Kommentar
Der Fall Latzel: Wo der Rechtsstaat versagt
Der Volksverhetzungs-Prozess gegen den evangelikalen Pastor Olaf Latzel ist gegen eine Geldauflage eingestellt worden. Eine verpasste Chance, kritisiert Redakteur Jochen Grabler.
Wundert sich jemand? Das Bremer Landgericht hat kurzen Prozess gemacht mit Olaf Latzel – wobei "kurzer Prozess" nicht etwa "schnelles Urteil" bedeutet. Im Gegenteil! Kurzer Prozess heißt: Die Bremer Richter haben sich hastenichtgesehen durch die Tapetentür verpieselt. Und das bei der Vorgeschichte!
Seit wann bestimmt die Hasskultur die öffentliche Debatte?
Jochen Grabler
Erst spricht das Bremer Landgericht Latzel mit der bizarren Begründung frei, dass seine Hasstiraden irgendwie bibelkonform sind, dann kassiert das Oberlandesgericht diesen Freispruch und weist das Landgericht an, neu zu richten. Und was machen nun die Richter am Landgericht? Sie rollen nichts mehr neu auf. Sie korrigieren nicht ihre offenbar falschen Vorstellungen. Nein, sie stellen das Verfahren ein. Der evangelikale Pastor mit bekannt wenig ausgeprägter Affektkontrolle zahlt 5.000 Euro Geldbuße. Und das war’s. Kein Urteil.
Wenn man mal über den Bremer Tellerrand rausguckt: Was für eine verpasste Chance! Seit wann bestimmt die Hasskultur die öffentliche Debatte?
Der Schutz der Schwachen
2010 gab es die ersten Artikel zum Thema Shitstorm. Seitdem erleben wir, wie sich die Grenzen des Anstands auflösen, wie der Netzpöbel Opfer sucht und findet und schwer beschädigt zurücklässt. Seitdem erleben wir, wie Strafverfolgungsbehörden zwar in Einzelfällen ermitteln, wie Gerichte in Einzelfällen mal das tun, was das Recht leisten sollte: den Schutz der Schwachen.
Aber das sind so lächerlich wenige Ausnahmen, dass die hemmungslose Meute weitgehend ungestört weitermachen kann. Und auch weitermacht. Im rechtsfreien Raum können Hass und mehr Hass und noch mehr Hass wunderbar gedeihen. Passiert ja kaum was.
Der Rechtsstaat hat kläglich versagt
Die Bilanz all dessen: Hier hat der Rechtsstaat kläglich versagt. Mit schlimmen Folgen. Denn eines ist doch wohl hoffentlich klar: Wenn die Menschenwürde so entwertet wird, dann wackelt die Demokratie.
Wenn dann aber ein Pöbler – wie gerade Olaf Latzel – mal tatsächlich vor Gericht steht, wenn es die Gelegenheit gibt, gerichtlich eine Grenze für Latzel und seine Mitlatzels zu definieren, klar zu machen, dass man Menschen nicht als Dreck bezeichnen darf, als Verbrecher, die mit dem Teufel im Bund seien – dann stehlen sich die Richter aus dieser so eminent wichtigen gesellschaftlichen Verantwortung.
Wenn die Menschenwürde so entwertet wird, dann wackelt die Demokratie.
Jochen Grabler
Kein Prozess, dafür läppische Geldauflage
Übrig bleibt eine läppische Geldauflage. Das heißt, es gibt keinen Prozess, keine richterliche Feststellung, was denn nun erlaubt und was verboten ist. Keine Definition, wo die Grenzen des Sagbaren enden, weil sonst die Menschenwürde verletzt ist. Kein Urteil, also auch keine klaren Worte bei der Urteilsbegründung. Stattdessen: Dududu.
Und das ist angesichts der Giftmengen, die täglich öffentlich verspritzt werden, wieder mal nicht angemessen. Was für eine verpasste Chance! Und wie billig sich die Bremer Richter aus der Affäre gezogen haben! Aber wundert sich jemand? Ich nicht!
Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, 28. August 2024, Der Nachmittag, 17:38 Uhr