Infografik
Bremens Bildungsmisere und kein Ende in Sicht?
Frustrierte Lehrkräfte, genervte Eltern und zu wenig geförderte Schülerinnen und Schüler – niemand ist wirklich zufrieden mit Bremens Bildungssystem. Woran liegt das?
Seit Jahrzehnten wird am Schulsystem herumgedoktert und doch landet Bremen in Bildungsvergleichen weiterhin auf den hintersten Plätzen. Der PISA-Schock durch den Bildungsvergleich der OECD Anfang der 2000er Jahre löste einige Reformen an den Schulen aus. So kam nach langem Hin und Her das 2-Säulen-Modell aus Oberschule und Gymnasium. Die Ganztagsschulen wurden ausgebaut. Und schließlich folgte die Inklusion, damit alle Kinder gemeinsam lernen können und niemand sich ausgeschlossen fühlt. An sich alles gute Ideen, aber sie werden mehr schlecht als recht umgesetzt, so würden wohl viele die Bremer Bildungspolitik der vergangenen Jahrzehnte bilanzieren.
Grund eins: Zu wenig Geld für das nötige Personal
Längeres und gemeinsames Lernen in bunt zusammengewürfelten Klassen braucht mehr und gut ausgebildete Pädagogen als Halbtagsschulen mit homogenen Klassen und einer Lehrkraft an der Tafel. Von Anfang an gab es neben den Lehrkräften zu wenige Sonderpädagogen und Assistenzen für förderbedürftige Kinder, um die Inklusion fachgerecht umzusetzen – bis heute. Genauso fehlen Sozialarbeiter und Erzieher und Erzieherinnen an vielen Schulen, um Kinder mit schwierigem familiären und sozialen Hintergrund aufzufangen.
Das klamme Bremen hat sich große Ziele gesteckt, ohne sie wirklich bezahlen zu können. Die bildungspolitische Sprecherin der CDU, Yvonne Averwerser, kritisiert, dass diese "anfänglichen Versäumnisse bei der Einführung der inklusiven Beschulung nie vollends geheilt wurden". Bis heute reicht Bremen in seinen Ausgaben pro Schüler und Jahr nicht an jene von Berlin und Hamburg heran.
Bildungsausgaben im Ländervergleich
Bremens Bildungssenatorin, Sascha Aulepp, SPD, räumte jüngst ein, dass Bremen aus finanzieller Sicht "noch einen ordentlichen Weg vor sich hat". Eine Erkenntnis, die schon ihr Parteikollege und damaliger Bürgermeister, Jens Böhrnsen, im Jahr 2012 hatte. Damals lieferte er den seitdem viel zitierten Satz, dass der Bildungshaushalt eine Schippe drauf bräuchte. Viele Eltern und Lehrkräfte mokierten sich noch Jahre danach darüber und beklagten, dass dieser Ansage allenfalls ein Schippchen folgte.
Die Linke rechnet ihren aktuellen Partnern in der rot-grün-roten Koalition vor, wie die Bildungsausgaben steigen müssen, um an das Niveau von Hamburg und Berlin heranzukommen.
Das bedeutet, mindestens 2.000 Euro pro Jahr pro Schüler mehr auszugeben. Im Bremer Bildungsetat fehlen also insgesamt 180 bis 200 Millionen Euro.
Miriam Strunge, die Linke
Grund zwei: Zu wenig Fachkräfte ausgebildet
Die Zahl der Geburten in Bremen ist in den vergangenen zehn Jahren um etwa 25 Prozent gestiegen. Zusätzlich hat die Migration aus Europa und anderen Ländern viele Kinder nach Bremen gebracht. Gleichzeitig gehen viele Lehrkräfte aus den Babyboomer-Jahren in Rente. Eine Entwicklung vor der die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) schon vor vielen Jahre gewarnt hatte.
Zusammen mit dem Bildungsforscher Klaus Klemm veröffentlichte die GEW im Jahr 2009 eine Studie, mit dem Hinweis: "Den Bundesländern gehen die Lehrer aus". 14 Jahre später kommt die Kultusministerkonferenz und ihre "Ständige Wissenschaftliche Kommission" dann auch zum gleichen Schluss, anhand eines weiteren Gutachtens zum inzwischen dramatischen Lehrkräftemangel.
Nun suchen Bund und Länder händeringend nach Lösungen, um den Fachkräftemangel an den Schulen irgendwie aufzufangen. Elke Suhr, GEW: "Es ist ganz klar, die Fehler liegen in der Vergangenheit. Trotz anderslautenden Prognosen wurde nicht reagiert. Nicht nur in Bremen nicht, sondern bundesweit."
Die Folge: Der Elefant im Klassenzimmer
Angelika Hanauer ist seit vielen Jahren Lehrerin in Bremen. Im Bremer Bildungsmagazin der GEW hat sie vergangenes Jahr ihren Frust über den Geld- und Personalmangel an den Schulen freien Lauf gelassen. Sie schreibt von einem Elefanten in Bremens Klassenzimmern. Der stehe dort schon seit vielen Jahren, habe inzwischen gigantische Ausmaße angenommen und trompete ohrenbetäubend, aber dennoch ungehört seine Botschaft:
Unsere Kinder und Jugendlichen werden im Großen und Ganzen immer leistungsschwächer, und zwar drastisch.
Angelika Hanauer
Vielen Kindern fehle es schon zum Schulanfang an grundlegenden Fähigkeiten, und das ziehe sich dann durch alle Schulformen, bilanziert Hanauer die Bremer Bildungspolitik der vergangenen Jahre. Die Maßnahmen, die dagegen ergriffen wurden, seien in etwa wie der Versuch, eine der maroden Weserbrücken mit einer Rolle Klebeband zu sanieren.
Stellschraube eins: Mehr Geld für Bildung
Das SPD geführte Bildungsressort hat inzwischen eine "Task Force" gegründet, um den akuten Lehrkräftemangel zu beheben. Und Aulepp gibt dem neuen Senat für die Zeit nach der Wahl im Mai schon mal Hausaufgaben auf: "Wir brauchen auch weiterhin eine Steigerung der finanziellen Ausstattung für gute Bildung im Interesse unserer Kinder."
Die Vereinigung der Schulleitungen in Bremen fordert, mehr in die Sprachförderung in Kita, Grundschule und an den weiterführenden Schulen zu investieren. Dabei gehe es nicht nur darum, Rechtschreibung und Grammatik zu üben, sagt Sprecher Achim Kaschub. Es fehle auch vielen Schülern die Fähigkeit, sich gut ausdrücken zu können.
Stellschraube zwei: Neue Ideen für Schule
Der Personalrat Schulen will den Arbeitseinsatz der Lehrkräfte verändern. Das soziale und familiäre Umfeld der Kinder und die Lernbedingungen an den Schulen seien deutlich vielschichtiger geworden. Alle, die in der Schule mit den Kindern arbeiten, brauchen mehr Zeit außerhalb der Unterrichtszeiten, um sich stärker absprechen können, fordert Personalratsvorsitzender Jörn Lütjens.
Familienfreundlichere Arbeitsbedingungen fordert Anke Wuthe, Frauenbeauftragte der Bremer Schulen. Die Teilzeitrate unter den Lehrkräften in Bremen ist ungewöhnlich hoch. Mehr als jede zweite Lehrkraft hat ihre Arbeitszeit reduziert. Kurzfristig angesetzte Besprechungen und Konferenzen oder plötzliche Vertretungen sind häufig mit Kitazeiten oder der Pflege von Angehörigen nicht vereinbar.
Die FDP möchte Schule ganz neu denken. Der Fokus in den Schulen läge zu stark auf Faktenwissen, kritisiert die bildungspolitische Sprecherin, Birgit Bergmann. Kinder sollten vielmehr lernen, sozial-emotionale Fähigkeiten und kritisches Denken zu entwickeln. Selbstbestimmtes Lernen, mit einer Lehrkraft an der Seite, die eigentlich nur noch auftaucht, wenn es Probleme gibt, so sieht sie die Schule der Zukunft.
Vorbild hierfür ist für die FDP-Politikerin die Alemannenschule in Wutöschingen in Baden-Württemberg. Eine Schule, die wegen ihrer innovativen Lernmethoden viel Aufmerksamkeit bekommt.
Lassen Sie uns über Bildung reden!
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 24. April 2023, 19:30 Uhr