Interview
Werder-Profi Schmidt über seine Depression: "Es war kurz vor zwölf"
Niklas Schmidt hat öffentlich gemacht, dass er unter psychischen Problemen leidet. Im Sportblitz-Interview erzählt er, wie er mit der Krankheit lebt und was ihm hilft.
Wenn Niklas Schmidt auf dem Fußball-Platz steht, dann scheint die Welt in Ordnung. Doch der Eindruck täuscht. Der 25-Jährige leidet an Depressionen, sprach während Werders Trainingslager im Januar erstmals öffentlich darüber.
Dass etwas nicht stimmt, merkte Schmidt erst, als sein Umfeld im vergangenen Herbst immer wieder Sorge äußerte, weil er sich stetig mehr zurückzog. "Ich hatte keine Lebensfreude mehr", sagt er im Gespräch mit dem Sportblitz und will dafür werben, die Krankheit als Krankheit zu sehen und das Thema offener anzugehen: "Ich möchte den Leuten mitgeben, dass es keine Schande ist und dass man damit gut leben kann."
Niklas Schmidt, nach dem Sieg gegen Bochum hatte die Mannschaft zwei Tage Pause. Haben Sie sie genossen?
Es war schön, die Zeit habe ich Zuhause gut genutzt und entspannt. Ich habe gar nicht so viel Fußball geschaut. Das Wetter hat auch gepasst, ich war viel draußen, spazierengehen mit meiner Freundin. Dann war ich noch ein bisschen joggen, um den Kopf frei zu kriegen. Jetzt bin ich wieder frisch.
Haben Sie Ihr Tor zum 2:0 nochmal angeschaut?
Ja, in den Moment ist man ja voller Adrenalin und bekommt das gar nicht so richtig mit. Aber wenn man es sich nochmal im Fernsehen anschaut, ist das pure Freude und das war schon cool, dass das ganze Stadion aufgestanden ist.
Wenn man Sie als Zuschauer auf dem Spielfeld erlebt, käme man gar nicht auf die Idee, dass Sie erkrankt sind. Sie leiden an Depressionen, haben das im Januar auch ganz bewusst öffentlich gemacht. Wie geht es Ihnen jetzt?
Es geht mir wesentlich besser, als noch vor einem halben Jahr. Aber es ist schwierig, weil es so dynamisch ist. Es sind unglaubliche Stimmungsschwankungen, die man hat. Jeder Tag ist anders. Da bin ich mit meinem Psychologen in engem Austausch, das hilft mir sehr. Wir treffen uns einmal in der Woche und rollen gerade die Kindheit auf.
Manches hat sich aufgestaut, vieles, was man erlebt hat, kommt zusammen. Von was genau es kommt, ist aber schwer zu sagen. Das Sprechen ist im Moment für mich das Wichtigste. Ich bin auf einem guten Weg, aber ich brauche einfach noch Zeit.
Wann haben Sie gemerkt, dass etwas nicht stimmt?
Als mein Umfeld mir sagte, dass ich mich verändert hätte und mich viel zurückziehen würde und viel allein sein will. In dem Moment wollte ich das als Betroffener gar nicht hören. Ich dachte mir: 'Die erzählen nur Quatsch.' Aber wenn das immer wieder kommt und auch meine Mutter nach einem Besuch merkt, dass etwas ist, dann denkt man: 'Okay, ich muss jetzt etwas machen.' Die Lebensfreude war nicht mehr da. Und deshalb musste ich mir Hilfe suchen und schnell handeln. Es war kurz vor zwölf.
Was haben Sie gemacht?
Es war in der Woche vor dem Freiburg-Spiel, Mitte Oktober, als ich nicht im Kader war. Davor ging es richtig los, ich hatte auch einen kleinen Ausbruch. Da wurde alles zu viel. Da hat der Kopf gesagt: 'Guck' jetzt auf dich, erhol' dich und sprich mit jemandem darüber.' Bis zu dem Zeitpunkt wussten es nur meine Familie und meine Freundin. Dann habe ich das Gespräch mit Ole Werner und den Verantwortlichen im Verein gesucht. Ich habe einen tollen Trainer, der mir zugehört und mich verstanden hat. Das hat mir sehr geholfen, ich habe mich direkt sehr gut aufgehoben gefühlt.
Wie konnten Sie so lange Ihr Profidasein aufrecht erhalten?
Es ist mir gar nicht so schwer gefallen. Wenn ich auf dem Platz bin, fühle ich mich unheimlich wohl und habe Spaß. Da konnte ich alles andere komplett ausblenden. Das Problem war dann, dass es mir privat irgendwann nicht mehr gut ging. Ich konnte nicht mehr abschalten, habe mir über jede Kleinigkeit Gedanken gemacht. Und das hat mich runtergezogen. Es war unglaublich schwer, ich war nie richtig frei im Kopf. Es fühlte sich an wie ein Vulkan, der ausbrechen will, aber nicht ausbrechen kann. Irgendwann ist es dann passiert.
Hatten Sie mal in Erwägung gezogen, Ihre Profi-Karriere deswegen abzubrechen?
Ganz ehrlich: ja. Man kommt schon ins Zweifeln. Wenn man in einer Depression ist, hinterfragt man alles. Denkt über jede Kleinigkeit nach. Abrupt die Karriere zu beenden, der Impuls war nicht da. Aber die Überlegungen waren da, es zu tun. Ich habe dann mit Leuten gesprochen, die ehrlich zu mir waren und mir nicht nur gesagt haben, was ich hören wollte.
Warum sind Sie ganz bewusst an die Öffentlichkeit gegangen?
Es ist ein extrem schwieriges Thema, auch für mich. Das ist komplettes Neuland. Man will heutzutage ja gerne stark rüberkommen und so tun, als pralle alles an einem ab. Aber das ist nicht so. Fußballer sind auch Menschen, mit Fehlern und Schwächen. Manche haben einen harten Kern, aber ich hatte in dem Moment einen weichen Kern und das ist auch völlig in Ordnung. Ich fühle mich wohl dabei, es auszusprechen. Und deshalb habe ich das auch getan.
Ist es Ihnen trotzdem schwer gefallen?
Reden hilft immer. Ich war mein Leben lang aber kein Typ, der viel spricht und auf Leute zugeht. Da musste ich mich schon neu erfinden. Jetzt versuche ich, wenn ich etwas auf dem Herzen habe, auf die Leute zuzugehen und mit ihnen zu sprechen.
Auch mit Ihren Teamkollegen bei Werder?
Die Jungs in der Mannschaft haben ein gutes Gespür dafür, wenn ich keinen so guten Tag habe. Aber sie behandeln mich auch nicht anders. Und wenn ich einen Fehler auf dem Platz mache, können sie mich ruhig anschreien, das ist völlig in Ordnung. Aber sie sind offen für das Thema, das hilft mir sehr. Sprechen ist das Einzige, das wirklich hilft. Und wir können auch über Dinge reden, die mal unangenehm sind.
Sie haben sehr gutes Feedback auf Ihre Aussagen bekommen. War die Sorge da, auch auf Unverständnis zu stoßen?
Ich glaube, in dem Moment denkt man gar nicht daran, was die Leute denken werden. Wenn es negativ ausgelegt worden wäre, wäre es mir in dem Fall aber egal gewesen, weil es einfach raus musste. Das war für mich, meine Familie und mein engeres Umfeld und natürlich auch meine Mannschaft das Beste. So konnten sie alle darauf reagieren, sie wussten alle Bescheid. Aber ich war froh, dass da sehr gutes Feedback kam und ich auf offene Ohren gestoßen bin. Und dafür kann ich nur danke sagen.
Es ist ja alles noch recht frisch für Sie, trotzdem wirken Sie schon sehr reflektiert. Täuscht der Eindruck?
Es geht in die richtige Richtung und ich fühle mich wesentlich besser. Dass ich es oft ausgesprochen habe, hat mir den Kopf nochmal freier gemacht. Ich mache da kein Geheimnis draus, weil es ein sehr wichtiges Thema ist. Es ist eine Krankheit – und als die sollte man es auch sehen. Besonders, weil aus Depressionen viel entstehen kann. Leider auch viel Unglück, wenn man sich selbst etwas antut. Und wir sollten offener für das Thema sein.
Ich möchte den Leuten mitgeben, dass es keine Schande ist und dass man damit gut leben kann. Auch wenn man ab und zu denkt, dass es nicht weitergeht oder man sich fragt: 'Warum wird es nicht besser?' Ich fühle mich extrem wohl in den Händen, in denen ich bin und vertraue ihnen. Und ich hoffe, ich kann es irgendwann zu 100 Prozent hinter mir lassen und nur noch nach vorne schauen.
Sie sind gerade 25 Jahre alt geworden. Was wünschen Sie sich?
Gesundheit. Hundertprozentige Gesundheit für mich und alle, die mir nahe stehen. Der Rest wird kommen und ich bin sehr gespannt darauf, was noch kommt.
(Das Gespräch führte Stephan Schiffner, aufgezeichnet von Petra Philippsen.)
Dieses Thema im Programm: Sportblitz, 1. März 2023, 18:06 Uhr