Interview

Einblick in Bremer Drogenszene: "Was wir denken, interessiert keinen"

Der Bremer Hauptbahnhof am Abend.
Die Drogenszene rund um den Bremer Hauptbahnhof sorgt immer wieder für Schlagzeilen. Bild: dpa | Mohssen Assanimoghaddam

Die Bremer Politik versucht Drogensüchtige vom Bahnhof wegzulocken. Die Betroffenen selbst halten die Pläne für unrealistisch.

Triggerwarnung: Im nachfolgenden Beitrag wird Drogensucht thematisiert.

Die Situation der Drogenkranken am Bremer Hauptbahnhof und die Auswirkungen auf das Umfeld sind immer wieder Thema politischer Diskussionen. Zuletzt gab es mehr Polizeikontrollen, ein weiterer Plan ist ein "Akzeptanzort" an der Friedrich-Rauers-Straße mit Drogenkonsumraum, um die Menschen vom Bahnhof wegzulocken. Aber was sagen eigentlich die Betroffenen selbst? Wie sind sie überhaupt in die Situation gekommen und was halten sie von den Plänen des Senats? Wir haben mit zwei von ihnen gesprochen: Nadine, 41 Jahre, und Reza, 45 Jahre. Beide sind seit vielen Jahren drogenabhängig und verbringen viel Zeit im Umfeld des Bremer Hauptbahnhofs.

Sie beide sind seit vielen Jahren drogensüchtig, wie fing das alles an?

Nadine: Ich bin von klein auf mit Drogen aufgewachsen. Ich kenne es nicht anders. Seit 20 Jahren bin ich in der Szene in Bremen. Drogen beschaffen und konsumieren – so läuft es Tag für Tag.

Reza: Bei mir ist es ähnlich. Mit elf Jahren habe ich das erste Mal im Iran Opium genommen, mit 16 dann Heroin. Sucht ist meiner Meinung nach meistens eine Familienkrankheit. Ich bin ein Trennungskind, habe viel Scheiße erlebt und das, was mir gefehlt hat, haben mir dann die Drogen gegeben. Die Wärme, die ich nicht erlebt habe, habe ich also ab elf mit Opium erfahren. Mit 23 habe ich dann Kokain kennengelernt. Und so ging es immer weiter, bis ich hier am Bahnhof gelandet bin.

Nadine: Bei den meisten hier sind es familiäre Hintergründe. Im Zuhause fehlt Halt und Regelmäßigkeit. Missbrauch oder Trennungen kommen dazu, dann ist da keiner, der einem hilft oder das Kind unterstützt oder mit einem redet. Und dann sucht man sich schon früh ein anderes Umfeld. Und Drogen wie Heroin oder Opium betäuben. Ich sage dazu immer "nicht denken" – das ist die Sache.

Es wird zum Schalter, um Gefühle auszuschalten.

Reza, 45 Jahre

Zurzeit wird der Aktionsplan Hauptbahnhof durchgeführt. Es finden vermehrt Kontrollen statt, wie erleben Sie die Situation?

Nadine: Was im Moment passiert mit den Kontrollen, ist sehr nervenaufreibend. Ich kann es verstehen, aber man wird immer mehr in die Enge gedrängt und ich glaube, dass dadurch nur noch mehr Straftaten passieren werden.

Reza: Ich glaube, es bringt außerdem wenig. Die Leute kommen sowieso wieder. Die Dealer warten dann halt, bis die Polizei wieder weg ist, und dann trifft man sich. Und in Zeiten, in denen viel kontrolliert wird, machen Dealer oft sogar noch bessere Geschäfte.

Zu den Maßnahmen zählen nicht nur Kontrollen. Seit zwei Jahren gibt es ja an der Friedrich-Rauers-Straße einen Drogenkonsumraum. Hier soll auch der sogenannte "Akzeptanzort" entstehen. Nutzen Sie den Drogenkonsumraum überhaupt?

Reza: Der ist leider viel zu weit weg. Wenn man auf Entzug ist, hat man ja körperliche Schmerzen. Und das einzige, was man dann will, ist, dass diese Schmerzen weggehen. Man bekommt das Crack am Bahnhof und will es dann direkt rauchen. Da geht man nicht noch 15 oder 20 Minuten zu dem Drogenkonsumraum. Da ist es einem sogar egal, ob 50 Meter weiter die Polizei steht. Man will einfach nur, dass die Schmerzen und das schlimme Kopfkino aufhören, und zwar sofort. Ich habe mich auch zwei- oder dreimal bei diesen Bänken bei der Friedrich-Rauers-Straße umgesehen, und da ist kein Mensch.

Nadine: Ich sehe es genauso. So kriegt man die Leute hier nicht weg. Wir nennen es "affig", das auf Entzug sein. Und wenn ich affig bin, renne ich da nicht mehr hin – das ist leider so. Manchmal habe ich das Gefühl, dieser Ort wird eher als Ausrede genutzt. Dann kann man sagen, man hat was gemacht und wenn ihr den nicht nutzt, selber schuld.

Aber kann man nicht eventuell dafür sorgen, dass auch die Dealer dorthin gehen und sich alles dorthin verschiebt?

Nadine: Das passiert nicht so einfach. Aus verschiedenen Gründen. Es wird hier am Bahnhof auch gebettelt und geschnorrt, das heißt, das Geld wird hier gemacht. Und der Bahnhof ist einfach der Drehpunkt, wo alle schnell hinkommen und gehen. Ich bin seit über 20 Jahren hier und bin mir sicher: Das wird sich nicht ändern. Es ist auch in jeder Stadt so, dass das alles im Umfeld der Bahnhöfe stattfindet.

Und was würde Ihrer Meinung nach besser funktionieren?

Reza: Es gibt in der Nähe echt gute Plätze, die man für so einen Akzeptanzort nutzen könnte. Auf der Brake, beim Cinemaxx, hinter dem McDonalds und so weiter. Es gibt einfach bessere Möglichkeiten. Und genau das würden wir uns wünschen und das würde auch etwas bringen. In Hamburg gibt es zum Beispiel auch im Hauptbahnhof eine Ecke mit einem Konsumraum. Aber so, dass es niemanden stört und auch keine Kinder vorbeigehen, die das sehen müssten.

Nadine: Ganz genau, ein Drogenhilfszentrum zentral am Hauptbahnhof. Da können die Leute reingehen und niemand sieht etwas. Das würde wirklich funktionieren.

Werden Sie als Betroffene denn überhaupt gefragt?

Reza: Nein, es interessiert sich keiner für unsere Perspektive.

Nadine: Die Leute lesen ihre Bücher über Drogenabhängige und denken, sie wüssten nun alles. Ich fühle mich dadurch oft nicht verstanden. Auch, weil so viele Klischees vorhanden sind. Ich bin eine Frau und war trotzdem noch nie anschaffen, das denken aber viele sofort. Die Junkies, die haben alle HIV, gehen anschaffen und so weiter.

Sie erleben also auch viele Vorurteile?

Reza: Ja, die Leute, die Drogen nehmen, sind nicht alle gleich. Wir wären froh, wenn es mehr Aufklärung in der Gesellschaft gäbe. Die Junkies werden schnell abgetan und über einen Kamm geschoren. Das ist wirklich traurig, denn oft sind es gute Menschen. Ich erlebe es auch häufig, dass viele von uns sehr hilfsbereit sind. Wenn eine alte Person in die Straßenbahn kommt, sind viele von uns die ersten, die aufspringen.

Nadine: Es macht was mit einem, wenn man wenig hat. Auch beim Schnorren merke ich das. Die Personen, die so aussehen, als hätten sie wenig Geld, geben oft am meisten. Es wäre einfach schön, wenn die Leute einfach genauer hinschauen und sich informieren. Was dahinter steckt, warum die Situation so ist und dass Drogensucht eine Krankheit ist.

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Bild: Radio Bremen

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Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 2. Dezember 2022, 19:30 Uhr