Was tun, wenn Kinder nicht mehr zur Schule gehen?
In Bremen verlässt jeder zehnte Jugendliche die Schule ohne einen Abschluss. Laura Lindenberg möchte das ändern.
In einem hellen Raum im Jugendfreizeitheim Buntentor in der Bremer Neustadt sitzen fünf Schülerinnen und Schüler. Sie sind zwischen 11 und 13 Jahre alt und haben eines gemeinsam: Im vergangenen Schuljahr sind sie irgendwann nicht mehr zur Schule gegangen. Erst ein paar Tage, dann ein paar Wochen und dann gar nicht mehr.
"Ich wurde halt geärgert. Deswegen wollte ich halt nicht mehr dahingehen", erzählt Ararat. "Es gab eine Zeit, wo ich gar nicht gegangen bin, zum Beispiel in der Grundschule, kurz vor den Zeugnisabgaben, die letzten zwei Wochen bin ich glaube ich nicht hingegangen. Da war ich zu Hause und hab Ärger bekommen."
Schulen kooperieren mit dem Beratungszentrum
Laura Lindenberg betreut die Schülerinnen und Schüler, gemeinsam mit dem Sonderpädagogen Stefan Krämer bei der Lernstube, einem Projekt für Schulvermeider. Die 34-Jährige hat das Projekt im vergangenen Jahr initiiert. "Ich habe an verschiedenen Schulen in Niedersachsen und Bremen gearbeitet und immer wieder festgestellt, dass es nicht genügend oder passende Angebote für Schüler und Schülerinnen gibt. Und das hat mich doch sehr zum Nachdenken gebracht", sagt sie. Wenn auffällt, dass ein Schüler oder eine Schülerin nicht mehr zum Unterricht kommt, dann kooperieren die Schulen mit dem Regionalen Beratungszentrum im Stadtteil und der Lernstube. Die Schüler verbringen dann den Vormittag dort.
Das Ziel: Rückkehr zur Schule
Ararat und die anderen Lernstubenschülerinnen und -schüler sitzen an einem Gruppentisch und haben ihre Köpfe über ihre Hefte gebeugt. Es ist still, in der Lernzeit sollen die Kinder konzentriert arbeiten. Laura Lindenberg erklärt einem der Schüler eine Aufgabe. "Guck' mal, du bist dann der Experte und wir wünschen uns dann von dir, dass du uns das kurz und knapp erklärst", sagt sie. Warum Kinder und Jugendliche die Schule vermeiden, sei ganz unterschiedlich, sagt Laura Lindenberg.
Leistungsdruck, Überforderung, familiäre Schwierigkeiten, aber auch Mobbing ploppt immer wieder auf.
Laura Lindenberg
Für den 12-jährigen Jamie wurden die Probleme mit dem Übergang in die fünfte Klasse immer größer. An seiner neuen Schule, einer Bremer Oberschule, fühlte er sich so unwohl, dass er nach ein paar Wochen nicht mehr dort hingegangen ist. "Meine Grundschule war ganz cool. Die war sehr gut. Die neue Schule war ein bisschen komisch, weil davor war ich ja vier Jahre auf der Grundschule. Also ja, musste ich mich erstmal dran gewöhnen. Ich mochte die neue Schule eigentlich nicht", sagt er. Was ganz genau für ihn schwierig war, das erzählt er nicht.
Das Projekt Lernstube mit weniger Kindern und einer intensiveren Betreuung ist ein guter Ort für ihn. Er ist seit dem Herbst dort und schafft es, regelmäßig hinzugehen. Ein Schritt, um sich dem Schulbesuch wieder anzunähern. "Ja, irgendwann muss ich wieder zur Schule hin. Das ist sonst auch ein Ziel. Aber das hier ist ein guter Anfang", sagt Jamie.
Bewegung und Pausen wichtig
Gegenüber von Jamie sitzt Maxi. Für ihn sind vor allem die Zeiten in der Lernstube ein Grund, warum er sich dort besser fühlt als in der Schule. Auch, dass er sich dort mehr bewegen kann, ist gut für ihn. "Wir haben hier von 9 Uhr bis 13 Uhr Schule. Viermal in der Woche machen wir nur richtigen Unterricht, Mathe und Deutsch und sonst machen wir auch andere Dinge wie Kunst, Gemeinschaftsspiele spielen, basteln, oder einfach rausgehen mit deinen Freunden", erzählt er. "Hier hast du auch verschiedene Möglichkeiten, dich auszutoben oder halt wenn du mal eine Pause brauchst, hast du verschiedene Sachen, die du machen kannst."
Im Bremer Süden ist die Lernstube das erste außerschulische Angebot für Fünft- bis Siebtklässler. Im Bremer Norden, Osten und Westen gibt es bereits seit längerer Zeit Projekte für Schulvermeider.
Kinder nicht aus dem System fallen lassen
Im Bundesdurchschnitt ist Bremen das Bundesland mit der höchsten Schulabbrecherquote. Der Bedarf für Projekte wie die Lernstube ist groß, das weiß auch der Geschäftsführer vom Träger Sofa e.V., Jan-Dieter Junge. Es sei wichtig, dass die Kinder nicht ganz nach unten fallen, sondern dass sie aufgefangen werden. Außerdem müsse vermieden werden, dass sie in der Schule eine Außenseiterrolle spielen, sondern soziales Verhalten lernen. "Da ist viel Potential, was durch ein großes System manchmal verloren geht. Und manche Kinder brauchen eben so eine Förderung", sagt er.
Es gehen so viele Kinder in diesem Schulbetrieb, die irgendwelche Probleme haben, verloren. Man kann das einzelne Kind nicht mehr sehen. Und dann fällt es runter und fällt immer tiefer.
Jan-Dieter Junge, Geschäftsführer vom Träger Sofa e.V.
Zwischen der Lernzeit spielen die Lernstubenschülerinnen und -schüler in den Räumen des Freizeitheims Tischtennis oder Billard. Sie kochen aber auch gemeinsam und vor allem sprechen sie mit den Pädagogen über ihre Schwierigkeiten und Ziele, mal im Einzelgespräch, mal in der Gruppe.
"Ok, sehr gut. Was hast du noch erreicht?", fragt Laura Lindenberg in den Raum hinein. "Mein Buch zu lesen, mehrere Seiten", antwortet ein Mädchen. "Ich habe mich getraut, vor den anderen zu sprechen", sagt einer der Jungen.
Vertrauen der Kinder und Jugendlichen gewinnen
Ein wichtiger Teil der Arbeit der Pädagogen ist es, das Vertrauen der Kinder und Jugendlichen zu gewinnen. "Wir unterstützen die Schülerinnen sowohl sozial als auch emotional, dass sie gestärkt werden", sagt Laura Lindenberg. Dazu gehört der offene Umgang mit Gefühlen und Bedürfnissen, mit Ängsten umzugehen, aber auch konstruktiv mit Konflikten umzugehen. "Denn in der Schule gibt es viele Konflikte", sagt die Pädagogin. Außerdem gehe es darum, den Jugendlichen den Spaß und die Freude am Lernen wiederzubringen und sie darauf vorzubereiten, wieder in den Schulalltag zurückzukehren.
Denn in vielen Fällen können auch die Eltern ihre Kinder nicht mehr dazu bewegen, zur Schule zu gehen. "Es gibt, glaube ich, viele Eltern, die selber auch verzweifelt sind, weil sie selber nicht genau wissen, woran es liegt und sich bemühen, dass ihre Kinder zur Schule gehen", erzählt die Sozialpädagogin. Für Laura Lindenberg ist es ein Herzenswunsch, genau diese Kinder zu erreichen und einen geschützten Ort außerhalb der Schule anzubieten. "Das ist natürlich unser Ziel, dass sie gerne wieder zur Schule zurück gehen wollen, dass sie gestärkt sind."
Eine Schülerin konnte schon nach ein paar Monaten die Schule wieder besuchen. Und auch Jamie, Maxi und Ararat arbeiten darauf hin. "Im Moment ist mein Ziel, fit und pünktlich hierher zur Lernstube kommen. Und ja, also mindestens vor den Sommerferien möchte ich wieder zur Schule", sagt Ararat.
Quelle: buten un binnen.
Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Der Samstagnachmittag, 23. März 2024, 13:40 Uhr