Interview

Bremer Politik-Experte warnt vor Machtübernahme durch Extremisten

Was Bremer Demonstranten über den Rechtsruck denken

Bild: Radio Bremen | Eleni Christoffers

In der Verfassung gibt es zu wenige Schutzmechanismen, sagt Thomas Köcher von der Landeszentrale für politische Bildung. Extremistische Strömungen könnten so an die Macht kommen.

Der Experte der Bremer Landeszentrale für politische Bildung war nicht überrascht von der großen Beteiligung an den Demonstrationen gegen rechts in Bremen und vielen anderen deutschen Städten. Er glaubt, dass sich die Proteste auch auf die anstehenden Landtagswahlen in Ostdeutschland und die Europawahl auswirken könnten.

Herr Köcher, hat es sie überrascht, dass es solche Massen sind, die ihren Protest kundtun?

Nicht wirklich. Es hat sich ja angedeutet. Aber ich habe auch das Gefühl, es ist jetzt einfach so ein Moment im Sinne von "es reicht!" Und das hat, glaube ich, unglaublich viel dazu beigetragen, dass so viele Menschen mobilisiert worden sind.

Thomas Köcher zu Gast im Studio von buten un binnen.
Thomas Köcher, Leiter der Landeszentrale für politische Bildung Bremen. Bild: Radio Bremen

Anlass für die aktuellen Proteste war ja dieses AfD-Treffen in Potsdam. Aber man wusste ja schon, dass es diese Idee der sogenannten Remigration gibt. Warum jetzt diese Proteste?

Ich glaube tatsächlich, jetzt hat man gemerkt, die planen das schon. Und wir stehen halt vor Wahlen. Wir haben in der zweiten Hälfte des Jahres die Wahlen in Ostdeutschland, wir haben die Europawahl. Jetzt merkt man plötzlich, diese Planungen sind schon ganz konkret, die haben wirklich stattgefunden. Und ich glaube, das ist der Moment, wo alle jetzt merken, es gibt etwas zu verteidigen: unsere Demokratie. Und dafür müssen wir was tun.

Auffällig war ja, dass man in Bremen und ganz vielen anderen Städten Menschen auf der Straße gesehen hat, die eigentlich nie auf Demos gehen. Was bedeutet das für die Mobilisierung?

Das ist ein ganz, ganz wichtiges Signal. Wir haben einfach eine große Menge von Menschen, die eigentlich immer zur Demokratie stehen, aber die niemals auf solche Demonstrationen gehen würden. Die waren diesmal alle unterwegs. Und wenn diese Menschen sozusagen darüber auch berichten, dann haben wir einen Multiplikationseffekt, der extrem wichtig ist.

Die Organisatorin der Veranstaltung in Bremen hofft, dass das nachwirkt. Hat das einen Effekt?

Ich glaube, es hat einen Effekt. Es geht jetzt gar nicht darum, dass wir am nächsten Sonntag wieder 50.000 Teilnehmer haben. Sondern es geht darum, dass diese 50.000 morgen mit ihren Nachbarn reden, mit ihren Bekannten reden, in die Betriebe hineingehen und einfach nur berichten, dass sie da waren. Mit 50.000 Leuten, die darüber berichten, hat man schon einen Effekt. Dass Leute, die vielleicht gerade am Zweifeln sind, plötzlich merken: Es gibt hier etwas zu verteidigen. Hier geht es nicht nur um eine andere normale politische Richtung, sondern hier geht es wirklich um einen elementaren Wechsel in unserem politischen System. Und den will ich vielleicht nicht und dann überlege ich mir nochmal, wie ich wähle.

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    Das Bündnis "Laut gegen Rechts" hatte eine Kundgebung auf dem Domshof angemeldet. Dort war aber nicht genug Platz für die Menschenmenge.

Was muss über die Demonstration hinaus noch passieren, um wirklich extremistische Strömungen abzuwenden?

Ich glaube, dass diese Demonstration auch eine Art Handlungsaufforderung war, auch an die Politik. Wir wissen schon seit geraumer Zeit, dass unsere Verfassung, auch die jeweiligen Landesverfassungen, nicht so stabil und sicher sind wie vielleicht viele glauben. Es gibt die Möglichkeit, nach einer Wahl die Verfassung zu ändern oder Einfallstore zu finden, um im Nachhinein die Demokratie zu unterhöhlen. Und ich glaube, das ist eine Handlungsaufforderung. Da müssen wir jetzt sehr sensibel sein und genau schauen wie wir unsere Verfassung und unsere Grundrechte auch sicher gestalten.

Wenn ich sie richtig verstehe, sind unsere Schutzmechanismen dagegen, dass extremistische Strömungen an die Macht kommen, nicht stark genug?

Ich glaube, sie sind nicht stark genug. Es gibt viele Verfassungsrechtler, die schon drauf hingewiesen haben. Man muss das mindestens überprüfen. Ich glaube, es geht jetzt nicht nur um die Überprüfung, ob man jetzt eine Partei verbieten soll. Sondern es geht wirklich darum, genau zu schauen, wie wir unsere parlamentarische Demokratie schützen.

Wie sinnvoll finden Sie ein AfD-Verbot?

Ich finde es selber schwierig. Ich bin da auch hin- und hergerissen. Ich glaube, dass das sehr gut abgewägt werden muss. Wir müssen irgendwie zeigen, dass auf allen Ebenen auch genau die Gefahr ernst genommen wird. Da geht es nicht nur um ein Verbot. Das wird das Problem allein nicht lösen.

Wir wissen ganz genau, wir haben zehn Prozent Menschen mit einem gefestigten rechten Weltbild, die sind höchstwahrscheinlich verloren. Wir haben ungefähr 20 Prozent, die dahin tendieren – um die müssen wir uns ganz vehement kümmern. Und die anderen 70 Prozent müssen gestärkt werden. So wie die 50.000, die hier auf der Straße gestanden haben.

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    Ein Blick von der Bühne zeigt die Demonstration unter dem Motto "Laut gegen Rechts" auf dem Domshof.

Mit Blick auf die anstehenden Wahlen: Können solche Proteste Einfluss darauf nehmen?

Ich glaube, sie können Einfluss nehmen. Weil diese Menschen, die hier zum Beispiel gestanden haben, höchstwahrscheinlich sich auch überlegen, zur nächsten Wahl zu gehen, um damit auch die Demokratie zu stärken. Es kann sein, dass damit auch Leute, die gerade am Wackeln sind, sozusagen zurückgeholt werden, oder dass man einfach merkt, es geht um mehr. Es ist nicht nur eine Wahl, wir sind gerade an einem ganz wichtigen Punkt und wenn wir unser System erhalten wollen, wenn wir weiter ein buntes, tolerantes Deutschland haben wollen, dann wird es jetzt Zeit, etwas zu tun.

Was kann jeder einzelne tun, um im Alltag extremistische Strömungen abzuwehren?

Ich glaube, es geht einfach ganz viel um reden und überzeugen, wenn ich Menschen mit Menschen ins Gespräch komme. Immer wieder klarmachen, wir leben in etwas, was ich verteidigen muss. Ich brauche Frustrationstoleranz. Nicht jede politische Entscheidung ist so, wie ich mir das vorstelle, aber letztendlich muss ich dazu stehen, dass Demokratie auch Kompromisse erfordert.

Autorin

  • Kirsten Rademacher
    Kirsten Rademacher

Quelle: buten un binnen.

Dieses Thema im Programm: Buten un binnen, 21. Januar 2024, 19:30 Uhr