Infografik

Wo liegen die Schwierigkeiten bei Bremens Verkehrswende?

Bremer Straßenbahn der BSAG fährt am Brill
Bremer nehmen seltener die Bahn oder den Bus, als Menschen in anderen deutschen Großstädten. Bild: Radio Bremen | Niklas Hons

Weniger Stau, Parkraum und Emissionen: Das sind Ziele der Verkehrswende. Doch was muss sich tun, damit der Nahverkehr zur Alternative zum Auto wird? Dafür schauen wir nach Grolland.

Im Süden von Grolland sind es nur wenige Meter bis zur Landesgrenze nach Niedersachsen. Wer die nächste Haltestelle "Norderländer Straße" von der eigenen Wohnung aus erreichen will, muss teilweise fast einen Kilometer zurücklegen. Zum Einkaufen im Roland-Center ist der Weg durch die Felder fast genauso lang, wie zur Straßenbahn-Haltestelle. Laut Ortsamtsleiter Christian Schlesselmann haben sich Anwohnerinnen und Anwohner deswegen auch schon beschwert. Passiert ist bisher nichts.

Orte in Bremen mit mehr als 600 Metern Entfernung zur nächsten Haltestelle

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Und das, obwohl das Problem schon länger bekannt ist: Im Verkehrsentwicklungsplan sind schon 2014 die Orte eingezeichnet worden, an denen Haltestellen dringend nötig wären, weil dort weder Bus noch Bahn fährt. Dabei ging das Verkehrsressort davon aus, dass hier genug Menschen leben, die den Nahverkehr nutzen könnten.

Die Siedlung im Süden Grollands ist damit nicht alleine: An insgesamt fünf Orten in Bremen gibt es Lücken im Nahverkehrsnetz, die bisher alle nicht mit geschlossen wurden.

Bisherige Ziele zu wenig für die Verkehrswende

600 Meter Entfernung zur nächsten Haltestelle sind die kritische Marke im Plan. Weiter sollte eine Haltestelle nicht von einer Siedlung oder einem Ziel entfernt sein. Laut Mobilitätsforscher Carsten-Wilm Müller von der Hochschule Bremen ist das schon deutlich zu viel. Man müsse sich dazu überlegen, wie man sich selbst bewege.

Wege von mehr als 300 Metern sind keine Laufdistanzen für eine Haltestelle im Alltag.

Der Vekehrsexperte Carsten Wilm Müller im buten un binnen Studio.
Carsten-Wilm Müller, Professor für Verkehrswesen an der Hochschule Bremen

Wer weiter als 300 Meter von der Haltestelle entfernt wohnt, gehe normalerweise nicht mehr zu Fuß zur Haltestelle. Ab 300 Metern Entfernung nutzen viele Menschen laut Müller lieber das Rad oder das Auto. "Das Problem dabei ist: Wenn ich mich erst mal für ein Verkehrsmittel entschieden habe, habe ich in der Regel keine Lust, zu wechseln." Die Menschen steuern also nicht die Haltestelle, sondern direkt ihr Ziel an – und vermeiden es, den Nahverkehr zu nutzen.

Mobilität in der Stadt Bremen: So werden die Wege zurückgelegt

Mobilität in der Stadt Bremen Quelle: Mobilität in Städten – SrV 25% 25% 25% 25% 23% 25% 13% 16% 15% 38% 36% 36% Z u F F ahr r ad Öf f entliche V er k ehrsmittel A u t o/- oder Mitfah r er*innen 2008 2013 2018 Alle W ege
Bild: Radio Bremen

Das zeigt sich auch in Zahlen, wenn man sieht, wie selten Bremerinnen und Bremer Bus und Bahn im Verhältnis nutzen. Fast 40 Prozent aller Wege in Bremen werden mit dem Auto zurückgelegt. Verkehrsexperte Müller geht davon aus, dass die Menschen gerade in den Bremer Außenbezirken noch häufiger mit dem Auto fahren.

Für ein Viertel ihrer Wege nutzen die Bremer das Rad – und nur für 15 Prozent der Wege den Bus oder die Bahn. Der Nahverkehr wird damit deutlich seltener genutzt als in anderen deutschen Städten ähnlicher Größenordnung, wie zum Beispiel Nürnberg, Stuttgart oder Mainz.

Der Autoanteil in Bremen ist zu hoch. Da muss mir mehr einfallen, als die 600 Meter Abstand.

Der Vekehrsexperte Carsten Wilm Müller im buten un binnen Studio.
Carsten-Wilm Müller, Professor für Verkehrswesen an der Hochschule Bremen

Sammeltaxis könnten Randbezirke besser anbinden

Ein Fahrzeug des VW-Fahrdienstes Moia fährt auf einer Straße.
Der private Fahrdienstleister Moia soll den öffentlichen Nahverkehr in Hamburg unterstützen (Symbolbild). Bild: dpa | Daniel Reinhardt

In Hamburg werden bisher knapp 23 Prozent der Wege mit Bus und Bahn zurückgelegt. Bis 2030 soll der Anteil auf 30 Prozent steigen. Das will die Stadt schaffen, indem alle den Nahverkehr unkompliziert nutzen können: Alle Hamburgerinnen und Hamburger sollen dann rund um die Uhr innerhalb von fünf Minuten zur nächsten Haltestelle kommen und einsteigen können, so lautet das Ziel unter dem Namen "Hamburg-Takt". Das Sammeltaxi ist dabei ein Mittel, um schlechter erschlossene Quartiere besser zu erschließen. So könnten Menschen bequem zur nächsten Haltestelle gebracht werden. 

Auch Verkehrsexperte Carsten-Wilm Müller kann sich den Einsatz von Sammeltaxi vorstellen. Allerdings nicht überall: "Ich glaube, dass es gerade dort funktioniert, wo es keinen irrsinnigen Ansturm gibt." Der Nachteil liegt auf der Hand: "Sammeltaxis haben eine relativ niedrige Kapazitätsgrenze." Die Massen können damit also nicht transportiert werden. Besonders in den Randbereichen, wie zum Beispiel Grolland könnte das Sammeltaxi laut Müller aber eine sinnvolle Ergänzung sein.

Auch im Verkehrsressort gibt es einen Plan, die Angebotslücken zum Beispiel in Grolland mit sogenannten Quartiers-Shuttlen zu schließen. Allerdings steht dieser Plan noch am Anfang. Bisher gebe es laut der BSAG noch keinen konkreten Auftrag dazu.

Bessere Takte – der Schlüssel zur Verkehrswende?

Ein wichtiger Baustein, damit mehr Leute die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen und weniger auf das Auto zurückgreifen müssen, seien aber vor allem attraktive Takte. "Wenn ich nach Bremen Nord schaue: Dort gibt es mit der RS1 eine sehr gute Verbindung, die die Leute schnell in die Stadt bringt. Das Problem ist: In den Randzeiten fährt der Zug nur noch stündlich."

Früher hätten die Menschen einen Großteil ihrer Wege bestritten, um zur Arbeit zu kommen. "Inzwischen werden die meisten Wege im Freizeitverkehr zurückgelegt. Und wenn ich das im Hinterkopf habe, muss ich sagen: Ein gutes Angebot ist das nicht, was Bremen im Nahverkehr liefert.", sagt Carsten-Wilm Müller.

"Wenn ich möchte, dass mehr Menschen den Nahverkehr nutzen, dann muss ich sie mit etwas Positivem überzeugen", deshalb fordert der Verkehrsexperte: "Es muss sich für alle lohnen und die Zeit, um von A nach B zu kommen, sollte sich im Rahmen halten."

Für ihn bedeutet das: In Bremen müsste auf allen Linien mindestens jede Viertelstunde ein Bus oder eine Bahn kommen.

Ein guter Takt im Nahverkehr wäre ein Viertelstundentakt, mindestens bis Mitternacht, besser noch bis um 2 Uhr nachts und dann wieder ab 6 Uhr morgens.

Der Vekehrsexperte Carsten Wilm Müller im buten un binnen Studio.
Carsten-Wilm Müller, Professor für Verkehrswesen an der Hochschule Bremen

Wer abends auf einer Geburtstagsfeier am anderen Ende der Stadt eingeladen sei und nicht genau wisse, wann es nach Hause geht, suche sich heute lieber ein Verkehrsmittel, das möglichst unabhängig ist. "Bei den aktuellen Takten organisieren die Meisten das lieber vorher und möchten sich besser nicht auf den Nahverkehr verlassen."

Personalmangel steht Ausbau im Nahverkehr im Weg

Doch wie realistisch ist es, den Takt in der aktuellen Situation auszubauen – oder das BSAG-Netz mit neuen Linien zu ergänzen? Bisher sieht es da in Bremen eher schwierig aus: Die BSAG hat seit Anfang des Jahres ihren Takt an manchen Linien ausgedünnt – und ist bisher noch nicht wieder zum normalen Fahrplan zurückgekehrt. Grund dafür sei laut der BSAG die Personalknappheit – einerseits aufgrund eines hohen Krankenstands.

Doch auch ohne den Krankenstand ist es offenbar schwer genug, neue Fahrerinnen und Fahrer zu finden, die ihre Ausbildung bei der BSAG machen und dort langfristig bleiben. Dazu würden viele Fahrerinnen und Fahrer aktuell in den Ruhestand gehen, sagt BSAG-Sprecher Andreas Holling. "Andere Bus-Betriebe suchen auch – und die Auszubildenden müssen erst einmal qualifiziert werden", sagt der BSAG-Sprecher. Wichtig sei, dass der Fahrplan für die Fahrgäste zunächst zuverlässig eingehalten werden könne.

Wer die Verkehrswende will, der muss sie auch fahren können.

Andreas Holling, Pressesprecher der BSAG, im Interview.
Andreas Holling, BSAG-Sprecher

Wenn die Verkehrswende gelingen soll und mehr Menschen den Nahverkehr nutzen sollen, muss er attraktiver werden, wie Verkehrsexperte Carsten Wilm-Müller sagt. Damit das klappt, müssen aber erst mal praktische Fragen gelöst werden. Auf den künftigen Senat kommt bei dem Thema offenbar eine Menge Arbeit zu.

BSAG dünnt Fahrplan aus: Das kommt auf Bremerinnen und Bremer zu

Bild: Radio Bremen

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Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 13. April 2023, 19:30 Uhr