Interview
Politik-Experte: Wagenknecht-Partei könnte sich in Bremen etablieren
Sahra Wagenknecht verlässt die Linke und gründet offenbar eine eigene Partei. Was das für die Bremer Linke und die Bundespolitik bedeutet, ordnet ein Politikwissenschaftler ein.
Über Monate wurde spekuliert, nun gibt es Klarheit: Nach anhaltenden Querelen in der Partei tritt Sahra Wagenknecht bei den Linken aus. Stattdessen will sie eine neue Partei gründen, wie sie am Montag auf einer Pressekonferenz bestätigte. Allein ist sie dabei nicht, denn gleich neun Abgeordnete aus der Bundestagsfraktion der Linken begleiten Wagenknecht auf diesem Weg.
Im Interview mit buten un binnen spricht der Bremer Politikwissenschaftler Andreas Klee darüber, welche Wähler Wagenknecht für sich mobilisieren könnte und welche Folgen ihre neue Partei für die Linken in der Bundespolitik sowie für den Bremer Landesverband der Linken haben könnte.
Herr Klee, Sahra Wagenknecht hat die Gründung des Vereins "Bündnis Sarah Wagenknecht" verkündet. Aus diesem soll bald eine Partei entstehen. Kommt der Schritt für Sie noch überraschend?
Nein, das war absehbar. Sie hat schon seit einigen Monaten damit kokettiert und es immer wieder angetestet. Wesentlich war, dass sie nun eine Gruppe an Mitstreitern gewinnen konnte. Es sind einige bekannte Namen aus der Linken dabei. Sonst hätte immer gesagt werden können, dass Frau Wagenknecht sich eben mit den handelnden Personen zerworfen hat und nun einen Ego-Trip einlegt.
Mit Wagenknecht haben neun weitere Abgeordnete ihren Rückzug aus der Linken angekündigt, sodass diese den Status als Fraktion verlieren wird. Die Wahlergebnisse waren schon zuvor auf Bundes- und Landesebene meist schlecht. Droht der Linken spätestens 2025 das bundespolitische Aus?
Für die Linke ist es eine dramatische Situation. Die Wahlergebnisse waren ein Grund für den Start dieser neuen Initiative. Im Vorfeld ist es nicht gelungen, sich gemeinsam auf einen neuen Kurs zu einigen. Wagenknecht war das Gesicht der Linken. Nun macht sie klar, dass sie es der Partei nicht mehr zutraut, das Ruder rumzureißen. Eine Spaltung ist immer das Schlimmste, was einer Partei passieren kann.
Sofia Leonidakis und Maja Tegeler, Mitglieder der Linken in der Bremischen Bürgerschaft, haben deutliche Kritik an Wagenknecht geäußert. Welche Folgen könnte eine Wagenknecht-Partei für die Linke in Bremen haben?
In Bremen besitzt die Linke eine Sonderrolle. Diese hat sich zu einer fast unabhängigen Landespartei entwickelt. Die Distanzierung von der Bundespartei klappt gut. Hinter vorgehaltener Hand wird gesagt, dass in Bremen die Linke eigentlich die bessere SPD ist. Sie handelt nicht dogmatisch oder ideologisch, sondern pragmatisch und sehr kommunikativ. Organisatorisch wird es für die bremische Linke erstmal keine Konsequenzen geben. Falls die Linke sich zukünftig auf der Bundesebene marginalisiert, könnte es organisatorische Probleme geben. Ist eine Partei im Bundestag vertreten, fließt einfach mehr Geld. Davon profitieren auch die Landesverbände.
Bundesweit könnte es auch zu einer Spaltung der Partei kommen. Schließen Sie das bei der Linken in Bremen aus?
Ja, das kann ich ausschließen. Die Linke in Bremen ist in sich gefestigt. Die Partei ist erfolgreich, es funktioniert mit den Inhalten und den handelnden Personen. Vielleicht wird es einzelne im Landesverband geben, die sich nicht gehört fühlen. Das kann nie ausgeschlossen werden. In der Führung der Partei sehe ich aber keine Wackelkandidaten. Falls die Linke zukünftig total zerbröselt, wird es allerdings schwer, den bremischen Landesverband als gallisches Dorf aufrechtzuerhalten. Dann könnte sich vielleicht nochmal neu orientiert werden.
Könnte die neue Wagenknecht-Partei in Anbetracht der starken Linken vor Ort auch in Bremen erfolgreich werden?
Falls sich jetzt ein Hype um die Partei entwickelt, ist das nicht ausgeschlossen. Wagenknecht sieht das größte Potenzial bei den enttäuschten Wählern, die aus ihrer Sicht keine andere Wahl haben, als die AfD zu wählen. Sie zielt auf die Menschen ab, die eigentlich gar keine rechten Parteien, aber eben auch keine der etablierten Parteien mehr wählen wollen. In Bremen haben wir gesehen, dass es dafür Potenzial gibt. Zum Beispiel bei Volt, wenngleich die Inhalte hier nicht deckungsgleich sind. Ich kann mir vorstellen, dass die Partei hier eine ideologische Heimat findet.
Nach der Landtagswahl in Hessen ist die Linke nun in keinem westdeutschen Flächenland mehr im Parlament vertreten. Gute Ergebnisse fährt sie hingegen in den Stadtstaaten Bremen, Berlin und Hamburg ein. Warum läuft es dort so viel besser?
Die Ausgangslage in Stadtstaaten ist so, dass das linke Publikum ökonomisch besser gestellt ist. Davon profitieren auch die Grünen. Die Probleme der sozialen Ungleichheit sind hier auf andere Faktoren zurückzuführen. In den Städten ist die Erwerbslosigkeit ein großes Thema. Themen wie Mobilität spielen hier eine kleinere Rolle. Dabei tun die Linken und die Grünen sich auf dem Land schwer, Menschen für sich zu gewinnen. In der Vergangenheit hat die Linke auch immer stark von Menschen mit Migrationshintergrund profitiert. Vor allem in Bremen haben diese bisher immer gerne die Partei gewählt. Dazu kommt, dass wir in der Stadt keine katholische Landbevölkerung haben, die traditionell Mitte-rechts wählt.
Laut Meinungsforschungsinsitut "Insa" hat eine Wagenknecht-Partei im Osten ein Wählerpotenzial von 32 Prozent. Die nächsten Landtagswahlen finden 2024 in Sachsen, Thüringen und Brandenburg statt. Hat Wagenknecht einfach clever abgewartet, um 2025 mit ersten Erfolgen in den Bundestagswahlkampf zu ziehen?
Sie ist alles andere als eine Anfängerin im politischen Zirkus. Der Zeitpunkt ist sehr gut gewählt. Zum einen, weil die Europawahl im Juni 2024 ein Testballon sein kann. Danach kommen Wahlen, bei denen es ein klares Wählerpotenzial gibt. Zum anderen lief nun auch die Wahl in Hessen für die Linke ohne Erfolg ab. Deshalb kann glaubhaft das Narrativ erzählt werden, dass Wagenknecht eine linke Partie in der Bundesrepublik retten will.
Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz ist einst mit dem Ziel angetreten, die AfD zu halbieren. Das hat er bisher nicht geschafft. Nun möchte Wagenknecht Wähler von der AfD gewinnen. Könnte ihr das gelingen?
Bei der AfD ist deutlich zu erkennen, dass sie nicht wegen ihrer Inhalte gewählt wird. Sie wird gewählt, weil sie für viele Menschen die Alternative zu den anderen Parteien ist. Das ist ein großer Hebel, an dem angesetzt werden.
Wagenknecht kann den Unzufriedenen eine Alternative anbieten, die vor allem das Thema der sozialen Gerechtigkeit aufgreift. Sie hat sich zudem kritisch zur Migrationspolitik geäußert. Ihr gelingt es, dass sie die Reizthemen der AfD in einen anderen Kontext einbindet. Mit Blick auf ihre linken Positionen ist sie glaubwürdig. Aus meiner Sicht besitzt sie das Potenzial, um ihr Ziel zu erreichen. Viele Menschen im Osten könnten dankbar dafür sein, dass sie nun nicht mehr die AfD wählen müssen.
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 23. Oktober 2023, 19:30 Uhr