiser zu sein", so der Streetworker.
Allerdings ist jeder Fall hier anders. "Wenn jemand laut schreit, zeigt es schon, dass die Anspannung höher ist. Das ist bereits eine Form der Aggressivität", erklärt Gonther. Solange man selbst nicht verwickelt sei oder niemand offensichtlich hilflos ist, müsse man allerdings nichts tun. Wenn die Situation zu undurchschaubar ist, empfiehlt der Arzt, sich mit anderen Passanten zu beraten. "Auch im Klinikkontext wird manchen Situationen lieber gemeinsam begegnet. Das würde ich auch jedem in unübersichtlichen Situationen, die einem vielleicht Angst machen, anraten."
Man bekommt vor Augen geführt, wo sozialer Abstieg hinführen kann. Die meisten Menschen haben da Mitgefühl und spüren Solidarität. Es sind ja nicht alles eiskalte Psychopathen.
Uwe Gonther, Chefarzt Ameos Klinikum Bremen
Wie kann man am besten abseits eines Notfalls helfen?
Auch wenn kein Notfall vorhanden ist, haben viele Menschen das Bedürfnis, zu helfen. Felix Moh rät, dass man ruhig auf die Personen zugehen und sie ansprechen kann. "Wichtig ist immer, dass die Gespräche auf Akzeptanz basieren und auf Augenhöhe geführt werden. Eventueller Hilfebedarf kann sich aus dem Gespräch ergeben", so der Streetworker.
Meistens wüssten die Personen von den verschiedenen Anlaufstellen. Wenn nicht, empfiehlt er bei Drogenkonsumenten die Vermittlung an die Beratungsstelle von Comeback am Bahnhofsplatz 29, telefonisch erreichbar über 0421 4600 610 oder die ambulante Suchthilfe Bremen, erreichbar unter 0421 98 97 90.
Was tun, wenn man um Geld gebeten wird?
Unabhängig davon, ob Geld gegeben wird oder nicht, sei es wichtig, auf den Menschen mit einer wertschätzenden Haltung zu reagieren, betont Moh. "Drogengebraucherinnen und -gebraucher sind oft Diskriminierungen und Ausgrenzungen ausgesetzt", sagt er.
Wenn man sich dafür entscheidet, Geld zu geben, müsse man allerdings auch akzeptieren, dass sich hierfür eventuell Drogen gekauft werden. Denn das sei der Bedarf der Person und ein Bevormunden oder Tadeln wäre hier fehl am Platz. Man kann allerdings auch fragen, ob man durch Sachspenden – wie zum Beispiel Nahrung, Kleidung oder Tierfutter – weiterhelfen kann, wenn man sich unsicher ist.
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 4. Dezember 2022, 19:30 Uhr