Interview
Lebensmittel für die Tonne? Wie Bremer Speiseabfälle vermeiden können
Die Deutschen werfen zu viel Nahrung weg. Pro Jahr sind es rund elf Millionen Tonnen. Liegt es an irreführenden Haltbarkeitsdaten? Nein, sagt ein Bremer Lebensmittel-Kontrolleur.
Rund elf Millionen Tonnen Lebensmittel werfen die Deutschen Jahr für Jahr in den Müll, einen erheblichen Teil davon wohl nur deshalb, weil das Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist. Vieles, was weggeworfen wird, ließe sich aber noch bedenkenlos verwerten.
Auch deshalb setzen sich gerade die Bundesminister Marco Buschmann (FDP) und Cem Özdemir (Grüne) dafür ein, dass das so genannte "Containern", also das Retten von Lebensmitteln aus dem Abfall, nicht mehr grundsätzlich strafrechtlich verfolgt werden müsse. buten un binnen hat mit Hans-Peter Pudollek, dem Leiter der Lebensmittelüberwachung im Land Bremen, über Lebensmittelverschwendung, über die Kennzeichnung von Lebensmitteln und über das Containern gesprochen.
In Deutschland ist eine neue Debatte um die Frage entbrannt, ob man das Containern, also das "Retten" von Lebensmitteln aus Abfallbehältern, beispielsweise von Supermärkten, grundsätzlich erlauben sollte. Worin sehen Sie unter lebensmittelhygienischen Aspekten die größten Risiken beim Containern?
Fangen wir andersherum an: Wenn Lebensmittel aus dem Handel weggeworfen werden, dann steht dahinter die Entscheidung eines Händlers, die auch mit Haftungsfragen hinsichtlich der Einhaltung der Anforderungen zur Lebensmittelsicherheit zu tun hat. Es kann aber sein, dass die Produkte, um die es geht, noch genießbar sind.
Die Entscheidung beim Containern darüber, was von diesen weggeworfenen Erzeugnissen noch verwertbar ist, liegt bei den Menschen, die sie sich aus diesen Behältern holen. Das setzt schon eine gewisse Erfahrung im Umgang mit Lebensmitteln voraus, über die aber viele Leute durchaus verfügen. Daher möchte ich auch nicht ausschließlich von Risiken im Zusammenhang mit Containern sprechen. Ich habe noch nicht gehört, dass da etwas nicht geklappt hätte. Man darf den Leuten, die das machen, durchaus zutrauen, dass sie wissen, was sie tun. Ich sehe keinen Anlass dazu, da irgendwas behördlich zu regeln. Das wäre aus meiner Sicht lebensmittelrechtlich auch nicht möglich.
Trotzdem stellt sich die Frage, ob man nicht auf elegantere Weise verhindern könnte, dass Jahr für Jahr mehrere Millionen Tonnen an Lebensmitteln in Deutschland weggeworfen werden. Ist es etwa wirklich sinnvoll, auf alle Lebensmittelverpackungen ein Verfallsdatum zu drucken?
Das Lebensmittelkennzeichnungsrecht schreibt das vor. Die Lebensmittelunternehmen müssen eine Verantwortung für die Lebensmittel übernehmen, die sie in Umlauf bringen. Sie müssen dafür gewisse Garantien abgeben. Dazu dienen die Aufdrucke mit dem Haltbarkeits- oder Verbrauchsdatum. Das sind wichtige Verbraucherinformationen. Denn ohne diese Aufdrucke wüsste der Verbraucher gar nicht, woran er ist.
Es gibt zwei Kategorien: zum einen das Verbrauchsdatum, das zeigt, bis wann man ein Produkt unter welchen Lagerbedingungen verbrauchen sollte, da es nur begrenzt haltbar ist. Bei den Lagerbedingungen geht es in der Regel um Lagerung bei Kühlschranktemperaturen oder im Froster und darum, dass die Verpackung ungeöffnet sein muss.
Die andere Kategorie ist das Mindesthaltbarkeitsdatum. Da geht es meist um Fristen, die durchaus auch Monate oder Jahre betreffen können, wenn man etwa an Vollkonserven denkt. Diese Lebensmittel dahingehend zu überprüfen, ob sie noch genussfähig sind oder nicht – das kann der Verbraucher auch selbst machen. Das lässt eine längere Nutzung dieser Lebensmittel zu.
Bei welchen Lebensmitteln sollte man das Mindesthaltbarkeitsdatum tatsächlich als Maßstab ansehen, bei welchen kann man es eher ignorieren?
Ignorieren sollte man es nie. Aber natürlich gibt es Lebensmittel, die klassischer Weise lange haltbar sind. Dazu gehören etwa Nudeln, Reis, Mehl oder Zucker. Wenn der Lebensmittelunternehmer aus seiner Verantwortung heraus entscheidet, dass die Haltbarkeit einzuschränken ist oder nur unter bestimmten Bedingungen gilt, etwa bei Lagerung im Kühlschrank, dann sollte man das ernst nehmen.
Trotzdem kann man natürlich den Joghurt eigenverantwortlich aus dem Kühlschrank holen und selbst entscheiden, ob er noch genießbar ist. Aber die Verantwortung des Lebensmittelunternehmers endet an der Stelle. Und das muss auch so sein. Denn sonst wäre des Risiko des Herstellers zu groß.
Woran erkenne ich, ohne hinein zu beißen, ob Nahrungsmittel, sofern sie nicht schon verschimmelt aussehen oder streng riechen, noch gut sind? Haben Sie dafür einen besonderen Trick parat?
Nein, da gibt es leider keinen besonderen Trick. Es ist so, wie Sie es in Ihrer Frage beschrieben haben: Etwas, das sich augenscheinlich verändert hat, sollte man nicht verzehren. Aber es gibt eine Reihe von Apps, Foren und auch Beratungsangebote durch die Verbraucherzentrale, mit deren Hilfe man sich genauer über Lebensmittel informieren kann und letztlich auch an Kompetenz gewinnt, um sich im Zweifelsfall richtig zu entscheiden.
Was könnten Einzelhändler, was Privathaushalte außerdem unternehmen, damit nicht mehr so viele Lebensmittel in Deutschland weggeworfen werden?
Zunächst einmal: Meines Wissens landen heute bereits deutlich weniger Lebensmittel auf dem Müll als noch vor ein paar Jahren. Da hat sich eine Menge getan, das Bewusstsein in der Bevölkerung hat sich in diesem Punkt zum Positiven verändert. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sich noch mehr tun wird, wenn sich die Verbraucher weiter gut über Ihre Möglichkeiten informieren.
Davon abgesehen wird in den kommenden Jahren aber auch politisch noch einiges passieren. Lebensmittel werden bald besser gekennzeichnet werden, um den Verbrauchern ihre Kaufentscheidung zu erleichtern. Da geht es um weiterreichende Informationen zur Herkunft und zur Haltung. In anderen Ländern gibt es auch schon Vorstöße dahingehend, dass (man) auf Verpackungen dazu animiert wird, zu testen, ob ein Produkt noch genusstauglich ist. Die Diskussionen dazu aber stehen bei uns noch am Anfang.
Dass das Thema "Lebensmittelverschwendung" aber auch bei uns eine große Rolle in der Politik spielt, kann man gut auf der Seite des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft ablesen. Da finden sich viele aktuelle Informationen rund um Aktionen gegen die Lebensmittelverschwendung und für eine bessere Lebensmittelkennzeichnung. Verbrauchern empfehlen kann ich auch die App "Zu gut für die Tonne" der Bundesregierung. Die App hilft Verbrauchern mit Rezepten und Tipps zur Resteverwertung sowie zur Lagerung von Lebensmitteln.
Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, 17. Januar 2023, 7:10 Uhr