Fragen & Antworten

Zu viele Autos: Setzt der Bremer Senat die Verkehrswende aufs Spiel?

Hohes Verkehrsaufkommen auf der B75 Richtung Bremen
Die B75 ist eine am meisten befahrenen Straßen Bremens. Hätten Berufspendler bessere Alternativen zum Auto, sähe es dort anders aus, sagen Kritiker der Bremer Verkehrspolitik. Bild: dpa | Sina Schuldt

Immer mehr Autos und wenig Fortschritte beim ÖPNV: Die Verkehrswende im Land Bremen liegt laut Experten in weiter Ferne. Insbesondere die SPD steht deshalb in der Kritik.

Nicht lang ist es her, da gehörte die Verkehrswende zu den wichtigsten Zielen des Bremer Senats. Doch diese Zeiten sind offenbar vorbei, das zumindest sagen Kritiker. "Zurzeit wird die Wende gewendet", findet Steffen Breyer vom Bremer Bündnis Verkehrswende. Beispielhaft verweist er auf das aufgesetzte Parken. Das werde in Bremen weiterhin in aller Regel geduldet, obwohl die Behörden spätestens seit dem Gehweg-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts im Juni konsequenter dagegen vorgehen müssten. "Bremen unternimmt generell viel zu wenig gegen die vielen Autos in der Stadt. Das liegt auch an dem Wechsel im Ressort", kommentiert Breyer den aus seiner Sicht nachlässigen Umgang Bremens mit dem Urteil.

Zur Erinnerung: Seit Amtsantritt des Senats im vorigen Jahr liegt das Bremer Verkehrsressort nicht mehr in den Händen der Grünen, sondern in jenen der SPD um Senatorin Özlem Ünsal. Von der rigiden Anti-Auto-Politik ihrer Vorgängerin Maike Schaefer (Grüne) hatte sich Ünsal (SPD) gleich zu Beginn ihrer Amtszeit distanziert – und erntet dafür nun vermehrt Kritik. So fordert nicht nur das Bremer Bündnis Verkehrswende, sondern auch der Fahrgastverband Pro Bahn vom Bremer Senat mehr Tempo beim Umbau der Verkehrsinfrastruktur. Das Bremer Mobilitätsressort dagegen zeigt sich mit der eigenen Arbeit sehr zufrieden.

Was unternimmt das Ressort, um die Verkehrswende zu schaffen?

Das Ressort setze unter anderem auf "das positive Fahrradklima in Bremen, das die Stadt als Fahrradstadt auszeichnet", sagt Pressesprecher Yannoh Mügge. Dieses Fahrradklima ermögliche es dem Senat, mit breitem politischen Konsens Maßnahmen zur Verbesserung des Radverkehrs zu beschließen und umzusetzen. So arbeite man gemeinsam mit Niedersachsen an einem regionalen Radpremiumnetz. Innerhalb Bremens erweitere das Ressort das Haupt- und Nebenroutennetz für Fahrräder.

Gleichzeitig versuche das Ressort, ein leistungsfähiges Angebot im öffentlichen Nahverkehr bereitzuhalten. "Dies ist eine kontinuierliche Aufgabe, die entscheidend dafür ist, Autofahrer zum Umstieg auf den ÖPNV zu bewegen", sagt Mügge. Zudem plane das Verkehrsressort, das Angebot im Straßenbahnnetz zu erweitern. "Im Fokus stehen hierbei neue Querverbindungen, Expresslinien, die Anbindung von Gewerbegebieten und Quartierslinien sowie Taktverdichtungen." Er räumt allerdings auch ein, dass der finanzielle Spielraum Bremens derzeit sehr begrenzt ist. "Wir bereiten uns bereits auf zukünftige Entwicklungen vor, in denen sich die finanzielle Situation verbessern könnte."

Wie beurteilen Verkehrsverbände Bremens Fortschritte auf dem Weg zur Verkehrswende?

Das Bremer Bündnis Verkehrswende sieht derzeit "mehr Rückschritte als Fortschritte in Bremen beim geplanten Umbruch in der Verkehrspolitik", sagt Bündnissprecher Steffen Breyer. Das Bündnis setzt sich aus einer Reihe verkehrspolitisch aktiver Verbände und Initiativen zusammen, dazu zählen etwa der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) Bremen, der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC) Bremen, Fuß e. V. oder auch der Verkehrsclub Deutschland (VCD) Bremen.

Aus Sicht des Bündnissprechers sind im Land Bremen zu viele Autos unterwegs, um die Verkehrswende zu schaffen. Die Verantwortung für die aus seiner Sicht rückständige Bremer Verkehrspolitik sieht Breyer bei den Sozialdemokraten: "Die SPD hat kein ernsthaftes Interesse an der Verkehrswende", sagt er. Das zeige sich etwa daran, dass die Partei bereits geplante und beschlossene Projekte wie die Fahrradpremiumrouten zwar weiter verfolge, aber nichts Neues in dieser Art entwickele. Gleichzeitig habe sich das Verkehrsressort unter der SPD von der Idee der autofreien Innenstadt verabschiedet und unternehme zudem zu wenig gegen das aufgesetzte Parken. Das Mobilitätsressort selbst spricht inzwischen von dem Ziel, keine autofreie, sondern eine weitgehend "autoarme Innenstadt" erreichen zu wollen.

Wie viele Autos sind in Bremen zugelassen?

Nach Angaben des Statistischen Landesamts waren in Bremen zu Beginn dieses Jahres etwa 300.700 Autos unterwegs – und damit fast 25.000 mehr als vor zehn Jahren. Auch die Zahl der Neuzulassungen von Pkw in Bremen ist zuletzt gestiegen, wie die Grafik zeigt. Die Fahrgastzahlen im ÖPNV Bremens und Bremerhavens sind seit 2014 dagegen eher gesunken. Dazu muss man allerdings wissen: Der Vergleich der heutigen Zahlen mit denen von vor zehn Jahren ist problematisch: Zum einen berücksichtigen die regional auf Bremen und Bremerhaven bezogenen Zahlen des VBN nicht das 2023 eingeführte Deutschland-Ticket, das viele Fahrgäste nutzen. Zum anderen hatte die Corona-Pandemie dem ÖPNV 2020 einen mehrjährigen Einbruch bei den Fahrgastzahlen beschert (siehe Grafik).

Pkw-Neuzulassungen im Land Bremen im Zeitverlauf

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So viele Fahrgäste nutzen im Land Bremen Bus und Bahn

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Wie schätzt der Fahrgastverband Pro Bahn die Lage im ÖPNV in Bremen ein?

Ingo Franßen aus dem Vorstand des Pro Bahn Landesverbands Niedersachsen/Bremen stellt Bremen ein bescheidenes Zeugnis aus. "Wir bräuchten eine dichtere Taktung im Streckennetz der Regio-S-Bahn und bei der Bremer Straßenbahn." Das betreffe zumindest die Stoßzeiten. Darüber hinaus bemängelt er, dass in Bremen zwar viel in der Mache sei, die Umsetzung aber auf sich warten lasse. Er denkt dabei etwa an den Bau der Regionalbahn-Station Uni/Achterdiek oder an die schon lange geplante Station an der Föhrenstraße in Bremen-Sebaldsbrück. "Das dümpelt so vor sich hin", sagt Franßen.

Die Haltestelle Domsheide mit mehreren Straßenbahnen und Autos im Bild.
Seit vielen Jahren möchte Bremens Politik die Domsheide neu gestalten. Geschehen ist bislang jedoch wenig. "Typisch Bremen", sagen dazu Kritiker der Bremer Verkehrspolitik. Bild: Radio Bremen

Ebenfalls viel zu lang braucht das Land Bremen aus Franßens Sicht beim barrierefreien Ausbau der Straßenbahnhaltestellen. Als barrierefrei gelten Haltestellen, von denen aus man mit einem Rollstuhl in den Bus oder in die Bahn rollen kann, ohne eine Schwelle oder Stufen überwinden zu müssen. Schließlich mahnt Franßen mehr Tempo beim Ausbau verschiedener Strecken an, beispielsweise für eine Straßenbahnverbindung von Bremen nach Oyten.

Was müsste Bremen tun, um der Verkehrswende näher zu kommen?

Steffen Breyer vom Bremer Bündnis Verkehrswende und Ingo Franßen von Pro Bahn sind sich einig darin, dass es hierzu eines Bündels aus Maßnahmen bedürfe, die gleichzeitig greifen müssten. "Das ist eine Sache von Push und Pull", sagt Franßen. Auf der einen Seite müsse Bremen den Rad- und den Fußverkehr in der Stadt verbessern sowie den ÖPNV stärken. Ein erster Schritt hierbei könnten weitere Fahrkarten nach Vorbild des Deutschland-Tickets sein, also Fahrkarten, die über Verwaltungsgrenzen hinweg gültig seien.

Auf der anderen Seite dürfe die Politik nicht vor unpopulären Entscheidungen zurückschrecken: "Es darf nicht sein, dass Autos bei den Ampelschaltungen bevorzugt werden", erklärt er. Auch müsse der Parkraum in Bremen konsequenter bewirtschaftet werden. Schließlich müsste Bremen aus Franßens Sicht mehr Tempo-30-Zonen einführen. Bremen und Bremerhaven seien insgesamt zu autofreundlich. Für sie ist klar: "Je weniger Autos wir auf der Straße haben, desto flüssiger läuft der Verkehr."

Welche Alternativen gibt es in Bremen zum aufgesetzten Parken?

Bild: Radio Bremen

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Quelle: buten un binnen.

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 24. September 2024, 19.30 Uhr